Der im Suez-Kanal querstehende, schräg in der Uferböschung verkeilte 20.000 TEU-Container-Frachter „Ever Given“ mit der prominent weißen Aufschrift der Reederei EVERGREEN (Taiwan) auf der froschgrünen Bordwand ist allen mit dem Thema Schifffahrt befassten Menschen noch leidlich im Gedächtnis.
Weniger spektakulär und auch deutlich geringer den internationalen Warenverkehr beeinflussend verlief eine Havarie, die am 13. März 2022 der ebenso unverkennbar mit EVERGREEN beschrifteten „Ever Forward“, einem 11.850 TEU fassenden Container-Schiff aus Hong Kong nach einer verpassten Kursänderung vor der Einfahrt nach Norfolk/Virginia widerfuhr: Sie lief in voller Fahrt vierkant auf den wirklich klebrigen Schlick der Chesapeake Bay auf und konnte erst nach Teilentladung von 500 Containern und einem Ausbaggern der bereits entstandenen Furche auf 12 Meter wieder freigeschleppt werden.
Dazu wurde nun der Untersuchungsbericht der Coast Guard veröffentlicht. Verantwortlich für diese Havarie wird allerdings der Lotse wegen seiner Unachtsamkeit und Fahrlässigkeit gemacht, aber auch die Brückenbesatzung kann sich nicht ganz aus der Verantwortung ziehen.
Was war passiert?
Die Brückencrew bestand aus dem Lotsen, dem Dritten Offizier, einem Praktikanten (deck cadet) und dem Ausguck. Eine halbe Stunde vor der fälligen Kursänderung fand auf der Brücke ein teilweiser Wachwechsel statt – unter anderem ging der Kapitän zum Abendessen unter Deck. Der Wachoffizier hatte schon vor dem Wachwechsel den Lotsen beobachtet, wie er auf seinem Handy mehrfach telefonierte, Mails las und auch beantwortete, dann aber zum Zeitpunkt des Andrehens selbst auf den wiederholten Hinweis, dass immer noch der alte Kurs anliege, nicht reagierte. Da der Lotse bekanntlich die navigatorische Verantwortung trägt, andererseits aber für die Brückenwache auch die strikte Weisung der Schiffsführung galt, bei Problemen ausschließlich den Kapitän zu informieren, nahm das Unheil seinen geordneten Lauf! Der Lotse verließ sich vollständig auf seine PPU (Portable Pilot Unit – die ihn hätte „wecken“ sollen) und daddelte dabei noch mit einem Playback einer vorherigen Passage herum (wie er zu seiner Verteidigung aussagte), aber keiner auf der Brücke traute sich, ihn anzusprechen, denn er habe ja nun die bessere lokal-navigatorische Erfahrung und müsste es wissen. Und der Master wurde erst gerufen, als das Schiff schon still stand!
Empfehlungen der U.S. Coast Guard
Allen mit der Schiffsführung befassten Stellen wird folgendes empfohlen:
1. Sicherstellen, dass Brückenbesatzungen sich nicht von der Pflicht einer verantwortlichen Prüfung und aktiven Gestaltung des navigatorischen Geschehens entbunden fühlen, wenn sich ein Lotse an Bord befindet (bridge awareness, crew awareness, safety culture).
2. Entwickeln und Einrichten von Regelungen zum Gebrauch elektronischer Kommunikations- und Unterhaltungsgeräte im Dienst.
3. Für Lotsen-Unterstützungsanwendungen (z.B. PPU) muss eine Ausbildung und entsprechende Praxis (Übung) nachgewiesen werden.
4. Sicherstellen, dass Lotsen-Unterstützungsanwendungen – wenn eingesetzt – in den navigatorischen Ablauf auf der Brücke integriert werden (und nicht nur von zwei Augen gesehen werden . . .).
Ende der Fahnenstange! Aber warum muss man alles zweimal sagen?
Technik ist in der Seefahrt nicht mehr wegzudenken;)
Ajan