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Passsend zum Thema gibt es eine interessante Doku in der ARD Mediathek: Einsatz in der Todeszone.
Deutsche Kampfschwimmer können nicht nur im maritimen Umfeld operieren. Bei der Ausbildung nigrischer Spezialkräfte leisten sie Beachtliches unter widrigen Umständen.
Die Sonne ist gerade erst über dem staubigen Hügel hervorgetreten. Das Thermometer zeigt 25° C im Schatten. Das ist der kühlste Moment des Tages. Ab jetzt steigen die Temperaturen stetig an bis zu 46°C. Ein Team von Kampfschwimmern ist bereits seit knapp einer Stunde mit Frühsport beschäftigt. Morgendliche Routine im Camp Wüstenblume, wie der kleine Stützpunkt mitten im Sahel-Land Niger liebevoll getauft wurde. Es steht wieder ein anstrengender Ausbildungstag an, der erneut sehr viel Schweiß als Tribut einfordern wird.
Ende 2017 hatte die Bundesregierung entschieden, im Rahmen einer Ertüchtigungsinitiative verschiedene afrikanische Staaten bei der Verbesserung der Sicherheitslage vor Ort zu unterstützen. Als Stabilitätsanker in der Sahelregion liegt der Schwerpunkt dabei auf dem Land Niger. Zahlreiche Projekte wie die Gestellung von geländegängigen Lkws oder die finanzielle Unterstützung beim Bau der nigrischen Unteroffizierschule in Agadez wurden ressortgemeinsam mit dem Auswärtigen Amt in enger Zusammenarbeit mit dem nigrischen Militär ins Leben gerufen. Eines dieser Ertüchtigungsprojekte verfolgt die Unterstützung des Aufbaus von Spezialkräften.
Der Ausgangspunkt und die Initiative für dieses Projekt gehen vom Land selbst aus. 2016 hatte der Präsident Nigers durch ein Dekret veranlasst, Spezialkräftebataillone (bataillon spécial d’intervention) aufzustellen und eine Spezialkräfteausbildungseinrichtung zu schaffen, die die Sicherheitsarchitektur des Landes nachhaltig verbessern soll. Diese Bataillone sollen in den nächsten Jahren sukzessive aufgestellt und ausgerüstet werden. Ziel dieser Maßnahmen ist es, die terroristischen Bedrohungen an den Grenzen Nigers, darunter Boko Haram in Nigeria oder die Ausläufer des Islamischen Staates in Mali, effektiv zu bekämpfen und die organisierte Kriminalität, vor allem den Schmuggel von Menschen, Waffen und Drogen durch Niger unter Kontrolle zu bringen.
Deutschland unterstützt seit Juni 2018 neben anderen westlichen Partnern dieses Engagement mit der Mission Gazelle, die als Spezialkräfte-Mission unterhalb der Schwelle eines mandatierten Einsatzes geschaffen worden ist. Auftrag dieser Mission ist es, ein Bataillon Spécial d’Intervention (BSI) auszubilden und auszurüsten sowie die Infrastruktur der Spezialkräfteausbildungseinrichtung zu finanzieren. Als Leitverband wurde das Kommando Spezialkräfte der Marine (KSM) festgelegt, was dazu führte, dass sich die an der Ostsee stationierten Kampfschwimmer Ende 2018 in der Wüste Nigers wiederfanden. Hier wurde die erste Kampfkompanie sechs Wochen lang ausgebildet und mit persönlicher Ausrüstung ausgestattet.
Alltag im Camp
Im Camp Wüstenblume, fernab von eigenen Truppenteilen und westlichen Partnernationen, unter widrigsten Lebensbedingungen und klimatischer Belastung, konzentrieren sich die Kampfschwimmer auf ihren Ausbildungsauftrag. Essen wird in einer behelfsmäßigen Küche zubereitet, hauptsächlich greifen die Soldaten auf Einmannpackungen als Verpflegung zurück. Die Unterbringung ist auf vier Räume, die sanitären Anlagen auf drei Dusch-Toiletten begrenzt. Privatsphäre gibt es nicht. Regelmäßig fallen sowohl die Strom- als auch die Wasserversorgung aus. Dennoch lassen sich die Spezialkräfte der Marine nicht aus der Ruhe bringen, passen sich den Umweltbedingungen an und agieren flexibel auf unvorhergesehene Umstände.
Grundsätzlich liegt der Einsatzschwerpunkt von Kampfschwimmern auf Spezialoperationen im maritimen Bereich. Jedoch können sie jederzeit weltweit zum Einsatz kommen. Im Rahmen der dreijährigen Ausbildung zum Kampfschwimmer sind sowohl eine Klimazonenausbildung als auch die Befähigung zum Kampf an Land festgelegte Ausbildungsabschnitte. In diesem Fall werden die Spezialkräfte der Marine in der Sahelregion des Niger im Rahmen einer Ausbildungsmission eingesetzt.
Gnadenlos brennt die glühend heiße Mittagssonne auf den Ausbildungsplatz herab. Die Kompanie des nigrischen Militärs durchläuft ein forderndes Ausbildungsprogramm, um zu Spezialkräften ausgebildet zu werden. Nach dem bewährten Ansatz „vom Leichten zum Schweren, vom Einfachen zum Komplexen“ wird jeden Tag auf das bereits Erlernte eingegangen und neue Aspekte vermittelt. Das Prinzip „Vormachen, Erklären, Nachmachen und Üben“ spielt dabei eine zentrale Rolle. Es werden sowohl individuelle Fertigkeiten, insbesondere der Umgang mit der eigenen Ausrüstung als auch Teamgeist und Kameradschaft vermittelt. Die Motivation der nigrischen Partnereinheit ist äußerst hoch. Alle Soldaten sind durchweg wissbegierig und lernwillig. Feststellbar ist dies dadurch, dass die drei Züge der Kompanie bereits untereinander einen gesunden Konkurrenzkampf entwickelt haben, der ohne Vorgaben der Kampfschwimmer zu selbstständigem Wiederholen von Ausbildungsabschnitten geführt hat.
Amtssprache in Niger ist Französisch. Jedoch sprechen die meisten Menschen Hausa. Hinzukommt, dass viele Soldaten weder lesen noch schreiben können. Die Kommunikation zwischen Kampfschwimmern und nigrischen Soldaten gestaltete sich daher zunächst schwierig. Die nigrische Armee stellte den Ausbildern Sprachmittler zur Seite, die die Anweisungen vom Englischen ins Französische übersetzten, was nur durch die Offiziere und Unteroffiziere verstanden wurde, die ihrerseits wiederum Anweisungen in Hausa weitergaben. Die einzelnen Trainingsabschnitte waren folglich sehr zeitintensiv.
Die zu vermittelnden Ausbildungsinhalte wurden zuvor mit dem nigrischen Militär zusammen entwickelt und zunächst auf Französisch erarbeitet. Das Bundessprachenamt in Hürth hat diese innerhalb kürzester Zeit ins Deutsche übersetzt, damit die designierten Ausbilder sich bestmöglich auf die Ausbildung vorbereiten konnten. Die Umsetzung erfolgt nun in enger Zusammenarbeit mit den Sprachmittlern auf Englisch. Beispielhaft für die Ausarbeitung der Ausbildungsinhalte soll hier erwähnt sein, dass Verwundetenerstversorgung ein wichtiger Bestandteil innerhalb der Gefechtsführung ist, der jedem Soldaten des BSI die Grundlagen eines Ersthelfers unter taktischen Bedingungen vermittelt.
Bisher wurden verwundete Soldaten in den nigrischen Streitkräften nur durch designiertes Sanitätspersonal versorgt, das bei Bedarf und erst, wenn die taktische Lage es zulässt, herangeführt werden kann. Dadurch geht wertvolle Zeit verloren. Insbesondere die getroffenen Maßnahmen innerhalb der ersten zehn Minuten nach Verletzung können über Leben und Tod entscheiden. Die Befähigung jedes Soldaten der Einheit zur Verwundetenerstversorgung in Verbindung mit der Ausstattung eines individuellen Erste-Hilfe-Kits ist so in Niger einmalig. Die Steigerung der Fähigkeit zur Erstversorgung innerhalb der nigrischen Spezialkräfte kann somit als signifikant bewertet werden. Bemerkenswert dabei ist, dass das Erste-Hilfe-Kit vollständig in Niger selbst hergestellt wird, wodurch die Nachhaltigkeit dieser Ausbildung Beachtung findet.
Verbindungselement in Niamey
Nach einer umfangreichen Erkundung in Niger im April 2018 wurde schnell klar, dass für die Umsetzung der Ertüchtigungsinitiative der Bundesregierung ein permanentes Verbindungselement in der Hauptstadt erforderlich ist. Die Voraussetzungen für dieses Special Operations Forces Liaison Element (Sofle) wurden so schnell geschaffen, dass bereits ab Juni 2018 – also nur zwei Monate nach der Erkundung – ein Sofle in Niamey durchgehend gestellt werden konnte. Im Rahmen der Mission Gazelle ist der Sofle gleichzeitig Kommandeur der Mission. Zu den Hauptaufgaben gehören die Koordination der Zusammenarbeit und Abstimmung mit dem Kommandeur der nigrischen Spezialkräfte. Zu den wichtigsten Themen gehören vor allem die Absprachen bezüglich der Ausstattung der Partnereinheit mit persönlicher Ausrüstung und Fahrzeugen, die mittels Zuwendungsvereinbarungen rechtlich umgesetzt werden. Entscheidend dabei ist die Nachhaltigkeit, also die Wartung und Pflege sowie Nachversorgung des neu beschafften Materials.
Dies wird durch ein strukturell gefestigtes logistisches System nach französischem Vorbild innerhalb der nigrischen Streitkräfte sichergestellt. Dieses fünfstufige System sieht eine dezentrale Versorgung und einfache Wartungsmaßnahmen in den Regionen des Landes sowie eine zentralisierte und hoch ausgebildete Instandsetzung in der Hauptstadt vor. Des Weiteren werden Absprachen mit den multinationalen Partnern vor Ort getroffen, das gemeinsame Vorgehen synchronisiert und Erfahrungen ausgetauscht.
Zusätzlich werden regelmäßig der deutsche Botschafter und der Verteidigungsattaché durch den Kommandeur der Mission Gazelle über die aktuelle Situation informiert. Neben den Routineaufgaben wie die tägliche Kommunikation mit der operativen Führungsebene, der Abteilung Spezialoperationen des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, gehören unter anderem auch Besprechungen und Ortsbegehungen zur Begleitung der Errichtung der Spezialkräfteausbildungseinrichtung zum Aufgabenfeld des Verbindungselements. Besuche durch die Verteidigungsministerin, den Generalinspekteur der Bundeswehr und den Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr bildeten besondere Höhepunkte für die Kräfte der Mission Gazelle.
Abschluss der ersten Ausbildungsphase
Am Ende der sechswöchigen Ausbildung kommen hohe nigrische Vertreter ins Ausbildungscamp, um bei der Abschlusszeremonie die neue Ausrüstung der Compagnie Spéciale d’Intervention (CSI) und deren erworbene Fähigkeiten im Rahmen einer dynamischen Demonstration zu begutachten. Nach einem offiziellen Antreten auf dem Musterungsplatz geht es über verschiedene Stationen (Vorstellen der Ausrüstung, Verwundetenerstversorgung, Bewegen im Trupp) zur Schießbahn, wo Patrouillieren und anschließendes Ausweichschießen dargestellt werden. Vom Gouverneur der regionalen Zone bis hin zum einfachen Soldaten der Kompanie sind durchweg alle von der Ausbildung durch deutsche Kampfschwimmer begeistert und davon überzeugt, durch diese besondere Kooperation die Sicherheitslage in Niger deutlich verbessern zu können.
Die Sonne über dem Camp Wüstenblume verschwindet hinter dem Horizont genau so schnell wie sie aufgegangen ist. Die Temperaturen im Schatten sinken jedoch nicht annähernd so schnell. Für die Kampfschwimmer heißt es jetzt, die eigene Ausrüstung nach- und die geplanten Maßnahmen für den nächsten Tag vorzubereiten. Trotz der widrigen Bedingungen vor Ort überwiegt die Begeisterung für diese Mission. Der sichtbare tägliche Ausbildungsfortschritt der Partnereinheit gibt dem eigenen Engagement und Anspruch an eine hochwertige Ausbildung weiteren Ansporn. Nach der überzeugenden Abschlusszeremonie freuen sich die Kampfschwimmer nun, wieder nach Hause zu ihren Familien zu kommen. Eine gewisse Vorfreude auf den nächsten Ausbildungsabschnitt und ein Wiedersehen mit der Partnereinheit schwingt jedoch bei jedem merklich mit.
Korvettenkapitän S. ist Chef der Kampfschwimmerkompanie im Kommando Spezialkräfte der Marine. Von August 2018 bis Januar 2019 war er bei der Mission Gazelle Kommandeur im Einsatz.
Fotos: Kommando Spezialkräfte der Marine
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