Seehandel mit Russland und Ukraine – impacts on global logistics and ship-building markets - von Prof. Dr. Uwe Jenisch
Die Lieferungen von Öl-. Gas-, Kohle, Getreide und Rohstoffen aus Russland per Schiff entfallen weitgehend. Der Container-, Fähr- und Feederverkehr mit russ. Häfen ist ausgedünnt. Neue Ladungen für und aus Russland werden abgelehnt. Russische Schiffe werden in vielen Häfen der Welt abgewiesen oder auf Boycottware verstärkt kontrolliert.
Pipelines bleiben vorläufig offen. Das Schwarze und das Azowsches Meer sind versicherungsrechtlich „war zone“, womit der Verkehr zum Erliegen kommt. GPS interference & AIS spoofing in der Region. Über 100 Handelsschiffe unter diversen Flaggen sind mit rund 1000 Seeleuten in der Region festgesetzt. Es gibt Bemühungen um deren Evakuierung. Mindestens 5 Handelsschiffe wurden beschossen (2 Tote). Die Ukraine verliert Häfen und damit wesentliche Im- und Exportmöglichkeiten.
Für die deutschen Häfen ist Russland mit 24,1 mio t ein großer Kunde mit 9% Anteil am jährlichen Umschlag. Die deutsche Abhängigkeit von russ. Einfuhren besteht nicht nur bei Gas und Öl sondern auch bei Nickel, Titan, Aluminium, Kupfer, Palladium, also Schlüsselmetalle für „green economy“!!
Russische Marine im Krieg
Effektive Seeblockade ukrainischer Häfen mit russ. Kriegsschiffen.
Angeblich rund 400 Anker-Mines älterer russ. Bauart vor Odessa und auf Schifffahrtswegen bis zum Bosporus (teils treibend), vermutlich von Russland gelegt. Türkei und Rumänien haben einzelne Minen unschädlich gemacht.
Mindestens vier mittelgroße Landungsschiffe (Ropucha- und Alligator-Klasse) ca. 4000 t, je 20 Kampfpanzer, 300 Soldaten sind bisher nicht zum Zuge gekommen, 1 Alligator versenkt.
Zahlreiche russ. cruise missiles zum Landzielbeschuss von Schiffen aus. Alle russ. „Abstandswaffen“ bleiben gefährlich.
Ukraine ist sehr erfolgreich auf See und an Land mit türkischen (!) Kampfdrohnen. Die ukr. Luft- und Raketenabwehr ist jedoch ungenügend.
Nachschub über See für russ. Besatzungstruppen in der Ostukraine ist weiter möglich, da russ. See- und Luftherrschaft.
Illegale Angriffe auf unbeteiligte Handelsschiffe, s. o.
Russ. Verstärkungen via Türkische Meerengen kaum möglich, daher kaum Reserven der Marine.
Russ. Streitkräfte in Syrien könnten Versorgungsprobleme bekommen.
Russ. Handelsflotte scheidet aus dem Welthandel aus
Ladungsanteile am Weltmarkt: Tanker 5,2%, LNG 6%, Kohle 15%, Bulker insges. 3,7%, Container 3%
Eigentumsanteile (owned & operated): Tanker 7,4%, LNG 3,5%, Bulker 0,8%
Anteil an Superyachten: 7-10%, derzeit weltweit auf der Flucht bis nach Wladiwostok (Washington Post: „Schadenfreude at sea“).
Allgemein: Tendenz zur Flucht aus russ. Flagge; Boykott des russ. Registers & Klassifikationsge-sellschaft.
Rd. 200.000 russ. Seeleute (10,5% von 1,9 Mio. weltweit) arbeiten auf 74.000 Seeschiffen (Ukraine 4% Seeleute). Diese 15 % Seeleute sind betroffen, da ihre Bezahlung, Heimflüge und Crewwechsel notleidend werden. (Ähnliche Probleme sind für zehntausende LKW-Fahrer in Europa zu erwarten.) Russ. Handelsschiffe und Yachten teilweise weiter getarnt (AIS abgeschaltet) unterwegs.
Meerengen
Türkische Meerengen sind für Kriegsschiffe (auch NATO) gesperrt. Russ. Marine kann von außerhalb nicht verstärkt werden (geringe Ausnahmen möglich für Russ. Kriegsschiffe, deren „Heimathafen“ im Schwarzen Meer liegen). Straße von Kertsch für Seeverkehr geschlossen. Der Kiel Canal könnte ggf. gesperrt werden, da keine internationale Wasserstraße, aber Wirkung wäre minimal. Dänische Meerengen bleiben frei.
Schiffbau, Werften, Meerestechnik
Laufende Schiffbauaufträge russischer Eigner bei Werften in Europa und Asien (z. B. Superyachten und LNG-Tanker) werden notleidend, ebenso laufende und zukünftige Neubauaufträge für Kriegs- und Handelsschiffe auf russ. Werften. Dazu kommt die Ungewissheit über die weitere Entwicklung des Seehandels und Bedarf an Transportraum. Wegen der extrem hohen Frachtraten bestellen Reeder trotzdem Neubauten in Asien für Container, Tanker und LNG!
Beschleunigung des maritimen Wettrüstens (welche Schiffstypen und Waffen bewähren sich?)
Offshore Energie- (Wind, Öl, Gas) und Rohstoffgewinnung (Meeresbergbau) haben Zukunft.
Welthandel und Seeverkehr
Der extreme Anstieg der Frachtraten und der Treibstoffe (Schweröl und Diesel) sowie der ohnehin kostenintensive Zwang zur Umrüstung auf saubere Schiffsantriebe verteuern ab sofort alle Güter. Allgemeine Unsicherheit und Attentismus führen zu Rückgängen des Weltseehandels, einschl. Kreuzfahrten. Keine neuen Geschäfte mit Russland. Flucht von Personen, Kapital, Firmen und Schiffen aus Russland.
Grundsätzliches Überdenken des Chinahandels, Störung der Seidenstraße(n) und der Luftfrachtwege nach Asien.
Für alle Staaten gilt: Viele Lieferketten sind gestört und erfordern Neuorientierung insbesondere für Energieversorgung und für Rohstoffsicherheit (neue Bezugsmöglichkeiten?) Die Umstellung auf „green econonmy“ und Kampf gegen Klimawandel sind zurückgeworfen. Betroffen sind besonders die stark seeabhängigen Staaten wie China und Deutschland/EU. Chinas Haltung bleibt diffus, obwohl der Staat (eigentlich) ein Interesse an sicheren und ungestörten Handelswegen und sicheren Kundenbeziehungen hat.
Die Auswirkungen auf Dritte Welt – z. B. Nahost und Afrika - sind voraussichtlich katastrophal, wenn Nahrungsmittel/Getreide und Energie deutlich teurer werden (30% des Weltweizenhandels, auch Sonnenblumenöl (51%), Gerste (26%), Mais (15%), Raps(12 %) gehen via Schwarzes Meer). Verarmung und Migration sind zu erwarten.
ALLE wirtschaftlichen Auswirkungen werden längere Zeit spürbar bleiben.
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