Eigentlich muss man für diese Farce dankbar sein:
Der Streit über die geplante Ausflaggung des Kreuzfahrtschiffes "Deutschland", das als "Traumschiff" bekannt wurde, eskaliert. [... ] Der Kapitän und große Teile der Besatzung wehren sich dagegen, dass auf dem laut "Bild" letzten Kreuzfahrtschiff unter deutscher Flagge bald die Malta-Fahne wehen soll. Damit will die Reederei, die seit ihrer Insolvenz zum Finanzinvestor Aurelius gehört, Kosten sparen. [...] Zumindest während der Olympischen Spiele in London wird das Schiff aber noch die deutsche Flagge nutzen. "Es wäre peinlich gewesen, wenn Bundespräsident Joachim Gauck auf der MS Deutschland unter maltesischer Flagge Gäste Deutschlands offiziell empfangen hätte", sagte Wirtschafts-Staatssekretär Hans-Joachim Otto der "Bild"-Zeitung. [...]
Reederei jagt Kapitän von Bord des "Traumschiffs", Welt Online, 27. Juli 2012
Soviel zum Thema Identität, dieses PR-Desaster wäre sicherlich zu vermeiden gewesen. Die Reederei gibt an, mit der MS Deutschland allein im Jahr 2011 1,5 Millionen Euro operative Verluste eingefahren zu haben. Um die Verluste des Schiffes selbst und andere Verpflichtungen zu erfüllen, sei der Verbleib der MS Deutschland in deutscher Flagge nicht finanzierbar, so die Reederei. Mittlerweile hat die Reederei ihre Meinung geändert, die MS Deutschland soll auch weiterhin deutsch beflaggt sein.
Der Argumentation der Reederei Peter Deilmann folgen die meisten deutschen Reeder. Das führen der deutschen Flagge ist mit vergleichsweise hohen Kosten verbunden, die besonders im Personalbereich bemerkbar machen. Ausflaggung bedeutet, dass sich eine Reederei das Land quasi als Paten, unter dessen wirtschaftlichen und arbeitsrechtlichen Regularien sie sich begeben möchte, selbst aussuchen kann, unanbhängig von Nationalität und Standort der Reederei. Das führt dazu, dass zum Beispiel Panama mit 3,5 Millionen Einwohnern auf dem Papier mit etwa 6.400 die größte Handelsflotte der Welt führt (2010).
Das Ausflaggen deutscher Schiffe wurde schon vor zehn Jahren als Problem erfasst. 2003 wurde von der Bundesregierung eine Initiative gestartet, deren Maßnahmen den Anteil der etwa 4000 deutschen Schiffe, die unter deutscher Flagge fahren, auf 600 erhöhen sollten. Bedingung der Reeder war die Entlastung ihrer Reedereien von Kosten und Bürokratie. Seitdem fördert der Bund die Ausbildung und Beschäftigung deutscher Seeleute mit etwa 50 Millionen Euro jährlich, dieses Jahr waren es sogar knapp 60 Millionen Euro. Viel hat sich in den letzten 9 Jahren allerdings nicht getan und die angepeilten 600 wurden erst Recht nicht erreicht: etwa 490 Schiffe fahren zur Zeit unter deutscher Flagge.
Das PR-Desaster der Reedrei Peter Deilmann ist die eine Sache, maritime Identität findet eben auch hier statt, ist sogar der Unique Selling Point, denn Luxus-Hotel und Shoppen kann ich auch an Land! Ausflaggung mag die beschriebenen wirtschaftlichen Vorteile mit sich bringen, ist aber bei einem rein emotionalen Thema wie Kreuzfahrt den Passagieren sowie dem ZDF-Publikum nicht zu vermitteln und hätte die Marke "MS Deutschland" wahrscheinlich schneller Versenkt als jede Havarie das vermocht hätte.
Unverständlich ist ebenfalls, wieso es die vergangenen Bundesregierungen versäumt haben, sich der Ausflaggung deutscher Schiffe belastbar anzunehmen. Deutschland hat den Anspruch weltweit führend in Infrastruktur und Logistik zu sein, da ist es ein schlechtes Zeichen, wenn sich aufgrund hoher Kosten und Bürokratie die deutschen Logistiker zur See nicht zu dieser Flagge bekennen - nationale Corporate Identity und wirtschaftliche Glaubwürdigkeit gehen Hand in Hand!
Wie gesagt, eigentlich muss man froh darüber sein, dass diese Farce das Thema der Ausflaggung von deutschen Schiffe in den medialen Mainstream hieven konnte - wahrscheinlich hat es das Aufmerksamkeitspotenzial damit allerdings auch schon ausgereizt.
Für mich ist es erstaunlich, wie unterschiedlich sich die Politik zum Einsatz der Polizei bei verschiedenen Anlässen festlegt. Während der Polizeieinsatz zum Schutz vitaler deutscher Wirtschaftsinteressen und – wichtiger noch – der Sicherheit der Seeleute auf deutschen Schiffen abgelehnt wird, besteht man darauf, dass Fußballstadien nur durch Polizei zu schützen sind. Die Reeder werden darauf verwiesen, dass sie ihren Gelderwerb gefälligst selber zu schützen hätten, während sich die Polizei selbstverständlich um öffentliche Spektakel in Deutschland kümmert. Das passt nicht zusammen, ist allerdings in der öffentlichen Debatte einander auch noch nicht gegenübergestellt worden. Vielleicht ließe sich das in diesem Blog noch einmal intensiver aufnehmen, meint
the sailor
Sie haben eigentlich Recht. Dann bedarf es aber einer Diskussion, wie und mit welchen Mitteln man in Deutschland und für deutsche Interessen im Ausland diese Interessen schützen will. Dabei dürfte man gerade beim zuständigen Wirtschaftsministerium auf fragende Augen und Ablehnung stoßen, da man sich dort nicht als Ressort mit sicherheitspolitischen Interessen versteht. Das BMWi hat auch keine eigene Meinung vom Schutz weltweiter deutscher Seehandelsinteressen und damit auch der Seewege. Beim BMI liegen die
Interessen für Polizeieinsätze übrigens auch nicht auf einer gemeinsamen Linie (siehe Pirateriebekämpfung und Einsatz privater Sicherheitsfirmen). Wie bekommen wir beide Ministerien dazu, sich an diesem Blog zu beteiligen?
Weder in der Passagier- noch in der Frachtschifffahrt ist die Flaggenführung ein deutsches Problem. Auch die ‚Traumschiffe‘ von Cunard laufen ja nicht unter englischer Flagge!
Die Bundesregierung ist den Reedereien entgegen gekommen. Leider hat das offensichtlich nicht gereicht, um ökonomische Zwänge (?) zu überwinden. Die Frage stellt sich, wie weit deutsches Sozialrecht und deutsche Sicherheitsstandards bedingt werden müßten, um gegenüber dem Niveau beliebter Flaggenstaaten konkurrenzfähig zu werden? Und würde das nicht in anderen Wirtschaftsbereichen eine Welle von Gleichstellungsklagen provozieren?
Ich fürchte, auch die Deutschland wird nicht dauerhaft unter deutscher Flagge bleiben können. Es sei denn, deutsche Passagiere machen sich für deutsche Standards stark – und sind bereit, dafür zu bezahlen.
Meines Wissens gab es hinsichtlich dieser Zusicherung auch eine Gegenleistung (Tonnagesteuer und „Maritimes Bündnis“), die nun nicht weiter laufen soll……… Sie haben sicher nicht unrecht, dass Schutz vor Piraterie nur ein Nebenaspekt ist. Trotzdem stört mich die Aufgabe des Machtmonopols. Und ich vermag nicht zu glauben, dass die privaten VPD wie ein Sicherheitsdienst arbeiten. Dieses Analogon, gerne gezogen, um eine Begründung zu haben, ist mMn nicht stichhaltig. Es handelt sich um Polizeiarbeit und nicht um Pförtnerdienst.
Die Stichworte „Kostenreduzierung“ und „unter deutschen Tarif drücken“ hören sich nach zumindest gewerkschaftlicher Diktion an. Dass es ggf. um das blanke wirtschaftliche Überleben geht, mag auch passieren. Deutsche Seeleute sind ja auch nicht leicht zu finden, wer will schon noch zur See fahren (das merken wir bei der Marine nun wirklich sehr genau). Und wenn keine zu kriegen sind, muss ausgeflaggt werden, da ein rechtskonformer Betrieb sonst schlicht nicht möglich ist.
Sie haben natürlich völlig Recht: Mindestens zwei Seiten hat die Medaille „Ausflaggung“.
Wenn denn der Staat seiner Verpflichtung nachkäme, die deutsch geflaggten Schiffe zu schützen, gäbe es vielleicht etwas mehr Interesse der Reeder an einer schwarzrotgoldenen Flagge. Aber nein, das Gewaltmonopol will man nicht wahrnehmen und überlässt es Sicherheitsfirmen (ob dubios oder nicht), dies zu übernehmen. Der Einsatz von Kriegsschiffen am Horn von Afrika ist ja nur eine von vielen (notwendigen) Maßnahmen und gewiss nicht die kostengünstigste. Das sich der Staat nicht selbst die Ressourcen schafft, deutsch geflaggte Schiffe von hoheitlichen Sicherheitskräften (egal ob von Marine oder Bundespolzei oder gar Landespolizei je nach Heimathafen) beschützen zu lassen, ist der eigentliche Skandal.
Als Reeder oder sonstiger in der Schiffahrtsbranche Verantwortlicher würde ich Leistung ohne Gegenleistung auch nicht liefern können. Mal abgesehen vom Wollen………. Ausflaggen ist doch daher ggf. ein wirtschaftliches Muss.
Das Thema Ausflaggung hat kaum etwas mit der Piraterie am Horn von Afrika zu tun. Es gibt eine Zusicherung Deutscher Reeder, ca. 600 Schiffe unter deutscher Flagge fahren zu lassen. Derzeit sinkt die Zahl und ist unter 300 angekommen. Hier geht es um Kostenreduzierung und Personalkosten unter deutschen Tarif drücken (siehe MS Deutschland).
Von Schiffen unter deutscher Flagge waren 2010/11 nur zwei Schiffe von Piratenangriffen betroffen.
Daher: nicht jedem Geschrei in der Öffentlichkeit und Medienlandschaft folgen.
Traumschiffdebatten greifen zu kurz. Für die Hamburger ist nicht MS Deutschland sondern Queen Mary 2 das Traumschiff. Und mit einem „Traumschiff“ kann man kaum globale Handelsinteressen verdeutlichen.
Frachtraten bestimmen die Rentabilität von Handelsschiffen. Wenn diese einbrechen, hilft nur der Versuch, an der Lohnschraube zu drehen. Dies geht über Ausflaggung. Auf dem Festland heißt dies normalerweise Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer. Dies hat eher mit Ökonomier verstehen als mit Meer verstehen zu tun.
Die Frage von Moi, wieviel darf nationale Identität kosten, trifft den Kern. Die Reederei hat schlicht das Medien-Universum nicht verstanden: Man kann alles ausflaggen ausser dem Traumschiff! Die Antwort auf die o.a. Frage lautet: Man kann soviel ausflaggen, wie die öffentliche Meinung zulässt. Und dieser Blog muss dazu beitragen, maritime awareness (Meer verstehen) zu stärken. Wir brauchen noch mehr Traumschiff-Debatten!
„Geiz ist geil“ … das gilt ganz besonders für Dienstleister! Kann man etwas dagegen haben? Nein! Schließlich sind es die Konsumenten, die den Preis bestimmen. Würde Bundesbürgerlein für eine Kreuzfahrt mehr bezahlen wollen, nur weil eine deutsche Flagge am Heck weht? Ganz bestimmt nicht! Also, wen wundert es, dass eine Reederei versucht, Kündigungsschutz, Tarifentgelt, Betriebsräte, Mutterschutz, 36 Stunden Wochen, Sozialabgaben, etc. zu umgehen? Vielleicht kann mir jemand die Frage beantworten, was nationale Identität kosten darf und wer es bezahlen soll?