Arbeiter der Meyer Werft vor der Iona, einem LNG-getriebenen Kreuzfahrtschiff für 5200 Passagiere

Arbeiter der Meyer Werft vor der Iona, einem LNG-getriebenen Kreuzfahrtschiff für 5200 Passagiere. Foto: Meyer Werft

Climate-neutral shipping feasible by 2050

Norbert Brackmann im Interview in der marineforum Ausgabe 09/2021

Spät, aber vielleicht nicht zu spät hat die Bundesregierung die Bedeutung der maritimen Industrie erkannt. Das marineforum sprach mit Norbert Brackmann über die Bedeutung der maritimen Industrie für Deutschland, die Einordnung in den europäischen Kontext und zukünftige Herausforderungen.

Norbert Brackmann ist ehemaliger Zeitsoldat und seit 2018 Koordinator der Bundesregierung für die maritime Wirtschaft

Norbert Brackmann ist ehemaliger Zeitsoldat und seit 2018 Koordinator der Bundesregierung für die maritime Wirtschaft. Foto: BMWi/Susanne Eriksson

Der Koordinator der Bundesregierung für die maritime Wirtschaft Norbert Brackmann wird nach der nächsten Bundestagswahl nicht mehr für dieses Amt zur Verfügung stehen. Brackmann ist seit April 2018 in dieser Position tätig und hat sich während dieser Zeit um Werften, Zulieferer, Häfen und andere maritime Zweige in Deutschland verdient gemacht. Er hat maßgeblich bei den jüngsten Beschlüssen der Bundesregierung zur Neufassung des Strategiepapiers für eine Stärkung der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie und der damit verbundenen Zuordnung des gesamten Marineschiffbaus als Schlüsselindustrie mitgewirkt. Insbesondere hat er die jährlichen Nationalen Maritimen Konferenzen unter der Schirmherrschaft der Bundeskanzlerin gestalterisch begleitet.

Von welchen Strategien zur Stärkung der maritimen Wirtschaft in Deutschland haben Sie sich leiten lassen?
Die Politik muss der maritimen Wirtschaft die Möglichkeit verschaffen, ihre Stärken ausspielen zu können – in einem fairen Wettbewerbsumfeld und durch eine klare regulatorische Linie in einer Zeit großen Umbruchs in der Branche. Die deutsche maritime Wirtschaft ist technologieführend, international wettbewerbs- und leistungsfähig. Und sie ist eine der Säulen unserer Volkswirtschaft. Ich habe mein Amt als Koordinator der Bundesregierung für die maritime Wirtschaft in diesem Bewusstsein aufgenommen und umgesetzt. Knapp 200 000 Jobs bestehen in der maritimen Wirtschaft. 2,3-mal so viele Jobs generiert sie in der Gesamtwirtschaft – mehr als 400 000. Und für jeden einzelnen der 11,7 Milliarden Euro Wertschöpfung, die die maritime Wirtschaft direkt erwirtschaftet, sorgt sie für 2,5-mal so viel in der Gesamtwirtschaft. Dazu kommen die Häfen als Im- und Exporthubs unserer international ausgerichteten Volkswirtschaft oder auch die Marine für die Sicherheit auf See und somit unserer internationalen Lieferketten.
Die maritime Wirtschaft zu stärken, bedeutet also die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass die Branche in ihrer Technologieführerschaft und Innovationskraft gestützt und gefördert wird – als Fundament für Wettbewerbsfähigkeit, Wertschöpfung und Beschäftigung. So können die Unternehmen die Potenziale der tiefgreifenden Veränderungen im Umwelt- und Klimaschutz im Seeverkehr und die Digitalisierung ausschöpfen. Mit der Maritimen Agenda 2025 haben wir dafür den passgenauen Handlungsrahmen, der alle Bereiche der maritimen Wirtschaft miteinbezieht. Dabei berücksichtigen wir auch die Heterogenität der Branche. Denn jeder Teilbereich hat eigene Herausforderungen, seien es unfaire Preispraktiken im Schiffbau, die Herausforderungen des Klimaschutzes, der Ausbau der Häfen zu Wasserstoff-Hubs oder – ganz aktuell – die pandemiebedingt knappen Frachtkapazitäten in der globalen Handelsschifffahrt.

Sie haben die Maritime Agenda 2025 initiiert und wollen mit der Maritimen Agenda 2030 die strategische Stärkung des maritimen Standorts Deutschland fortführen. Haben sich Ihre Initiativen und Erwartungen durchgesetzt?
Die Maritime Agenda 2025 der Bundesregierung als erstmalige Gesamtbetrachtung der maritimen Wirtschaft bietet uns den klaren Rahmen, wie wir die Meere nachhaltig nutzen und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Technologie-, Produktions- und Logistikstandort weiter stärken können. Die in der Maritimen Agenda definierten neun Handlungsfelder reichen von der Stärkung der maritimen Industrie einschließlich der gesamten Wertschöpfungsketten und der Stärkung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit über die Häfen bis hin zur Nachhaltigkeit im Seeverkehr und die Chancen der Digitalisierung. Die Zwischenbilanz zeigt: Viele Maßnahmen der Maritimen Agenda 2025 wurden bereits umgesetzt. Die Maritime Agenda 2025 hat sich als Kompass zur Bewältigung der komplexen Anforderungen, die sich an die maritime Wirtschaft und die Politik gleichermaßen richten, erwiesen. Die definierten Handlungsfelder sind aber weiterhin brandaktuell, hier müssen wir am Ball bleiben. Die Umwälzungen in der Branche werden über 2025 hinaus Unternehmen und Politik beschäftigen. Dies betrifft meines Erachtens besonders die Fragen von Forschung und Entwicklung sowie Klima- und Umweltschutz. Eine Fortschreibung mit einer Perspektive bis zum Jahr 2030 sollte in der 20. Legislaturperiode in Angriff genommen werden.

Sie haben in Brüssel für die Einrichtung eines maritimen EU-Koordinators plädiert, der dort die Anliegen der europäischen maritimen Wirtschaft koordinieren und sich für eine stärkere maritime Zusammenarbeit in Europa einsetzen soll. War Ihre Initiative erfolgreich oder gab es Widerstände?
Eine gemeinsame koordinierende Stelle für die Anliegen der europäischen maritimen Wirtschaft halte ich für äußerst wichtig. Viele der virulenten Themen betreffen ja nicht nur uns in Deutschland und fallen gleichermaßen in die Verantwortung von Bund und Ländern, sondern müssen an die europäische Ebene adressiert werden. Nehmen wir die Thematik der fairen Wettbewerbsbedingungen für alle Marktteilnehmer und Wettbewerber als Beispiel, das sogenannte level playing field. Hier müssen wir als Europäer mit gemeinsamer Stimme sprechen. Die relevanten Marktverzerrungen geschehen vor allem in Asien, und das einschlägige Regelwerk ist multilateral. Hier können wir gemeinsam mit unseren europäischen Partnern mehr ausrichten. Aber auch mit Blick auf die Digitalisierung und Automatisierung, Potenziale der Offshore-Windenergie und die Vollendung des Binnenmarkts auf dem Wasser haben wir viele gemeinsame europäische Anliegen.
Deshalb habe ich mich für die Gründung einer High Level Group auf Ebene der EU-Kommission zur stärkeren europäischen Vernetzung eingesetzt sowie für die Entwicklung einer übergreifenden europäischen Maritimen Strategie und die Einrichtung einer koordinierenden Stelle für die maritime Wirtschaft auf Ebene der Europäischen Union. Bedingt durch die Covid-19-Krise konnten die Gespräche mit der EU-Kommission noch nicht abgeschlossen werden. Ich habe aber durchaus erste Signale einiger unserer Partner in Europa erhalten, die ebenfalls die Notwendigkeit einer stärkeren Koordinierung auf EU-Ebene sehen. Mit Beginn der 20. Legislaturperiode sollten diese Gespräche fortgeführt werden. Wichtige Diskussionen zu zukunftsrelevanten Themen konnten wir trotzdem voranbringen. Auf virtuellen Ministerkonferenzen wurde erörtert, welchen Beitrag die See- und Binnenschifffahrt zur Erreichung der Ziele des Europäischen Green Deals liefern müssen und wie hieraus zugleich Wettbewerbsvorteile entstehen können. Fazit der Konferenzen war, dass eine klimaneutrale See- und Binnenschifffahrt aus technischer Sicht bis zum Jahr 2050 realisierbar ist und mit einer Kombination aus regulatorischen technologieoffenen Maßnahmen und marktgerechten Anreizen auch tatsächlich erreicht werden kann. Eine zentrale Rolle spielen hierbei alternative Kraftstoffe und Antriebe.

Thyssenkrupp Marine Systems investiert am Standort Kiel 250 Millionen Euro

Thyssenkrupp Marine Systems investiert am Standort Kiel 250 Millionen Euro. Foto: TKMS

Welchen gegenwärtigen und künftigen Herausforderungen muss sich die maritime Wirtschaft in Deutschland stellen?
Die deutsche maritime Wirtschaft befindet sich unter dem Einfluss tiefgreifender globaler Trends, die grundlegendes Veränderungspotenzial für die Branche mit sich bringen. Als ich bei meinem Amtsantritt 2018 nach den großen Herausforderungen in der maritimen Branche gefragt wurde, war meine Antwort: die Digitalisierung und die maritime Energiewende. Auch dreieinhalb Jahre später hat diese Aussage nicht an Gültigkeit verloren. Wir sprechen hier von Themen, die uns über Jahrzehnte begleiten, und die wir mitgestalten wollen. Mit dem maritimen Forschungsprogramm, der Innovationsförderung im Schiffbau, der Nationalen Wasserstoffstrategie oder auch der Förderung von Landstromanlagen setzt die Bundesregierung genau dort an, wo für die maritime Wirtschaft große Potenziale liegen und sie aufgrund ihrer exzellenten Leistungsfähigkeit gute Hebel hat.
Was uns aktuell beschäftigt, ist die Covid-19-Krise und die damit verbundenen Verwerfungen auch in der maritimen Wirtschaft. Erfreulich ist, dass die Häfen sich bei allen Einschränkungen erneut als belastbare Logistikweltmeister erwiesen haben. Auch die Handelsschifffahrt konnte sich zuletzt wirtschaftlich erholen, doch ist dort weiterhin vor allem für die Seeleute die Pandemie mit besonderen Härten verbunden. Wirtschaftlich besonders getroffen hat es die Kreuzfahrtbranche und mit ihr das Herz des deutschen Schiffbaus. Die Bundesregierung unterstützt deshalb die Branche über die Corona-Hilfsprogramme, das Schuldenmoratorium, den Wirtschaftsstabilisierungsfonds oder auch das Kurzarbeitergeld. Vor allem haben wir aber auch eine Milliarde Euro in die Hand genommen, um die maritime Wirtschaft weiter zukunftsfest zu machen und die Schifffahrt als klimafreundliches Verkehrsmittel zu stärken, zu modernisieren und zu digitalisieren. Wichtig ist jetzt, dass der Neustart aus der Krise gut gelingt. Hier liegt der Schlüssel für den Erhalt der deutschen Wettbewerbsfähigkeit und die weiterhin hohe maritime Wertschöpfung und Beschäftigung.

Welche strategischen Empfehlungen würden Sie Ihrem potenziellen Nachfolger geben, um die Stärkung der maritimen Wirtschaft in Deutschland und Europa fortzusetzen?
Mit dem Bau des weltweit ersten Zero-Emission-Kreuzfahrtschiffs mit ausschließlich deutscher Wertschöpfung noch in dieser Dekade müssen wir zeigen, dass wir für jede Schiffsklasse technisch in der Lage sind, die Herausforderungen des Klimawandels zu erfüllen. Unseren Technologievorsprung können wir so weit in das nächste Jahrzehnt retten. Gemeinsam mit den deutschen Seehäfen müssen wir die Infrastruktur für einen erfolgreichen Kampf gegen den Klimawandel rüsten, das heißt Häfen müssen Energie-Hubs für synthetische Kraftstoffe werden. Deutschland ist und bleibt Energieimportland!
Europa braucht eine eigene maritime Strategie. Wir müssen gemeinsam mit der EU-Kommission den Schulterschluss schaffen: Wir brauchen ein level playing field mit Asien. Wir brauchen ein gemeinsames Agieren gegen den Klimawandel (Zertifikatehandel, Förderung der Umrüstung in Richtung Zero-Emission-Ships, Ausweisung von Zero-Emission-Areas etc.). Das kann nur mit einem EU-Koordinator für die maritime Wirtschaft gelingen!

Als Maritimer Koordinator der Bundesregierung sind Sie im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie integriert. Hat sich diese Integration bewährt oder würde sich Ihr Amt beispielsweise im Bundeskanzleramt durchsetzungsfähiger gestalten?
Als Koordinator der Bundesregierung – nicht eines Ressorts – wird man bei den anderen Ressorts zunächst als Interessenvertreter des BMWi wahrgenommen. Es bedurfte vieler Einzelgespräche, viel Zeit und viel Vertrauen, um ein gemeinsames Grunddenken über eine maritime Strategie und die daraus resultierenden Entscheidungen in der jeweiligen Ressortzuständigkeit zu schaffen. Sowohl auf der Zeitschiene wie auch bei den Eskalationsmöglichkeiten wäre eine Anbindung im Bundeskanzleramt effizienter. Angesichts der neuen Themen Meere als Energielieferenten, Nahrungsmittelproduzenten und CO2-Speicher sowie der Sicherung der Lieferketten wäre es auch inhaltlich gerechtfertigt. Frankreich hat konsequenterweise aus genau diesen Gründen ein eigenes Ministerium zur Wahrnehmung dieser Zukunftsaufgaben geschaffen.

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