Das neue Vermessungs-, Wracksuch- und Forschungsschiff Atair
75 Meter Länge, rund 17 Meter Breite, ein Tiefgang von fünf Metern und eine Geschwindigkeit von rund 13 Knoten charakterisieren die Atair, das erste seegängige Behördenschiff für Spezialaufgaben mit LNG-Antrieb, geräuscharm und ausgezeichnet mit dem Blauen Engel für energieeffizientes Design. In mehr als 300 000 Konstruktionsstunden entstanden etwa 6000 Zeichnungen und Dokumente. 1300 Tonnen Stahl stecken in dem Schiff. 180 Kilometer Kabel und 92 Tonnen Rohr wurden an Bord verlegt. 5500 Messstellen wurden programmiert. Im September 2020 nahm das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) das Schiff ab. Ende April 2021 wurde es offiziell in den Dienst der Bundesrepublik Deutschland gestellt. Erste Fahrten für die zentrale maritime Behörde sind bereits absolviert.
Die Fassmer-Werft, die den Auftrag erhielt, das von der Bundesanstalt für Wasserbau geplante Schiff zu realisieren, stand vor großen Herausforderungen: Die technisch komplexen Forderungen, die ein Vermessungs-, Wracksuch- und Forschungsschiff stellt, mussten in einen effizient funktionierenden, wirtschaftlichen und umweltfreundlichen Schiffsentwurf umgesetzt werden. Die Erfüllung hoher Anforderungen an Umweltschutz und Geräuschentwicklung, eine sehr umfangreiche wissenschaftlich-technische Ausrüstung und ein hochmodernes integriertes Brückensystem sollten diesen Neubau einzigartig machen und ihm eine Vorreiterrolle im Bereich der deutschen Schiffe für Spezialaufgaben zuweisen.
LNG-Antrieb
Um den Umweltanforderungen gerecht zu werden, verfügt das Schiff über ein Diesel-Gas-elektrisches Antriebs- und Energiekonzept mit einer Leistung von 3100 KW. Es ist mit zwei Dual-Fuel-Motoren ausgestattet, von denen ein Motor ausschließlich im Gas-Mode mit dem zurzeit umweltfreundlichsten Schiffsantrieb LNG (Liquefied Natural Gas) betrieben wird. Mit einem 130 Kubikmeter großen LNG-Tank kann das Schiff zehn Tage allein mit LNG-Antrieb fahren. Die mit Diesel laufenden Motoren sind mit einer modernen Abgasnachbehandlung und einem Rußpartikelfilter IMO-Tier-III-konform ausgestattet worden. Für den ebenfalls möglichen Dieselbetrieb wird ausschließlich Gasöl mit einem Schwefelgehalt unter 0,1 Prozent verwendet. Sofern möglich, wird das Schiff ausschließlich mit LNG betrieben. Es kann mit dieser Ausstattung aber auch in Bereichen eingesetzt werden, in denen eine Versorgung mit LNG nicht verfügbar ist.
Silent-R-Schiff
The Atair erfüllt als erstes Forschungsschiff in Deutschland die neuen „Silent R“-Anforderungen, die den maximal zulässigen sehr niedrigen Unterwasserschallpegel definieren. Neben dem Schutz der Umwelt und vor allem der Meerestiere stehen damit optimale Bedingungen für das wissenschaftliche Arbeiten an Bord zur Verfügung. Da die Atair über eine Vielzahl an hydroakustischen Geräten verfügt, sind die Anforderungen an den Unterwasserschallpegel des Schiffes hoch. Die Eigengeräusche des Schiffes sollen vor allem die hydrographischen Messungen nicht stören, um die Qualität der Ergebnisse nicht zu verfälschen. Diese Forderung für sich betrachtet hat einen starken Einfluss auf das gesamte Schiffsdesign, das den Vorgaben des Umweltzeichens Blauer Engel für umweltfreundliches Schiffsdesign nach RAL-UZ 141 entspricht. Die Stahlstruktur, die Fundamente und Lagerung aller geräuscherzeugenden Komponenten, der Antrieb, der Propeller, die Isolierung, die Ausrüstung und Einrichtung sind den schalltechnischen Anforderungen entsprechend konstruiert und gebaut. So besteht der Antriebsstrang des Schiffes beispielsweise aus einem vibrations- und geräuscharmen Elektromotor, der auf einen ebenso leisen und kavitationsfreien siebenflügeligen Propeller wirkt – eine Technologie, die bisher nur auf U-Booten zu finden war. Auch die Rumpfform hat einen Einfluss auf den Unterwasserschall. Mit einer errechnet optimalen Rumpfform wurde ein Schiffsmodell gebaut, mit dem Schleppversuche bei unterschiedlichen Seegängen durchgeführt wurden. Die Ergebnisse führten zu dem jetzigen Rumpfdesign mit einem senkrechten Vorsteven, der das Brechen der Wellen über dem Wulstbug minimiert und damit die Bugwelle reduziert, die die hydrographische Messgeräte unter dem Rumpf stören könnte. Wichtig ist aber auch ein guter Zustrom zum Propeller. Das wiederum minimiert den Schiffswiderstand.
The Atair ist das erste Vermessungs-, Wracksuch- und Forschungsschiff des BSH mit einem dynamischen Positionierungssystem. Alle Propulsionsorgane werden dabei automatisch gesteuert. Das Schiff kann sich dadurch automatisch auf einer Sollposition halten, wodurch ein wetterunabhängiges und präziseres Arbeiten bei Forschungs- und Vermessungsaufgaben möglich ist
Schwimmende Forschungsplattform
Mit der neuen Atair steht dem BSH eine zentrale schwimmende Forschungsplattform zur Verfügung. Durch die Möglichkeit, neben den drei fest installierten Laboren fünf weitere Laborcontainer an Deck zu nehmen, sind die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Lage, eine große Bandbreite der meereskundlichen Überwachung und Forschung abzudecken. Das modulare System trägt auch zukünftigen meereskundlichen Entwicklungen Rechnung. Im Bereich der Einrichtung stehen den 18 Besatzungsmitgliedern und den 15 Wissenschaftlern ausschließlich Einzelkammern mit jeweils eigener Nasszelle, modernsten Infotainment-Systemen, Sauna und ein Fitnessraum zur Verfügung. Damit entspricht das Schiff den Anforderungen, die an die Ausstattung in der Kauffahrteischifffahrt gestellt werden.
Kai-Oliver Twest ist Referatsleiter Schiffe beim Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie.
Fotos: BSH/Thomsen
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