Während in Europa die aus Afrika über See nach Norden drängenden Flüchtlinge von den Mittelmeer-Anrainern eher mit spitzen Fingern angefasst werden, hat Frankreich für die Geflüchteten Frauen und Kinder aus der Ukraine eine schlanke, maritime Lösung gefunden. Auf Initiative des Geschäftsführers der Fähren-Reederei Corsica-Linea wurde den staatlichen Institutionen bereits sehr frühzeitig eine durch Corona-Restriktionen und erheblich verringertes Passagieraufkommen aufliegende Mittelmeerfähre als Unterkunft für 800 Personen angeboten – solange, bis das normale Fährgeschäft im Sommer wieder losgehen sollte.
"Méditerranée“ - das Schiff
Die „Méditerranée“, die sonst mit ihren zehn Passagier- und zwei Fahrzeug-Decks zwischen Frankreich und Algerien pendelt, liegt seit zwei Jahren ungenutzt im Hafen von Marseille. Das Schiff bietet Platz für eine geordnete Registrierung, individuelle Unterkunft, jedwede Art von Betreuung (administrative Beratung, psychologische Hilfe, Unterhaltungsprogramm inklusive eines wiederbelebten Kinos), Kindergarten, Sportmöglichkeiten (Autodecks) und Kommunikation – eigentlich ein ganzes Dorf für sich!
Eine Lösung der „französischen“ Art
Eine zentrale Einrichtung für entwurzelte Menschen, alle mit den gleichen Problemen – das entspricht in seiner Praktikabilität voll und ganz dem französischen System. Vor allem, da es in Frankreich bisher keine größeren ukrainischen Auswanderergemeinschaften gegeben hat, die sich der ankommenden Flüchtlinge annehmen könnten, wie in weniger westlich gelegenen Ländern die Praxis. Und Wohnungsmangel herrscht natürlich auch in Frankreich. Die Idee der Reederei fand unmittelbaren Anklang bei den Landes- und Regionalbehörden – nicht zum Nachteil der Fährgesellschaft. Innerhalb weniger Tage wurde das schlafende Schiff in ein ukrainisches Geflüchteten-Zentrum umfunktioniert, mit Hinweistafeln und Durchsagen in Landessprache! Zentrale Räume für Ärzte, Psychiater, Französischlehrer und Bankenvertreter wurden eingerichtet und besetzt. Die mittlerweile etablierte Routine hilft den Frauen und Kindern aus allen Teilen der Ukraine über Höhen (wenige) und reichlich Tiefen hinweg.
Nachteile – eher theoretisch
So eine Lösung hat natürlich auch Nachteile: die Gruppe an Bord könnte zu groß werden, oder außer Kontrolle geraten. Der Zugang zu Erwerbstätigkeiten ist weit eingeschränkter, als bei einer Unterbringung im städtischen Rahmen. Und die in Südfrankreich, vor allem in Marseille, untergebrachten Migranten aus Nordafrika, schauen verständlicherweise etwas neidvoll auf die Lösung, die im Zusammenhang mit der Ukraine gefunden wurde. Aber es ist in diesem Fall natürlich eine völlig anders gelagerte Migrationssituation – es sind schutzbedürftige Frauen und Kinder, die schnellstmöglich wieder zurückkehren wollen in ihre Heimat.
Wie geht es weiter
Der Sommer allerdings kommt und Corona geht – der Fährverkehr nimmt wieder Fahrt auf – aber der Ukraine-Krieg ist noch lange nicht zu Ende. Wohin also mit all den ukrainischen Frauen und Kindern, die sich auf solch einem Schiff in Sicherheit fühlen und nicht unbedingt in eine französische Kleinstadt auf dem Lande umsiedeln wollen. Man sucht nach Lösungen – und findet möglicherweise wieder ein Schiff!
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