Unsere Marine in der Verantwortung

Konteradmiral a.D. Thorsten Kähler, Foto: MOV

Unsere Marine in der Verantwortung

Der russische Überfall auf die Ukraine am 24 Februar 2022 hat uns mit aller Deutlichkeit drei Dinge gelehrt.

Erstens befinden wir uns mitten in einer globalen Auseinandersetzung der Systeme: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und individuelle Freiheitsrechte stehen gegen Autokratie und Diktatur mit Zensur, Überwachung und Repression. Unser Gesellschaftsmodell und unsere Grundwerte stellen eine direkte Bedrohung für Autokraten und Diktatoren dar. Wir sind damit auf dem Wege zu einer quasi bipolaren Weltordnung zweier Lager mit China und Russland auf der einen und der westlichen Wertegemeinschaft auf der anderen Seite.

Zweitens ist Europa derzeit nicht in der Lage, militärische Aggression auf dem eigenen Kontinent zu verhindern, geschweige denn, sie erfolgreich zu beenden. Und drittens erlebt die NATO als System kollektiver Sicherheit eine ungeahnte Renaissance. Die transatlantische Solidarität nach dem Grundsatz „Einer für alle und alle für einen“ ist zurückgekehrt.

Als unsere Seestreitkräfte nach dem Zweiten Weltkrieg neu aufgestellt wurden, befanden sie sich von Beginn an im Bündnis mit den großen Seemächten. Wir haben als Bündnismarine immer wieder Verantwortung übernommen. Das jüngste sichtbare Zeichen war der verstärkte Einsatz unserer Einheiten in der Ostsee und in den ständigen Einsatzverbänden der NATO gleich nach Beginn der russischen Aggression gegen die Ukraine.

Diejenigen unter uns, die ihre erste maritime Sozialisierung im Kalten Krieg erfahren haben, wissen, dass Landes- und Bündnisverteidigung stets mit einer glaubwürdigen Abschreckung gekoppelt waren. Die glaubwürdige Abschreckung hat auch im Rahmen der heute wieder priorisierten Landes- und Bündnisverteidigung keineswegs an Bedeutung verloren. Dazu gehören neben der Fähigkeit zum multidimensionalen Seekrieg die personelle und materielle Einsatzbereitschaft unserer Einheiten und Verbände, ihre Verfügbarkeit und logistische Durchhaltefähigkeit sowie gesicherte, leistungsfähige Kommunikations- und Führungsmittel.

Russlands Krieg in der Ukraine hat begonnen, auch die Geografie der Ostsee zu verändern. Länder wie Finnland und Schweden, die bisher sicherheitspolitische Neutralität gewahrt hatten, streben nun möglichst schnell unter den Schirm der NATO. Sie würden damit Teil des Bündnisgebietes. Der Deutschen Marine erwächst daraus die Verantwortung, Schweden und Finnland auf ihrem Wege in die Allianz bestmöglich zu unterstützen. Mit der Baltic Commanders Conference und dem maritimen Führungsstab mit multinationaler Beteiligung German Maritime Forces (Deu Marfor) haben wir zwei wichtige Instrumente, die wir nutzen können.

Die transatlantischen Verbindungswege sind unverändert die maritime Nabelschnur, die uns mit den USA und Kanada verbindet. Sie sind bedroht durch die hochgerüsteten militärischen Kräfte der russischen Nordflotte in der Arktis. Durch den Klimawandel sind heute die arktischen Seewege schiffbar und damit militärisch nutzbar geworden. China und seiner schnell wachsenden Marine werden Ambitionen unterstellt, sich in dieser Weltregion mit Hilfe russischer Stützpunkte dauerhaft als militärische und ökonomische Macht etablieren zu wollen, ein weiterer Arm der neuen Seidenstraße. Auch das gilt es, im strategischen Kalkül der Deutschen Marine zu berücksichtigen.
Solidarität unter Verbündeten darf keine Einbahnstraße sein. Die USA, aber auch ihre europäischen Partner in der NATO, stehen vor der gewaltigen Herausforderung, die rechtsbasierte Ordnung auf See gegen das Recht des Stärkeren zu verteidigen. Ein Netzwerk von Verbündeten im Indopazifik soll helfen, diese Herausforderungen gegenüber China zu meistern. Seit dem kürzlichen Einsatz der Fregatte Bayern in jener Weltregion wird die Frage nach der Rolle der deutschen Marine verstärkt gestellt. Auch hier werden wir als Land und als Marine Antworten geben müssen. Voraussetzung ist, mit dem Seegebiet durch einen nachhaltigen Aufbau von Expertise vertraut zu sein.
Bleibt der Einsatz im internationalen Krisenmanagement, der unverändert einen hohen politischen Stellenwert genießt. Für all diese Aufgaben werden moderne und leistungsfähige Seestreitkräfte benötigt. Hier wurden mit den Rüstungsentscheidungen des letzten Jahres, dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro und einem erstarkten Wehretat für die Bundeswehr die richtigen Weichen gestellt. Nun muss der Zug der Umsetzung rasch Fahrt aufnehmen.

Konteradmiral a.D. Thorsten Kähler ist Vorsitzender der Marine-Offizier-Vereinigung.

Thorsten Kähler

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