Ehrenformation an DeckFoto: PIZ/Brakensiek

Ehrenformation an Deck Foto: PIZ/Brakensiek

What is the purpose of the armed forces?

Einsatz im Mittelmeer Foto: PIZ / Fischer

Jetzt, nach der Präsidentschaftswahl in den USA und vor der Bundestagswahl, mehren sich die Stimmen, die angesichts erkannter Defizite eine neue Kursbestimmung für die Bundeswehr fordern. Die ist in den vergangenen drei Jahrzehnten mehr als einmal erfolgt. Viel ist dabei über Auftrag und Aufgaben der Bundeswehr diskutiert und in die Weißbücher geschrieben worden. Eine Frage aber kam nie auf die Tagesordnung: was ist eigentlich ihr politischer Zweck?

Bei dieser Frage geht es nicht darum, was die Streitkräfte tun sollen, sondern was ihre schlichte Existenz bewirken soll. Welchen Effekt will Deutschland eigentlich politisch dadurch erreichen, dass es inzwischen jährlich etwa 50 Mrd € für die Bundeswehr ausgibt?

Pointierter ausgedrückt lautet die Frage, was verliert Deutschland, wenn es seine Streitkräfte abschafft. Eine hypothetische Frage? Für Adenauer war sie sehr konkret, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen. Was gewinnen wir, wenn wir uns wieder bewaffnen, und ist das den absehbaren hohen politischen und ökonomischen Preis wert?

Adenauer verfolgte mit der Aufstellung der Bundeswehr drei Ziele, die Erlangung zumindest einer Teilsouveränität für die Bundesrepublik, Beitritt und Mitsprache im NATO-Bündnis und als Ergebnis eine Verbesserung der allgemeinen Sicherheitslage. Für das Angebot, Streitkräfte aufzustellen, erhielt die Bundesrepublik mit dem Deutschlandvertrag in der Version von 1954 weitgehende Souveränitätsrechte.

Man kann sagen, dass die Bundeswehr somit ihren ersten Hauptzweck bereits erfüllt hatte, bevor der erste Soldat eingekleidet war. Warum hat das funktioniert? Weil die Aliierten der Bundeserpublik vertraut haben, dass sie einen substantiellen Verteidigungsbeitrag bereitstellen werde. Wie der genau aussehen würde, stand zu dieser Zeit noch nicht fest und war für die politische Wirkung unerheblich.

Im nächsten Schritt war es 1967 möglich, im Bündnis eine für die Bundesrepublik essentielle Veränderung der NATO-Strategie durchzusetzen, weg von der totalen nuklearen Vernichtung auf deutschem Boden hin zu einer flexiblen, zunächst konventionellen Verteidigung, der Flexible Response. Das gelang, weil die Bundeswehr die für diese Art der Verteidigung erforderlichen starken konventionellen Kräfte bereitgestellt hatte, an denen es zuvor mangelte. Damit hatte sich die deutsche Sicherheitslage entscheidend verbessert.

Abschiedsgruß, Foto: Neumann

Und schließlich, ganz ungeplant und nebenbei hatte die Bundeswehr bereits 1962 bei der Hamburger Sturmflut ihre Bedeutung für die allgemeine Sicherheitsvorsorge eindrucksvoll bewiesen. Sie entsprach damit den drei genannten Zwecken: Souveränität, Bündnismitsprache und Sicherheitsvorsorge.

1955 war die Wiederbewaffnung nur wegen der konkreten sowjetischen Bedrohung möglich, die spätestens seit dem Koreakrieg jedermann bewusst war. Diese Gefahr besteht seit 1989 nicht mehr. Fragt man heute einen politisch durchschnittlich interessierten Menschen in Deutschland, ob wir nach Fortfall der alten Ost-West-Konfrontation nicht die Bundeswehr hätten abschaffen sollen, wäre die Antwort vermutlich trotzdem ein Nein. Die Begründungen könnten lauten, „alle Staaten haben Streitkräfte“, „die Verbündeten erwarten das von uns“ und „man weiß ja nie“. Das klingt zunächst einmal etwas laienhaft, um nicht zu sagen naiv. Es ist aber auf den Punkt genau das, worum es geht: Streitkräfte sind Ausdruck der Souveränität, sie dienen der Mitsprache im Bündnis und der Vorsorge für unvorhersehbare Fälle.

Was bedeutet das für die Bundeswehr heute? Sicherheitsvorsorge ist aktueller denn je. Viele politische Überraschungen der vergangenen drei Jahrzehnte sind zwar irgendwann von irgendwem vorhergesagt waren, es kann jedoch niemand sagen, welche Entwicklungen wirklich und vor allem in welcher Reihenfolge eintreten. Kein Land der Welt ist in der Lage, eine gleichermaßen umfassende Sicherheitsvorsorge für alle Eventualitäten zu treffen, vor denen politische Auguren in einer nicht endenden Folge von Studien warnen. Das bedeutet, dass wir eine Bundeswehr brauchen, die auf ein breites Spektrum von Aufgaben eingestellt ist, ohne jede Eventualität vollständig beherrschen zu können. Sie muss robust und störresistent sein, was in jedem Falle Reserven und Redundanzen erfordert. Das ist in erster Linie eine planerische und organisatorische Frage.

Für den Einfluss im Bündnis sei an das Jahr 1954 erinnert. Wichtig ist nicht, wie die deutschen Kräfte im Detail aussehen, sondern dass unsere Verbündeten auf unseren Beitrag vertrauen können. Es kommt weniger darauf an, wieviel wir investieren, sondern was wir bereit sind einzusetzen und zu riskieren. An die Stelle des burdensharing tritt das risksharing. Es fragt sich also, was Deutschland bereit ist zu tun, und dabei geht es um den politischen Willen.

Hinsichtlich unserer Souveränität müssen wir die Frage beantworten, welchen Beschränkungen wir uns unterwerfen. Kann es sein, dass bei wichtigen Einsätzen der deutsche Beitrag der Zustimmung Russlands in Chinas im VN-Sicherheitsrat bedarf, oder fällt diese Entscheidung unter deutsche Souveränität? Diese Frage rührt an den Grundfesten unseres sicherheitspolitischen Selbstverständnisses, wie wir es seit 1990 entwickelt haben. Wenn wir sie nicht selber anpacken, wird sie uns vor die Füße fallen.

Nach der Bundestagswahl ist drei Jahre vor der nächsten US-Wahl. Das ist nicht viel Zeit, um diese Grundfragen deutscher Sicherheit, Verantwortung und Selbstbestimmung zu klären. Spätestens wenn ein künftiger amerikanischer Präsident wieder auf den Trump‘schen Kurs zurückschwenkt, muss Deutschland eine Antwort haben, um nicht aufs Neue als Prügelknabe herhalten zu müssen.

Text: Karsten Schneider

Beitragsbild: Bundeswehr, Pixabay

 

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