Sebastian Schulte,Foto: DVV Media/Schulte

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Alter Wein in neuen Schläuchen: Schneller Beschaffen?

Im Mai 2022 wurde bekannt, dass das Verteidigungsministerium an dem Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung von Beschaffungsmaßnahmen der Bundeswehr – „kurz“ Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz (BwBBG) – arbeitet.Wie der geschmeidige Name verrät, soll das Gesetz dazu dienen, „vergaberechtliche Erleichterungen zur Beschleunigung der Vergabe öffentlicher Aufträge anzuwenden“, so eine Formulierungshilfe der Bundesregierung.

Beobachter der Szene erkannten schnell, dass die in dem Gesetzesentwurf formulierten Forderungen im Kern die Umsetzung bereits vorhandener und länger bekannter Möglichkeiten vorsehen – besonders mit Blick auf die Vergabekammer und bei Ausnahmeregelungen vom Wettbewerbsgesetz. Zu Recht stellte der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie die Frage, warum die „geplante verstärkte Berücksichtigung von nationalen Sicherheitsinteressen […] nicht unter Nutzung des dafür eigentlich vorgesehenen Art. 346 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)“ stattfinden soll.

Ebenfalls fraglich ist, ob Koblenz aus dem Stand in der Lage ist, das geforderte Tempo bei der Beschaffung zu leisten. Aktuell sind am Deutschen Eck nur 89 Prozent der Dienstposten besetzt, es fehlen über 1300 Mitarbeiter. Oder führt der beschleunigte Weg der Beschaffung am Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr vorbei und direkt in die Arme von Foreign Military Sales? Zur Erinnerung: Bisher haben es im laufenden Jahr nur etwa eine Handvoll 25-Millionen-Euro-Beschaffungsvorhaben zur Abstimmung ins Parlament geschafft.

Denken wir positiv und nehmen an, dass es gelingt, beschleunigt zu beschaffen; so stehen die Männer und Frauen der Deutschen Marine vor ihren neuen Schiffen an der Pier und können trotzdem nicht fahren: Das Sondervermögen deckt bloß die Beschaffung neuer Plattformen ab, nicht jedoch die für den Materialbetrieb erforderlichen Finanzmittel, Ausrüstung wie Munition oder qualifiziertes Personal. Diese sind im Haushalt und in verantwortlichen Köpfen in Berlin noch nicht eingepreist! Womit klar ist, dass die bereits auf 50 Milliarden Euro angehobene jährliche Finanzlinie absehbar nicht ausreichen wird.

Allein für die Beschaffung von Munition aller Kaliber sieht der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, einen zusätzlichen finanziellen Bedarf von über 20 Milliarden Euro bis 2032. Das sind nochmals zehn Jahre und in Berlin ist hierfür weder politische Patronage noch der Wille zur Beschleunigung in Sicht – im Sondervermögen mit seinen mittlerweile zwei Wirtschaftsplänen sucht man diesen Posten jedenfalls vergeblich. Was hat das Verteidigungsministerium in den letzten Jahren davon abgehalten, vorausschauend quer durch die Last Munition zu beschaffen, anstatt regelmäßig (!) dreistellige Millionenbeträge am Ende des Jahres im Haushalt „umzuwidmen“? Dasselbe gilt für die Demografie, den eigentlichen Elefanten im Raum: Der geplante Aufwuchs der Bundeswehr auf 208 000 Männer und Frauen in Uniform kann seriösen Personalplanern zufolge erst Anfang der 2030er-Jahre erreicht werden und ist somit aufgrund der kürzeren politischen Zeitlinien irrelevant.

Was nützt also ein BwBBG, wenn man beschleunigt in eine Organisation hinein beschafft, die das Material aufgrund weiterer Defizite nicht vollumfänglich wird nutzen können? Die Antwort liegt in der zeitlichen Befristung, die man dem Gesetz in Berlin auferlegen will: Das BwBBG soll auf die Dauer von fünf Jahren begrenzt werden – somit deckt es ungefähr den Wirkungsbereich des Sondervermögens der Bundeswehr ab. In Berlin wird man sich daran messen lassen, wie schnell man das Geld ausgegeben hat, nicht wie sinnvoll!

Es ist richtig und wichtig, dass Bundeswehr und Marine das Material bekommen, das sie benötigen. Das tagespolitische Feuerwerk um das Sondervermögen und dessen Beschleunigung lenkt jedoch von dem Umstand ab, dass es einen viel größeren Kraftakt braucht, um diese von der Friedensdividende ausgezehrte Bundeswehr fit zu machen: Es fehlt an einer grundsätzlichen Reform, die Umfang und Struktur der Streitkräfte vor dem Hintergrund der Demografie neu ordnet sowie die Beschaffungsprozesse grundlegend ändert. Ansonsten verfüttert man frisches Material und gutes Geld an dysfunktionale Strukturen. All dies stimmt skeptisch und nachdenklich.

Sebastian Schulte ist Mitglied im Deutschen Maritimen Institut (DMI) und Chefredakteur Griephan.
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Sebastian Schulte

1 Kommentar

  1. Danke für die wieder klaren Worte. Ich unterstreiche besonders den letzten Absatz.
    Grundfrage: wann sind wir Deutsche als Gesellschaft wieder bereit, unsere Freiheit notfalls auch mit Waffen zu verteidigen? Erst dann wird Politik bereit sein, mehr Geld dort zu investieren und dies an anderen Stellen einsparen. Wie schaffen wir es raus aus der Komfortzone vergangener Jahre?

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