MKW_Panel2 mit Phillip Wrede und Dirk Jacobus moderiert von Sarah Kirchberger, Foto: hsc

MKW_Panel2 mit Phillip Wrede und Dirk Jacobus moderiert von Sarah Kirchberger, Foto: hsc

Deutschland ist weiterhin seeblind

Mit dem Titel „Wiederentdeckt – der Nordflankenraum“ lockte das Deutsche Maritime Institut (DMI) auch in diesem Jahr Experten, Interessierte und Fachpublikum nach Wilhelmshaven ins Hotel Atlantic. Bereits zum neunten Mal wiederholten damit die Veranstalter das inzwischen prominente Format, welches zusammen mit griephan, der Einsatzflottille 2 der Deutschen Marine, dem Deutschen Bundeswehrverband (DBwV), dem Deutschen Marinebund (DMB), und der Deutschen Atlantischen Gesellschaft ermöglicht wird. Und daher ließ sich an diesem 24. Mai auch der Oberbürgermeister Carsten Feist es sich nicht nehmen, persönlich die Grußworte der Stadt zu übermitteln. Gewohnt launig und mit unverhohlenem Stolz auf seine Stadt resümierte er die Bedeutung Wilhelmshavens für die Energiewende in Deutschland und die Zukunft des Warenverkehrs über See. Olaf Scholz habe in seiner Regierungserklärung Wilhelmshaven vier Mal, Berlin aber nur einmal erwähnt, behauptete er. Und selbstbewusst rief er indirekt seinem Hamburger Kollegen zu, man möge doch endlich die Rolle der Jadestadt akzeptieren. Nicht hier sei die Konkurrenz, sondern in Rotterdam. Am Ende versprach er schönes Wetter – ein Humor, den man wohl nur als „Schlicktown-Kenner“ versteht.

Die Key Note sprach Professor Robin Allers vom Norwegian Institute for Defence Studies in Oslo. Der „Hamburger mit nordischer Perspektive“ – wie er sich selbst nannte – beschrieb die wesentlichen Veränderungen durch den Ukraine-Krieg an der Nordflanke. Mit Bedauern verkündete er, dass es keine bilateralen Kontakte mehr gäbe, auch keine Zusammenarbeit. Der oft kritisierte Versuch Norwegens, zumindest in der Fischerei etwas Normalität aufrechtzuerhalten, verteidigte er mit der Begründung, dass Norwegen eben den Faden nicht abreißen lassen wolle. Er folgerte, dass die Bedeutung Norwegens an der Nordflanke gewachsen sei, der wesentliche Nordseepartner aber immer noch in Großbritannien zu finden ist – nicht Deutschland, wenngleich die deutschen Signale deutlich Gehör gefunden haben. Er zitierte damit die Zielstruktur 2025+ und verwies auf die Rüstungskooperation.

Das erste Panel – moderiert wie gewohnt vom charmant souveränen Heinz Schulte – eröffnete Mathias Lüdicke, Niederlassungsleiter von „Niedersachsen Ports“. Er beschrieb die umfangreichen Veränderungen, die gerade in Wilhelmshaven stattfinden. Sein besonderes Augenmerk galt den Entwicklungen der Infrastruktur für die Energiewende und der Bedeutung des Schutzes maritimer Einrichtungen.

Vor dem Hintergrund der Nord Stream-Ereignisse und der Aktualität des Themas kritischer Infrastruktur auf See wurde der Vortrag von Frank Görke der Bundespolizeidirektion Bad Bramstedt mit Spannung erwartet. Und der Leitendende Polizeidirektor traf genau den Nerv der Zuhörer: er betonte die Rolle der Bundespolizei („weltweit“), die neue  „maritime awareness“, die Zusammenarbeit der Behörden, der neue Kooperationslevel mit der Deutschen Marine und die Erfordernisse für eine Lagebilderstellung und klaren Zuständigkeiten. Dabei stellte er deutlich heraus, dass mit den neuen Einsatzschiffen der „Güben“ – Klasse eine neue Zeit angebrochen sei. Mit einer deutlicheren Präsenz und Durchhaltefähigkeit, sei u.a. durch das Bordgeschütz auch eine „robuste Präventionsarbeit“ möglich. Die Anwesenheit mehrerer hochrangiger Beamten der Bundespolizei See war ein starkes Signal für den Willen zur Zusammenarbeit der Behörden auf See.

Henrik Schilling vom Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK) stellte die Frage „wer hält das Steuer“ und betrachtete internationale Zuständigkeiten und Küstenwachen. Am Beispiel Frankreich, Großbritannien und Dänemark erörterte er Organisation und Koordination hoheitlicher Aufgaben im Küstengebiet.

Das zweite Panel moderierte Dr. Sarah Kirchberger vom ISPK, Vizepräsidentin des DMI. Eröffnet wurde die Reihe durch Carl Phillip Wrede vom Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), der die immer weiter zunehmende Abhängigkeit von maritimer Infrastruktur beschrieb. Das DLR betreibt in Bremerhaven das 2017 gegründete "Institut für den Schutz maritimer Infrastrukturen". Sein Satz „Deutschland ist weiterhin seeblind“ wurde von den Anwesenden gern bestätigt.

Den Abschluß der Reihe präsentierte Kapitän zur See Dirk Jacobus vom Marinekommando Rostock.  Für ihn sei „Seabed warfare“ keine neue Dimension, es sei eher eine neue Aufmerksamkeit. Für die in Unterwasserseekriegführung erfahrene Marine entstünde nun eine enorme Erwartungshaltung, obwohl es keine klare Definition gebe, man müsse den Begriff „schärfen“. Offen sprach er aus, dass man jedoch militärische Fähigkeiten nicht mit militärischen Zuständigkeiten verwechseln dürfe. Und über den Gegner Russland sagte er klar, dass man schon eine Ahnung davon habe, wie man uns bedrohen könnte. Zum Abschluß forderte er mehr Pragmatismus, um schneller mehr zu erreichen.

Wie das Abschlusspanel auch feststellte, nahmen alle Teilnehmer von dieser hochkarätigen Veranstaltung „sehr viel mit“.  Zufrieden äußerte sich der Präsident des DMI, Konteradmiral Karsten Schneider, über den Verlauf der Veranstaltung und die Kompetenz auf hohem Niveau, auch wenn viele Sicherheitsfragen noch offen seien.

Auch die neunte Veranstaltung dieser Art wurde ihrem hohen Anspruch gerecht. Einige der Vorträge werden in den nächsten Ausgaben des „marineforum“ erscheinen.

Headline

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Your email address will not be published. Erforderliche Felder sind mit * markiert

en_GBEnglish