Kapitän zur See Nils Brandt (M.) mit Stammbesatzung und Lehrgangsteilnehmern

Kapitän zur See Nils Brandt (M.) mit Stammbesatzung und Lehrgangsteilnehmern

Die See formt den Charakter

19. Jul 2021 | Magazin, Streitkräfte | 2 Kommentare

Fast sechs Jahre dauerte die Werftliegezeit der Gorch Fock. Warum das Segelschulschiff für die Ausbildung in der Marine trotzdem unentbehrlich ist.

Dieser Artikel sollte eigentlich unnötig sein, denn das Wissen um Sinn und Nutzen der seemännischen und nautischen Ausbildung gehört zum Selbstverständnis eines jeden Marineoffiziers. Die Diskussionen der vergangenen Jahre um den Erhalt der Gorch Fock und den Sinn der Ausbildung haben jedoch auch ein anderes Bild gezeigt. Auch die Frage des Stellenwerts der seebasierten Ausbildung wird mancherorts hinter die streitkräftegemeinsamen Ausbildungsanteile einsortiert. Nur was macht den Beruf des Marineoffiziers im Grunde aus und welche Ausbildung ist dafür notwendig? Marine ist Seefahrt, ob als Besatzung eines Bootes oder Schiffes, als eingeschiffte Bordeinsatzgruppe oder als Küsteneinsatzkompanie, als Bordhubschrauberkomponente oder als Sanitätspersonal. Solange die Marine noch Boote und Schiffe mit Besatzungen hat, wird sich an den Erfordernissen, die an die Menschen an Bord gestellt werden, nichts großartig ändern. Gerade, weil in der derzeit kleinsten Flotte die Erfahrung Seefahrt insgesamt weniger im Fokus der Ausbildung zu liegen scheint, ist die Gorch Fock als Segelschulschiff und als Schulschiff integraler Bestandteil einer Ausbildung des Offizier- und Unteroffiziernachwuchses und von ganz besonderer Bedeutung für die grundlegende seebasierte Ausbildung. Ausdruck dieser Wahrnehmung ist auch der Ausspruch einiger Offizieranwärter auf den letzten Ausbildungsreisen der GORCH FOCK - „von Welle zu Welle der SKB näher“.

Zum Glück haben die Befürworter obsiegt und dafür gesorgt, dass die Gorch Fock instandgesetzt wurde und somit als Segelschulschiff der Marine noch viele weitere Jahre zur Verfügung stehen wird. Die ausufernde Instandsetzung der Gorch Fock seit 2016 war hauptsächlich dem schlechten Zustand des Schiffs geschuldet. Über 90 Prozent des Rumpfs, der Aufbauten und der Takelage mussten erneuert worden. Diese Erweiterung des Instandsetzungsumfangs war auch der Hauptgrund für die verbundene Kostensteigerung. Neben diesen notwendigen Instandsetzungserfordernissen wurden die schiffstechnischen Anlagen generalüberholt und Teile wie Frischwassererzeuger und Hauptschalttafeln erneuert, Im Rahmen der flottenweiten Regeneration wurden auch die Funk- und Navigationsanlagen durch moderne Geräte ersetzt. Zudem wurden die Klima- und Lüftungsanlagen erweitert und Hygieneverbesserungen im Bereich der Kombüse umgesetzt. Diese Arbeiten wurden auf Grundlage der Solas-Bestimmungen und weiterer geänderter Vorgaben durchgeführt. Letztendlich wird die Gorch Fock mit einer Klassengleichwertigkeits-Zertifizierung wieder in Betrieb gehen und somit durch die Zertifizierungsgesellschaft DNV auch zukünftig geprüft werden. Insgesamt hat das Schiff sein Äußeres nicht verändert und auch seinen Charakter behalten, es sind keine Marine-Goldrand-Wünsche umgesetzt worden und für die Allermeisten werden keine Unterschiede zu erkennen sein.

Die seemännische Ausbildung auf der Gorch Fock ist der erste Berührungspunkt der jungen Offizieranwärter mit der Seefahrt und der Dimension See als wesentliche Herausforderung ihres künftigen Berufsalltages. Mit der Gorch Fock kann auch die praktische nautische Ausbildung sichergestellt werden, da das Schiff zur Marineschule Mürwik gehört und im Gegensatz zu allen anderen Einheiten der Deutschen Marine nur wenige konkurrierende Forderungen an sie gestellt werden. Der Anteil der praktischen Ausbildung ist in den letzten Jahren erheblich reduziert worden und wird in Prägung und Motivation für die Seefahrt sichtbar. Das Selbstverständnis, dass Marine Seefahrt bedeutet, scheint heute bei unserem Nachwuchs nicht mehr überall verankert zu sein. Teilstreitkraftgemeinsame Ausbildung, Streitkräftebasis, CIR bieten willkommene andere Verwendungen und vermeiden die Entbehrungen und Härten der Seefahrt. Hinzu kommt auch, dass die Seefahrt an sich auch nicht als karriereförderlich gesehen wird.

Der Großsegler benötigt viele starke Hände

Der Großsegler benötigt viele starke Hände

Auf der Gorch Fock kommen die meisten Lehrgangsteilnehmer zum ersten Mal mit der Herausforderung Seefahrt in Kontakt. Sie erleben, was es bedeutet, zur See zu fahren, welchen Einfluss Wind und Wasser auf das Schiff, sie selbst und ihre Kameraden und Kameradinnen haben. Sie lernen, im Team zu arbeiten und erfahren, dass man an Bord tatsächlich nur gemeinsam die ihnen übertragenen Aufgaben erledigen kann. Sie lernen sich und ihre Grenzen in außergewöhnlichen, fordernden Situationen kennen. Die Gorch Fock als segelndes Klassenzimmer zeigt zudem, dass das menschliche Miteinander den Blick auf die Kameradin oder den Kameraden aus einer anderen Perspektive, ungeschönt durch virtuelle Selbstdarstellung, ermöglicht. Damit bekommen die Begriffe Kameradschaft und Teamgeist für einige eine ganz andere Bedeutung.

Bereits 1962 fasste der spätere Kommandant der Gorch Fock Hans Freiherr von Stackelberg die Hauptwerte der Segelschulschiffausbildung in fünf Punkten zusammen, die bis heute nahezu unverändert Gültigkeit haben:

  • Die Vermittlung eines seemännischen Fundaments, das stark genug ist, um trotz Überlagerung durch konzentrierte technische Weiterbildung ein sicheres Rüstzeug bei allen Entschlüssen zu bleiben.
  • Eine Charakterschulung, die abzielt auf die klare Erkenntnis des Wertes, den man dem Begriff Teamwork beizumessen hat.
  • Eine Erweiterung des Horizonts.
  • Die Repräsentation im Ausland.
  • Die beachtliche werbende Wirkung des Schiffes für die Marine.

Auch heute gelten für die Ausbildung der Angehörigen der Marine

  • die Vermittlung des Grundverständnisses für den Beruf,
  • die praktische Ausbildung in See,
  • die Seefahrtserfahrungen und die Vermittlung der Lebens- und Arbeitsbedingungen auf See,
  • das Kennenlernen der Wirkungen der Elemente auf See, insbesondere Wind, Seegang und Temperaturen,
  • das Erlernen der Fähigkeit, bei jeder Beurteilung der Lage die Wirkung der Elemente, die Leistungsfähigkeit des unterstellten Personals und der gesamten Besatzung zu beurteilen und für die Planung, Entschluss und Befehlsgebung zu berücksichtigen

als wesentliche Bestandteile. Insgesamt sollen die jungen Menschen frühzeitig als Teil eines Teams geprägt werden und die persönlichen physischen und psychischen Grenzen erfahren. An Bord sollen Teamgeist und gegenseitige Abhängigkeiten zwischen Führer und Geführten erlebt, aber auch Erkenntnisse im Umgang mit den eigenen Fähigkeiten, Stärken und Schwächen erlangt werden. Und schließlich können die Offizieranwärter in den Bereichen Kommunikations- und Sozialverhalten, Toleranz und Akzeptanz sowie Verantwortungsbewusstsein Erfahrungen sammeln.

Darüber hinaus haben sich natürlich Anpassungen und Veränderungen ergeben, die notwendig und zeitgemäß waren. Die personelle Auswahl der Ausbilder und die Ausbilderschulung haben eine andere Bedeutung bekommen. Die Ausbildung ist angepasst worden und beginnt bereits an der Marineschule mit dem Training am Übungsmast und der Erteilung der Enterbefähigung für Stammbesatzung und Trainingsteilnehmer durch den Kommandeur der Marineschule. Aber auch die Berücksichtigung der Auszubildenden hat neue Akzente erfahren. Die Individualisierung der Jugend zeigt die Herausforderungen in und mit der neuen Umgebung auf dem Schulschiff zurechtzukommen. Die Empfehlung der Pommerin-Kommission, die Segelvorausbildung durch einen Militärseelsorger zu begleiten, hat sich bewährt und ist wichtig, um vermitteln zu können und menschliche Hilfestellung zu geben.

Die eingangs gestellte Frage, ob ein Großsegler zeitgemäß ist, hat heute wie gestern die gleiche Antwort: Es hat sich, mit Ausnahme der Haltung von einigen Fragenden,  Verantwortlichen und Handelenden, nichts verändert. Das Bewusstsein des „Warum“ hat sich gewandelt und damit die Fragestellenden.

Der technische Fortschritt hat die Gewalt der Natur nicht verändert. Den Elementen mit Demut zu begegnen, die Kräfte von Meer, Wind und Wetter erleben und zu verstehen, ist die Voraussetzung für gute Seemannschaft und moderne Schiffsführung. Segelschulschiffe sind keineswegs romantische Relikte, sondern handwerkliche Basis für den Beruf des Marineoffiziers. Die Weiterentwicklung der Technik hat uns digitale Anwendungen, modernste Kommunikation und präzise Geräteausrüstungen beschert, von denen unsere Vorväter nur träumen konnten. Die Fähigkeit zur Bändigung der Gewalten haben uns diese Errungenschaften aber nicht erbracht. Selbstverständlich hat ein heutiger Großsegler auch eine moderne nautische Ausrüstung, schließlich ist er schwimmende Schule. Zugleich ist er aber auch Unterkunft, aber keine Komfortzone. Beengt wird erlebt, dass die Gemeinschaft über individuelle Bedürfnisse obsiegt. Und es wird erlebt, was es heißt, Botschafter seines Landes zu sein. Unaufhörliche Kritiker müssen doch beobachtet haben, dass diese Fähigkeit international weit verbreitet ist. In den Führungsetagen der Marinen dieser Welt wird sich an den hohen Wert dieser oft hart erworbenen Seemeilen sehr wohl erinnert.

Die Gorch Fock wird, nach Beendigung der Instandsetzung, meiner Einschätzung nach noch mindestens 25 Jahre der Marine für die Ausbildung der Offizieranwärter zur Verfügung stehen, damit zum Crewgeist beitragen und den Charakter der jungen Menschen prägen.

 Kapitän zur See Nils Brandt ist Kommandant des Segelschulschiffs Gorch Fock.

2 Kommentare

  1. Ich kann auch nur begrüßen das die Gorch Fock wieder ihre Segel setzen kann. Als ehemaliger Stammfahrer (99.-101. AAR) hätte es mich traurig gestimmt wenn dem nicht so wäre

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  2. … als Marineoffizier a.D. und damit „Gorch-Fock-Fahrer“ (23. AAR) kann ich den Ausführungen vollumfänglich zustimmen.

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