Noch in ihren beiden letzten Dienstjahren leistete die Fregatte LÜBECK Beachtliches. Die Männer und Frauen an Bord nahmen für die Teilnahme an der NATO-Unterstützungsmission erhebliche Einschränkungen in Kauf.
Im Januar 2022 lief die Fregatte LÜBECK, nachdem sie bereits von Mai bis September des Vorjahrs im Einsatz gestanden hatte, als Teil der Standing NATO Maritime Group 2 (SNMG 2) zur Teilnahme an der NATO-Unterstützungsmission in der Ägäis (NATO Assistance Aegean, NAA) in das Grenzgebiet zwischen Griechenland und der Türkei aus. Sie leistete seitdem einen Beitrag zur Lagebilderstellung und zum Informationsaustausch bei Bewältigung der Migrationskrise. Insgesamt war die LÜBECK in den Jahren 2021 und 2022 mehr als neun Monate in dieser einsatzgleichen Verpflichtung eingesetzt. NAA ist prägend für die Marine, insbesondere für die Einsatzflottille 2 (EF 2). Die EF 2 trägt so die Hauptlast einer Verpflichtung, die wegen der anhaltenden Migration und örtlicher Spannungen von politischer und diplomatischer Brisanz ist, jedoch im Verdacht steht, zumindest teilweise im Gegensatz zu den taktischen und operativen Anforderungen und Fähigkeiten der Marine zur der Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) zu stehen. Neben der Teilnahme an NAA waren die LÜBECK und ihre Vorgängereinheiten als Very High Readiness Joint Task Force (VJTF)-Einheiten designiert.
Die Migrationsströme des Jahres 2015, die über eine Million Flüchtende nach Europa brachten, machten den Ruf nach einer nachhaltigen Sicherung der EU-Außengrenzen laut. Gemäß Eurostat wurden 2015 zwischen 1,2 und 1,3 Millionen Asylanträge in der EU gestellt, davon alleine 467 649 in Deutschland.
Rund 850 000 Flüchtlinge nutzten dabei die besonderen geografischen Gegebenheiten in der Ägäis. Griechenland und der Türkei kommen in dieser Krise Schlüsselrollen zu, die Grenzregion in der Ägäis mit ihren vielen Inseln und kurzen Entfernungen erleichtert illegale Migration über See.
Formell basiert diese Operation auf dem Beschluss der NATO-Verteidigungsminister vom 11. Februar 2016. Demnach sollen Truppensteller als NATO-Verband gemeinsam mit der EU-Grenzschutzorganisation Frontex und den nationalen Küstenwachen der Anrainerstaaten zusammenarbeiten, um sich an den internationalen Anstrengungen zur Begegnung illegaler Migration und Menschenhandels in der Ägäis zu beteiligen. Es handelt sich hierbei um eine Unterstützungsmission – die Entsendung deutscher Schiffe in die Ägäis erfolgt nicht als mandatierter Einsatz, sondern als Beteiligung an der SNMG 2. Dazu gehören ausdrücklich weder ein aktives Zurückdrängen der Flüchtlingsboote noch eine Seenotrettung. Allerdings bleiben die Vorgaben zur Hilfeleistung in See entsprechend des Solas-Übereinkommens (Safety of Life at Sea) in Kraft, die Einheit handelt dann allerdings unter nationaler Opcon.
Deutschland als Vermittler
Aufgrund politischer Spannungen nimmt Deutschland auch die Rolle eines Vermittlers ein. Dem deutschen Commander Task Unit (CTU) 01 sind kleinere türkische und griechische Einheiten unterstellt, sein Stab an Bord des deutschen Flaggschiffs besteht aus Verbindungsoffizieren von Anrainerstaaten und Frontex. Die Einheiten der Task Unit (TU) agieren, entsprechend des Taskings durch den CTU, relativ autark in den jeweils eigenen Küstengewässern des Operationsgebiets.
Der Kern der SNMG 2 um das Flaggschiff des Commander SNMG 2 operiert als TU 02 im gesamten Mittelmeerraum. Sie ist Teil der VJTF der NATO Response Force (NRF). Als Reaktion der NATO auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine wurden Organisation und Unterstellung der Kräfte angepasst. Die NATO aktivierte ihre Graduated Response Plans (GRP), um der Bedrohung des Bündnisgebiets besser und entschiedener entgegentreten zu können. Das Seegebiet und die Mission der NAA bleiben dabei grundsätzlich gleich, allerdings haben sich durch die aktuellen Entwicklungen die Vorzeichen geändert. Die TU 02 ist nun als Teil der VJTF dem Commander Task Force (CTF) 441 unterstellt, die SNMG 2 TU 01 – und damit NAA – bleibt bestehen. Der Krieg in der Ukraine hat die NATO-Präsenz im Mittelmeer zeitweise deutlich verstärkt, Schiffe unterschiedlicher Nationen stützen sich, ebenso wie die Fregatte LÜBECK, auf Souda Bay ab. Aufgrund der kurzen Distanz zum Operationsgebiet und seiner hervorragenden logistischen Infrastruktur eignet sich der Hafen in nahezu idealer Weise. Die ausschließliche Abstützung auf Souda Bay ist jedoch der Pandemie geschuldet, im Gebiet gibt es eine Reihe attraktiver Häfen, die – streng unter der Parität gegenüber den Anrainerstaaten – angelaufen werden können. Souda Bay als NATO-Hafen ist von dieser Notwendigkeit ausgeschlossen und wird sowohl von der Türkei als auch von Griechenland als neutrale Anlaufstelle akzeptiert. Im Laufe des Einsatzes hat sich – auch aufgrund der hohen Auslastung der NATO-Basis in Souda Bay – die parallele Abstützung auf die Tankpier der türkischen Insel Uzunada in der Ansteuerung vor Izmir als eine hervorragende Alternative zur Versorgung mit Kraftstoff ergeben. Die Ansteuerung ist einfach, die Unterstützung vor Ort hervorragend und höchst professionell, ebenso wie in Souda Bay. Dabei liegt Uzunada gerade noch im Patrouillengebiet, das Tasking muss für einen Bunkerstopp nicht unterbrochen werden. Allerdings ist dort ausschließlich die Versorgung mit Kraftstoff sichergestellt.
In der relativ kurzen Historie der Verpflichtung haben sich lokale, globale und politische Veränderungen ergeben, die sich auf die Situation vor Ort auswirken: zunächst eine stetige Abnahme der Migrationsbewegungen (2019: 83 300 registrierte Migranten, Januar bis Ende Mai 2020: rund 7.800) und ein zeitweise entspannteres Verhältnis zwischen der Türkei und Griechenland. Mittlerweile wird insbesondere von türkischer Seite verstärkt gegen eine Querung der ägäischen Gewässer durch Flüchtlinge vorgegangen. Die Küstenwachen beider Länder sind präsent und aktiv. Beide Seiten unternehmen umfassende Anstrengungen, um die Situation vor Ort stabil zu halten und die Bewegungen auf ein Minimum zu reduzieren. Die Zusammenarbeit mit den Verbindungsoffizieren an Bord des Flaggschiffs hat sich als äußerst produktiv und nützlich bewiesen – das Flaggschiff bietet eine Plattform für Austausch und Kooperation aller wesentlichen Partner vor Ort. Im Falle eines Vorfalls, der durch die NAA-Einheit beobachtet wird, werden die Küstenwachen informiert. Innerhalb von Minuten nimmt dann die zuständige Küstenwache die Migranten wahr, evakuiert die Schlauchboote und bringt die Menschen zum weiteren Verfahren an die jeweilige Küste. Die NAA-Einheit bleibt im Gebiet, beobachtet und unterstützt, wenn notwendig, sobald sich ein Seenotfall ergeben sollte. Nichtregierungsorganisationen (NGOs) konnten im Operationsgebiet nicht beobachtet werden, für sie ist das Operieren in den Küstengewässern der Türkei und Griechenlands nicht problemlos möglich.
Keine „Marine-Momente“
Die Coronapandemie hatte zeitweise erheblichen Einfluss auf das Migrationsgeschehen. Eine eingeschränkte Bewegungsfreiheit durch Ausgangssperren in der Türkei erschwerte es Schleppern, sich zu organisieren und die Küsten als Ausgangspunkt für die Überfahrt ihrer Boote zu nutzen. Das Resultat daraus ist, dass die Migrationsbewegungen, verglichen mit den Jahren zuvor, stark abgenommen haben. Die Pandemie wirkt sich allerdings auch auf die Einheiten vor Ort aus. Fehlender Landgang behindert die Regeneration und damit potenziell die Einsatzbereitschaft. Dadurch hat sich die Einsatzrealität verändert, aber auch die Wesensart der Seefahrt selbst.
Die typischen „Marine-Momente", das Operieren im Verband, das Entdecken neuer Häfen, das kurze Eintauchen in eine andere Kultur, gibt es aufgrund der vorherrschenden Regeln derzeit nicht. Eine Erleichterung ist absehbar, sofern sich die pandemische Lage stabilisiert und Coronainfektionen keine grundlegende Gefahr mehr für die Einsatzfähigkeit einer Einheit darstellen. Insbesondere auf einer Fregatte der Klasse 122 mit den ihr eigenen, beengten Lebensverhältnissen wäre es schwierig, im Falle einer Infektion, die notwendige Isolation der betroffenen Personen zu gewährleisten. Die umfassende Eindämmung einer Ansteckung kann dann nicht mehr gewährleistet werden, und die Einsatzfähigkeit der Einheit wäre – aufgrund der restriktiven Maßnahmen bei Ansteckung – erheblich gefährdet.
Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 unterlag auch NAA einer Zäsur. Die Fregatte LÜBECK befand sich nicht mehr an Europas Peripherie, konfrontiert mit abnehmenden Migrationszahlen, sondern an einem geopolitischen Hotspot. Hier verläuft nicht nur für die Russische Föderation eine Seeverbindung von vitaler Bedeutung, sondern auch für die NATO-Verbündeten und EU-Staaten eine schützenswerte Sea Line of Communication (Sloc). Daher erhält die dortige Begegnung mit Schiffen der Russischen Föderation eine neue Qualität. Eine Auswirkung auf das Migrationsgeschehen ließ sich vor Ort noch nicht wahrnehmen. In Abstimmung mit Griechenland, der Türkei und der NATO wurde an dem Auftrag in der Ägäis festgehalten.
Schon als VJTF-Einheit, und insbesondere durch die veränderte Situation, ist eine stringente Ausbildung der Besatzung notwendig. Mit den vorhandenen Mitteln ist dies, trotz aller Unterstützung durch türkische, griechische sowie unter NATO-Flagge eingesetzter Schiffe, nur unter größten Anstrengungen möglich. Die Verfügbarkeit der Partnereinheiten ist aufgrund der ebenfalls hohen Auslastung eingeschränkt, trotzdem stellen die Verbündeten in der Region alle Möglichkeiten zur Interaktion und für bilaterale Übungen zur Verfügung. Bei der Eigenausbildung hält sich die Fregatte LÜBECK an einen strengen internen Syllabus, in dem Aspekte der Ausbildung aus allen Bereichen berücksichtig werden, sei es operativ, technisch, nautisch oder medizinisch. Der Aufwand zur Vorbereitung und Durchführung der Ausbildung ist enorm und bindet erhebliche Ressourcen. Pläne für den Ablauf von operativen Szenarien aus allen drei Dimensionen (Luft, See, unter Wasser) und die Abfolge und Koordination mit dem internen Gefecht sind durch ein kleines, aus der Besatzung heraus generiertes Ausbilderteam zu erstellen und umzusetzen. Dies erfordert Erfahrung und Umsicht.
Die einsatzgleiche Verpflichtung NAA stellt für die Besatzungen wegen ihrer konträren Anforderungen zum eigentlichen Fähigkeitsprofil einer Kampfeinheit eine Herausforderung dar. Die Aufrechterhaltung der Einsatzbereitschaft erweist sich unter den gegebenen Umständen als schwer zu realisieren. Das Engagement und die Hingabe der Besatzungen ermöglichen es jedoch, diese Aufgabe zu meistern. Mit den Beschränkungen durch die Pandemie wurden die Frauen und Männer, die in den letzten beiden Jahren an NAA teilgenommen haben, auf die Probe gestellt: Der fehlende Landgang schränkte die Möglichkeit zur Regeneration maßgeblich ein. Trotzdem, die Zusammenarbeit mit den Partnern vor Ort und an Bord verläuft reibungslos und produktiv. In dieser Verbundenheit und Kooperation konnten für die Situation vor Ort trotz aller Einschränkungen und Herausforderungen deutliche und zählbare Erfolge erzielt werden.
Fregattenkapitän Kai Röckel ist letzter Kommandant der Fregatte LÜBECK.
Kai Röckel
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