Wenn Marineinspekteur Vizeadmiral Jan Kaack wenige Tage nach Amtsantritt des neuen und alten Ministers Pistorius ein perfekt gestyltes Dokument vorstellt, ist klar: das produziert man nicht binnen einer Woche. Diese krachend klare Broschüre hat darauf gewartet, das erste indirekte und mit dem Generalinspekteur abgestimmte militärpolitische Statement von Boris Pistorius nach seinem zweiten Amtseid zu sein. Heute lud der Inspekteur eine kleine Runde ausgewählter Journalisten auf eine "Stadtrundfahrt zur See" ein. Er trug im Wesentlichen den Inhalt des neuen "Kurs Marine" vor, im Anschluß stellte er sich kritischen Hintergrundfragen der zum Teil fachlich vorbefassten Anwesenden. Es ging um russische Aggressionen in der Ostsee, Eindringen in Bundeswehrgelände, aber insbesondere um die Schwerpunkte der Arbeit der Marine. Dazu gibt es drei zentrale Fragen: Bedrohung, Operationsgebiet und die Zeit. Letzteres ist die größte Herausforderung, nioch vor Beschaffung und Personal.
So wie Jan Kaack sich heute auf der VIP-Barkasse „Marine 1“ in Berlin äußerte, wurde es deutlich: der Kurs Marine 2025 ist mehr als ein Strategiepapier. Er ist realistischer Vorstoß zur kampfstarken Marine. Klarer Anspruch. Wir werden bedroht, wir müssen uns vorbereiten, wir müssen kämpfen können. Abschrecken, um nicht kämpfen zu müssen. Das war im Kalten Krieg so. Und erfolgreich! Schon vergessen? Marineinspekteur Jan Kaack weiß das sehr viel besser als mancher in Berliner Politkreisen erahnt, denn er stand als Leutnant im Kalten Krieg auf der Brücke eines kampfbereiten und waffenstarrenden Schnellbootes der damaligen Bundesmarine in der Ostsee. Er weiß, wie man dem aggressiven Gegenüber eine klare Warnung zuwirft. Die Marine erinnert sich: dem Gegner ins Auge schauen. Auf dem Wasser und in der Luft. Plötzlich gilt genau das wieder: greift ihr uns an, tun wir euch weh. Nicht noch einmal. Die Gesellschaft will das nicht überall wahr haben, Minister Pistorius schon. Kaack stellte vor, was sich früher Minister und Ministerinnen medienfiebernd selbst vorbehalten hätten. Die Showtime ist aber vorbei, Verantwortliche dürfen heuer sagen, was ist. Müssen sie auch. Deutschland bezahlt sie dafür. Auch wenn es nicht jeder bequem findet.
Neuer Kurs
Mit dem „Kurs Marine 2025“ transformiert die Deutsche Marine ihr Zielbild aus dem Jahr 2023. Die inzwischen leicht statisch anmutende "Zeitenwende" wurde dynamisch weiterentwickelt. Das Dokument, das heute am 14. Mai in Berlin vorgestellt wurde, ist verblüffend klar: Abschreckung an der NATO-Nordflanke, schnelle Einsatzbereitschaft bis 2029 und ein technologischer Umbau bis 2035. Zugleich adressiert es schonungsfrei Lücken bei Munition, Personal und unbemannten Systemen. Man will bis 2029 kampfbereit sein. Innovativ sowieso. Dazu gab der Inspekteur in der Runde mehrere Beispiele, wie man vom Testen ins Beschaffen gekommen ist, sei es mit Iris-T oder Unterwasserdrohnen. Alles was schneller ist als der normale Weg, ist "Lichtgeschwindigkeit", wie der Vizeadmiral es nennt.
Nordflanke vor globaler Präsenz – Marine als Expertenträger
Während das frühere Zielbild globales Engagement beinhaltete, der Inspekteur sprach stets von „globally committed, locally rooted“, sieht der Kurs 2025 die Landes- und Bündnisverteidigung im Vordergrund. Die NATO-Nordflanke ist heute das Gefechts -Szenario der Marine – vom GIUK-Gap (Grönland, Island und Vereinigtes Königreich) über die Nordsee bis in den Finnischen Meerbusen. Das bedeutet auch: Auslandseinsätze erfolgen nur bei verfügbaren Ressourcen, sprich: Schiffen. Die Frage, ob eine Fregatte oder gar ein Verband auch im Jahr 2026 im Indopazifik operieren, wird damit indirekt beantwortet: RIMPAC 2026 findet wohl ohne die Deutschen statt. Die Zunahme hybrider Gefahren, etwa Sabotage an Unterseekabeln oder Pipelines werden erwähnt und die Rolle der Marine als nationaler „Experten-Träger“ für den Schutz kritischer Infrastruktur behauptet. Das Konzept ist Folge der russischen Bedrohung. Auch das Thema "Schattenflotte" wurde angesprochen. Wenn gefordert, würde die Marine auch hier bei Ersuchen Hilfe leisten.
Unmanned systems
Deutlich wird der konsequente Aufbau unbemannter Fähigkeiten. Future Combat Surface Systems (FCSS), Large Remote Multi-purpose Vessels (LRMV), Large Uncrewed Underwater Vehicles (LUUV) und VTOL-UAV (Vertical Take-Off and Landing Unmanned Aerial Vehicle) sind nicht mehr Vision, sondern gewollte Realität. Der Leitsatz lautet: 'Every unit a drone carrier'. Mit Hilfe unbemannter Systeme sollen Durchhaltefähigkeit und Wirkung erzielt werden. Ausgerechnet die Marine lernt vom landbasierten Krieg gegen die Ukraine. Es bleibt dem Marinechef auch nicht viel anderes übrig, denn bis 2029 wird keine der geplanten Fregatten, Tender und weiterer notwendiger Erneuerungen fertig werden. Er muss sich auf das konzentrieren, was bis zu einer denkbaren russischen Offensive gegen die NATO machbar ist.
Nicht mehr, sondern schlauer
Im Vergleich zum Zielbild 2035+ bestätigt der Kurs 2025 die wesentlichen Plattformzahlen: 15 bis16 Fregatten, sechs bis neun Korvetten, neun bis–12 U-Boote, acht Seefernaufklärer, 48 Marinehubschrauber. Neu hinzu kommen über 40 Mehrzweck-Kampfboote zur Unterstützung der Marineinfanterie sowie über 60 unbemannte See- und Luftsysteme. Die Marine wächst nicht über neue Kampfschiffe, sondern über flexible, teils autonome Kampfmittel. Auch das geht nicht anders, denn große Einheiten brauchen Personal. Und vor dem Hintergrund des Mangels und wenig klarer Aussichten zur Widerrufung der Aussetzung der Wehrpflicht bleibt auch hier dem Inspekteur keine andere Wahl.
Munition und Infrastruktur – Rückgrat der Einsatzfähigkeit
Ein kniffliges Thema erhält im Kurs 2025 erneut Priorität: Munition. Jan Kaack fordert dies mit Verve, denn eine Flotte kann natürlich nicht ohne ausreichende Bestände an Munition auskommen. Die Schließung von Marinestützpunkten war gestern, denn hinter Kaack steht der neue Außenminister Wadephul, der die Erstarkung von Bundeswehr- Infrastruktur besonders in Schleswig-Holstein anmahnt.
Personnel
Ein kritischer Faktor ist das Personal. Neue Technik ist nur so gut wie die Menschen, die sie bedienen. Nicht unwahrscheinlich, dass die Marine sich auch Bundeswehr-intern durchsetzen muss: sie hat wie alle TSK keine eigene Personalverantwortung. Das Bundesamt für Personalmanagement in Köln muss seine Anstrengungen zur Nachwuchsgewinnung auf die Bedarfe und Spezifikationen der Marine ausrichten. Einfach viele Menschen einzustellen, um viele Soldaten und Soldatinnen zu haben, reicht nicht. Nicht nur die Marine, die gesamte Bundeswehr braucht kluge Köpfe. Bleibt zu hoffen, dass das prozessverliebte Amt sich diesbezüglich noch mehr anpassen kann. Erste Effekte machen Hoffnung. Dazu gehören die Überlegungen zur Wehrpflicht. Kaack versichert, dass man sich gedanklich und personell darauf vorbereitet und auch muss. Aber es wird eine Weile brauchen, und der größte kritische Faktor für Kaack ist die Zeit.
Eng damit verbunden: die Ausbildung. Kriegsgerät verlangt intensives Training. Hier fordert der Kurs 2025 klare Priorität: realitätsnahe Ausbildung geht vor Auslandseinsatz. Die Marine setzt auf Wargaming und OPEX – doch Einsatzverpflichtungen bestehen weiterhin. Das geht so nicht weiter. Deshalb signalisiert Jan Kaack der Politik mit der Entsendung von „Non-Combat“-Einheiten in die Adria, dass ihm das nicht ins Konzept passt und – mit Recht – nicht passen darf.
Beef
Eine klein gesparte und oft klein geredete Marine ist an der Nordflanke die Schlüssel-Teilstreitkraft. Ohne die seewärtige Sicherung der Drehscheibe Deutschland keine Landes- und Bündnisverteidigung. Jede Teilstreitkraft, ob Heer, Luftwaffe oder Cyber hat ihre Rolle darin. Der traditionell eifersüchtige Kampf der Teilstreitkräfte um Ressourcen ist beendet, Geld ist genug da. Der Kampf um Deutschland ist die Priorität.
Der Inspekteur versicherte den Anwesenden, die nächsten Navy Talks würde es sicher geben und warum nicht in Rostock auf einer seegehenden Einheit? Wir sind gern dabei, tolles Format in schwierigen Zeiten, auch wenn viele Fragen offen bleiben müssen.
Text: Schlüter / Mergener
Foto Barkasse: hsc
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