Pooling & Sharing ist das neue Buzzword, wenn man über Europa, Sicherheit und Haushalt spricht. Es sollte allen Beteiligten klar sein, dass es ein "weiter so", im Sinne der nationalen Alleinvorsorge, in Zukunft nicht mehr geben wird. Dabei lohnt sich der Blick über den Tellerrand, denn es gibt in Europa bereits einige interessante militär- und sicherheitsrelevante Kooperation. Begrenzte Haushalte und gleiche Interessen setzen gestalterische Kreativität frei und schaffen neue Strukturen in Europa. Könnten die Großen etwa von den Kleinen lernen?
Kai Schönfeld ist aktiver Marineoffizier und Betreiber des Blogs Sicherheit vernetzt. Auf Understanding the sea schreibt Schönfeld exklusiv über die sicherheitspolitische Vernetzung und Kooperation der Marinen von Belgien und den Niederlanden:
Die Verteidigungspolitik der europäischen Staaten ist in der aktuellen Schuldenkrise stärker denn je zwiegespalten. Einerseits wird eine gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik eingefordert, um mehr Kooperation zu schaffen und Ressourcen in den einzelstaatlichen Verteidigungsbudgets zu sparen. Andererseits verbleiben die meisten politischen Entscheidungen im engen Rahmen der nationalstaatlichen Partikularinteressen. Die GSVP zeigt sich bislang als uneinheitliches Stückwerk aus bilateralen Einzelprojekten, zeitlich befristeten multilateralen Manövern und Einsätzen sowie diversen weiteren eindimensionalen Ansätzen und ersten Schritten, die sich zuweilen in redundanten Doppelstrukturen zwischen EU und NATO verlieren.
Im Folgenden soll exemplarisch die Kooperation zwischen der belgischen und niederländischen Marine näher betrachtet werden. Das finanzielle Engagement Luxemburgs in diesem Kontext wird nicht weiter beachtet. Diese Kooperation stellt ein herausragendes Beispiel einer zwar kleinen, aber funktionierenden regionalen Zusammenarbeit dar, die sich in den letzten Jahren etabliert und bewährt hat. Es soll die Frage geklärt werden, ob dieses Projekt als Vorbild für weitere europäische Vorhaben dienen kann, oder ob es sich vielmehr um ein strukturelles, nicht vergleichbares Ausnahmephänomen handelt.
Der Grundstein der maritimen Zusammenarbeit zwischen Belgien und den
Niederlanden lag einst in gemeinsamen NATO-Aufgaben zur Verteidigung des Ärmelkanals seit den 1950er Jahren. Weitere Verträge zu gemeinsamen Ausbildungsvorhaben und Versorgungsleistungen wurden seit den 1970er Jahrenn ratifiziert. Die bis dato lockere Kooperation stellte sich als äußerst dynamisch und erfolgversprechend heraus und verdichtete sich kontinuierlich, sodass sich schließlich Mitte der 1990er Jahre eine enorme Beschleunigung im Ausbau der gemeinsamen 3 Vorhaben einstellte. Der „Admiral Benelux“ und ein gemeinsames Flottenkommando wurden in Den Helder auch für Friedenszeiten eingerichtet. Gegen Ende der 1990er Jahre befürchtete Belgien dann zunehmend, seine maritimen Kapazitäten nicht aufrecht erhalten zu können; ebenso suchten die Niederländer nach Möglichkeiten, ressourceneffizienter zu arbeiten.
Zwei Hauptkooperationen führten schließlich zu der heute vorherrschenden Situation: 2007 und 2008 erwarben die Belgier zwei niederländische Frigates der Karel- Doorman-Klasse. Zudem wurden in einem binationalen Projekt gemeinsam die Minenabwehrfahrzeuge der Tripartite-Klasse beider Marines von 2006 bis 2010 modernisiert. Verschiedene Kernkompetenzen wurden fortan geteilt. Daraus ergibt sich heutzutage eine gleichberechtigte Zusammenarbeit in sechs Hauptbereichen der Flotten, die sich nach Pieter-Jan Parrein in folgender Matrix veranschaulichen lässt:
Auf den Punkt gebracht bedeutet dies eine klare Aufgabenverteilung und
Spezialisierung auf Kernfunktionen in den beiden Marines bei gleichzeitigem Abbau von redundanten Strukturen. Belgien spezialisiert sich auf Aufgaben in und um die Minenabwehr; die Niederlande kümmern sich um die Frigates; beide teilen sich Aufgabenbereiche und vollziehen Dienstleistungen jeweils für die eigene Flotte und für diejenige des Nachbarstaates. Institutionell schlägt sich dies neben dem gemeinsamen Flottenkommando in Den Helder beispielsweise in der Schaffung des Belgisch-Nederlands Competentiecentrum Support Departement Catering oder der Nederlands-Belgische Operationele School nieder, die von Marineangehörigen beider Nationen betrieben und besucht werden. Auf taktischer Ebene gibt es reichlich gemeinsame Verbände, Manöver und Übungen und eine hohe Dichte von Absprachen und gemeinsamen Entscheidungsfindungen.
Der Erfolg und die Effizienz dieser binationalen Marinestruktur werden sowohl in der Politik als auch in den Flotten der beiden Staaten ohne Wenn und Aber unterstrichen. Man spart Ressourcen, man nutzt Synergieeffekte und trägt auf normativer Ebene zur europäischen Idee bei. Bezeichnend ist die Richtung, wie diese Kooperation ermöglicht werden konnte. Nicht in Brüssel liegen die Wurzeln dieses Projektes, nicht einmal im niederländischen oder belgischen Parlament oder in den Kabinetten wurde es erdacht. Es stammt aus der Flotte, fußt auf direkten Erfahrungswerten und zeichnet sich durch Pragmatismus, maritimer Expertise und dem Willen der belgischen und niederländischen Marineoffiziere zur Zusammenarbeit aus. Hier liegt meines Erachtens die Chance für eine gemeinsame europäische Verteidigung.
Nationalstaatliche Partikularinteressen verneinen heutzutage immer noch eine gemeinsame europäische Verteidigung, die in Brüssel oder andernorts zentral geplant und durchgeführt werden könnte. Es gilt den Weg in diese Richtung zu ebnen. Mit lokalen bi- oder multinationalen Kooperationen, wie sie hier aufgezeigt worden sind, scheint eine allmähliche Annäherung an das Ideal der GSVP auf lange Sicht hin aussichtsreich zu sein. Lokalen Sicherheitsinteressen, die sich ja durchaus im EU-Raum unterscheiden, könnte so Rechnung getragen werden. Die Frage ist jedoch, ob derartige Kooperationen wirklich funktionieren und auf Dauer angelegt werden können. In der belgisch-niederländischen Kooperation ist intern nicht von einem Kräftegleichgewicht der beiden Flotten auszugehen. Dennoch überstimmt der eine Partner den anderen nicht, da aufgrund von funktionalen Trennungen ausreichend Eigenverantwortung geschaffen worden ist. Ähnliche Projekte, wie im baltischen Raum oder zwischen Großbritannien und Frankreich, haben sich hingegen als weniger erfolgreich erwiesen, kamen ins Stocken oder waren insgesamt nicht auf Dauer angelegt. Insgesamt bleibt jedoch festzuhalten, dass bilaterale Beziehungen insbesondere auf dem Gebiet der Verteidigung nicht zu Gunst einer zentralen EU-Politik vergessen werden sollten. Ein Zusammenspiel von kleinen, lokal begrenzten und funktional ausgewogenen Projekten, die dafür aber wirklich effizient und dauerhaft funktionieren, könnte weitere positive Entwicklungen für Europa zur Folge haben. Es bleibt die Frage, wohin Deutschland als geographisch zentraler Staat und führende demographische und wirtschaftliche Macht in Europa seine Fühler ausstrecken könnte. Chancen und Risiken gibt es hier unter den Nachbarstaaten wohl gleichermaßen.
Links zum Thema:
- BISCOP, Sven: Permanent structured cooperation and the Future of ESDP, Egmont Paper 20, Gent 2008. PDF
- CONSTANTINESCU, Maria: Approaches to European Union military collaboration in the current economic austerity environment, in: Journal of Defense Resources Management, Volume 3, Issue 1 (4), April 2012, S. 87-92. PDF
- PARREIN, Pieter-Jan: Some Ideas for European Defence Cooperation from the Case Study of the Belgian-Dutch Navy Cooperation, Royal High Institute for Defence Centre for Security and Defence Studies, Focus Paper 25, December 2010. PDF
- SAUER, Tom: Military cooperation in the European Union. Case: Belgium, the Netherlands and Luxembourg, IIEB Working Paper 15, Leeuven 2005. PDF
- ZUIDERWIJK, Rob L.: Maritieme visie. De Koninklijke marine in 2030. Voor veiligheid op en vanuit zee, Den Helder 2009. PDF
Auch für mich ein gutes Beispiel funktionierender Zusammenarbeit bzw. mehr als das. Die Niederländer sind übrigens ein Beispiel dafür, dass man auf Kapazitäten ganz verzichten kann, siehe Wegfall der MPA-Komponente. Allerdings nicht ganz freiwillig, sondern aus finazieller Not geboren. Wenn ich früher in meiner aktiven Dienstzeit ‚burden-sharing‘ im Rahmen der NATO und die Möglichkeit des Verzichtes auf einzelne Komponenten angesprochen habe, traf das immer auf ausgesprochenes Mißfallen vor allem von ‚Stabsschranzen‘ des ‚policy‘-Bereiches. Ich bin nach wie vor der Meinung: man muß nicht alles selbst machen können oder wollen…….aber das setzt ein Umdenken voraus. Einige können dieses besser, andere jenes….EIn gutes Beispiel für maritime Großmannssucht ist für mich Italien mit seiner ‚Giuseppe Garibaldi‘, die halbe italienische Marine liegt auf den Flurplatten wegen dieser Arche, die man auch besser ‚Berlusconi‘ hätte nennen können.
In diesem Sinne, ‚heads-up‘
duhdek
Dem kann man uneingeschränkt zustimmen – man muss in der Tat nicht alles selber können. Innerhalb des Bündnisses gibt es genügend Spezialisierungsmöglichkeiten. Das beinhaltet aber, dass man seine Fachkräfte auch Anderen zur Verfügung stellt und gerade da tun wir Deutsche uns schwer. Wobei … wir Deutsche? Vielleicht sollte ich eher sagen, der deutsche Politiker … Das Beispiel Libyen zeigt es drastisch: wir hätten mit unseren Tornados Fähigkeiten einbringen können, die es so kein zweites Mal im Bündnis gibt; der Einsatz hätte aber Bündnissolidarität vor Partikularinteressen zur Voraussetzung gehabt. Es gibt noch außenpolitischen Nachschulungsbedarf. Der BMVg hat es so ähnlich vor rund zwei Wochen in der Presse geäußert – erstaunlicher Weise ohne, dass jene Zeter und Mordio schrie.
Sie schreiben, dass diese Kooperation vor allem „aus der Flotte“ initiiert wurde. Das kling vor allem deshalb interessant, weil ich mir vorstellen kann, dass auch in der Deutschen Marine (und natürlich diversen weiteren Seestreitkräften) ähnliche Kooperationen denkbar sind.
Die Frage, die sich mir aber dann stellt, ist: Wie ist den Niederländern und den Belgiern das gelungen, was wahrscheinlich bei den anderen Kameraden in Blau als größtes Hindernis wahrgenommen wird – wie hat man die Politik überzeugen können? Bzw. warum hat man in den jeweiligen nationalen Regierungen hier den Sinn einer solchen Kooperation gesehen, während andere sich da anscheinend schwerer tun?
Tiefflieger