BAE Systems nutzte die EuroNaval um erstmalig das Konzept einer "anpassungsfähigen" Fregatte vorzustellen. Ihre wesentlichen Merkmale sind Modularität und Integration autonomer Systeme, deren Einsatz in allen drei Dimensionen (über, unter und auf dem Wasser) vorgesehen ist. Damit soll die Fregatte Kampfkraft und Präsenz in das Operationsgebiet einbringen können. Außerdem soll sie konfigurierbar sein für unterschiedliche Szenarien, z.B. als Teil einer Flugzeugträger-Einsatzgruppe, oder als einzeln operierende Einheit.
Um auch in unterschiedlichen Führungs- und Einsatzstrukturen die dazu an Bord integrierten Systeme effektiv einsetzen zu können, erfordert dies BAE zufolge einen Neuansatz bei der Konstruktion von Kriegsschiffen. Offene Architekturen sollen die Anpassungsfähigkeit der Adaptable Strike Frigate ausmachen, so dass in einer schnelllebigen Technologienwelt neu entwickelte Systeme aufgenommen und unterschiedliche Kundenanforderungen bedient werden können.
Die in Le Bourget genannten Details deuten auf ein Schiff von ca. 130 Metern Länge bei einer Verdrängung von etwa 6.000 Tonnen und einer Stammbesatzung 60 Mann hin.
Anders denken!
Das Modell des in Le Bourget ausgestellten Konzeptschiffs weist eine deutliche Zweiteilung auf: Der vordere Teil entspricht einer modernen Fregatte - auf der achteren Hälfte erstrecket sich prominent die Missionsbucht mit einer Heckrampe und einem Aussetz- und Bergesystem, darüber das Flugdeck.
Der vordere Teil des auf der EuroNaval gezeigten Modells der Adaptable Strike Frigate zeigt die für eine Einheit dieser Klasse übliche Bewaffnung. Ein 57-Millimeter Turm, VLS-Zellen sowie die SeaCeptor-Anordnung (die „Pilz-Farm“ der Royal Navy) bestimmen das Bild des Vorschiffes vor dem Decksaufbau. Vor dem Hauptmast mit einer generischen Radar- und ISR-Konfiguration erstreckt sich auf dem Deckshaus genügend Fläche für Sensoren- und Kommunikationssysteme. Die auf der EuroNaval ausgestellte Konfiguration ist als Platzhalter zu verstehen - die seitlich des Modells angeordneten weiteren Bewaffnungsoptionen Phalanx-CIWS und Railgun deuten darauf hin.
Das Flugdeck ist bei dem Modell transparent ausgeführt und erlaubt den Blick in die sich über die gesamte Länge und Breite des Achterschiffes erstreckende Missionsbucht. Dort befinden sich zwei autonome Überwasserfahrzeuge ARCIMS (Atlas Elektronik Remote Combined Influence Minesweeping System), von denen Atlas Elektronik fünf Ausstattungsvarianten sowohl zur Minenbekämpfung, für die U-Jagd, als auch für sonstige Einsatzzwecke anbietet. Da diese 11 Meter Länge aufweisen, erhält man einen Eindruck von den räumlichen Dimensionen unter Deck.
Das Flugdeck über der Missionsbucht soll einen großen Transporthubschrauber aufnehmen können. Der sich nach vorn anschließende Hangar ist für einen mittelgroßen Hubschrauber an Steuerbordseite und mittig angeordnet diverse Flugdrohnen ausgelegt. Weiter nach vorne folgen seitlich große Missionsbuchten für RHIBs oder ähnliche Einsatzboote. Beim Blick ins Innere der Missionsbucht fallen neben den Aufnahmemöglichkeiten für USV, UUV und ROV die Stell- und Verbringeinrichtungen für Container auf. Sie können entweder seitlich gelagert werden, oder an andere Stellen innerhalb des Schiffes per Tunnel oder Aufzug bis auf das Mitteldeck verschoben werden.
Die Royal Navy hat sich ohnehin dem PODS-Konzept verschrieben (Persistent Operational Deployment System), bei dem containerisierte Ausrüstungsmodule - nach dem "plug-and-play"-Prinzip an Bord gegeben - der jeweiligen Einheit spezifische Aufgabenwahrnehmung ermöglichen. Damit lassen sich Plattformen bei sich verändernden Voraussetzungen in kürzester Zeit rekonfigurieren, z.B. durch Abstellen von bis zu 20 Containern in der Missionsbucht oder auf dem Oberdeck, aus denen dann Waffensysteme oder UAVs betrieben werden können. PODS, das 2021 vorgestellt wurde, ist Bestandteil des Programms ‚Think Differently‘. Die Royal Navy möchte sich mit alternativen Ansätzen neue Handlungsoptionen für einen operativen Vorteil erschließen.
Ungewöhnlich ist auch die Antriebsanordnung: Zwei Propellergondeln gruppieren sich um eine Welle mit einer Propeller-Ruderblatt-Konfiguration.
Proteanisch
Mit dem Konzeptschiff hat BAE das zukünftige Programm einer Fregatte Type 32 im Auge. Das im März 2021 im Leitdokument des Verteidigungsministeriums "Defence in a competitive age" – neben anderen verteidigungsinvestiven Projekten und Grundsätzlichem zur Streitkräftestruktur – erstmals erwähnte Programm sieht eine Klasse von bis zu fünf Mehrzweckfregatten vor, die ab Anfang der 2030er Jahre ausgeliefert werden sollen. Sie sollen in der Lage sein, sowohl unabhängig zu operieren, als auch in Einsatzgruppen integriert zu werden. Type 32 wird als eine neue Generation von Kriegsschiffen gesehen, die den Ansprüchen des im September 2022 veröffentlichten Maritime Operating Concept (MarOpC) entspricht. Dies formuliert die Marine als eine proteanische und auf dem Globus verteilte Streitkraft (‚distributed protean force‘). Proteanisch heißt hier wandlungsfähig und bedeutet für Marineeinheiten die Abkehr von deren Optimierung auf spezifische Aufgaben. In Zukunft sollen sie ihre Ausrüstung den Erfordernissen der jeweiligen Situation anpassen können. Die Royal Navy möchte hin zu Einheiten, die aus einer Reihe von Systemkomponenten bestehen, die zwar untereinander austauschbar sein sollen, aber als kooperatives System miteinander bruchfrei agieren können (system of sytems), wie es heute noch nicht üblich ist.
Die Kosten eines solchen Konzepts sind bisher nicht in Betracht gezogen worden. Britische Medien schätzen den Preis der zukünftigen Adaptable Strike Frigate auf 300 Millionen GBP (350 Millionen Euro). Dabei dürfte es sich um die Plattform selbst - ohne die erwähnten Module und Missionspakete - handeln.
Kratzen an intellektuellen Grundlagen
Die zukünftige Type 32-Fregatte der Royal Navy nimmt Konturen an. Das in Le Bourget vorgestellte Modell weist wegweisende Merkmale auf - ob sie sich durchsetzen, bleibt abzuwarten. Konzeptionell scheint die Royal Navy gewillt, zu neuen Ufern aufzubrechen. Die Adaptable Strike Frigate könnte bei ihrer Realisierung eine tatsächliche Veränderung markieren. Es wäre ein Schritt weg von der Optimierung hochspezifischer Plattformen hin zu einer Kampfgruppe mit voneinander abhängigen und austauschbaren Systemkomponenten, die für sich skalierbar und flexibel zusammensetzbar sind. Dabei mutiert die Fregatte vom reinen Sensoren- und Waffenträger zum Mutterschiff unterschiedlicher Subsysteme, die auf die jeweilige Aufgabe zugeschnitten zum Einsatz kommen. Beim britischen Ansatz schaffen nicht die Flaggenstöcke Überlegenheit im Seegebiet. Kräfteprojektion wird anders verstanden.
Letztendlich endet es nicht bei der Austauschbarkeit von Systemen und Untersystemen. Der Ansatz erfasst auch die Grundlagen von Seestreitkräften – Doktrin, Ausbildung, Logistik.
Inwieweit sich der Ansatz durchsetzt, bleibt abzuwarten. Eine Überlegung ist er wert!
0 Kommentare