Zum 62. Mal lud die Marinezur Historisch-TaktischenTagung ein. Bericht voneinem hochklassigen Eventmit Tradition, Foto: Bw/Nico Theska

Zum 62. Mal lud die Marine zur Historisch-Taktischen Tagung ein. Bericht von einem hochklassigen Event mit Tradition, Foto: Bw/Nico Theska

Leadership as a tradition

Nach der erzwungenen Pause durch die Coronapandemie kamen führende Köpfe der Marine erstmals wieder Historisch-Taktischen Tagung zusammen. Zum 62. Mal lebte der fruchtbare Dialog zwischen jungen und erfahrenen Offizieren auf.

Es ist die jährlich im Januar wiederkehrende Veranstaltung der Deutschen Marine: die Historisch-Taktische Tagung. Aber so nennt sie niemand in Marinekreisen. Es ist die HiTaTa, die nun im Tagungshotel in Linstow nach zweijähriger covidbedingter Pause zum 62. Mal seit der Premiere 1957 stattfand. Vom damaligen Kommandeur der Seestreitkräfte, Konteradmiral Rolf Johannesson, initiiert, um in offener und kritischer Atmosphäre aus der Geschichte zu lernen, hat sich das Format kontinuierlich weiterentwickelt. Diese mythosumwobene Tagung dient dem fachlichen Meinungsaustausch sowie der Netzwerkpflege.

Die HiTaTa ist eine alte und schwerlich kopierbare Marinetradition. Wer nicht Marineoffizier ist oder nicht zum Rund der Marineverbände und Unterstützer gehört, muss draußen bleiben. Auch die Presse ist nicht zugelassen, schließlich sagt man sich hier auch mal die Meinung und dies unabhängig von Dienstgrad, Alter und Position. Die Tagung hat gewisse Regeln, die sich Außenstehenden nicht unbedingt erschließen, aber dazu gehört unter anderem, dass dies kein wissenschaftlicher Kongress ist, dass Anstand gewahrt werden muss und Humor nicht verboten ist. Zudem gilt bei der HiTaTa, dass zwar den Vortragenden tosender Beifall gebührt, den Vorgesetzten aber nicht applaudiert werden darf. Traditionen eben. Geblieben ist all die Jahre die offen und kritisch dargebotene Auseinandersetzung der Tagungsteilnehmer mit marinegeschichtlichen und aktuellen Themen. Dabei gilt die Regel: Der Dienstgrad tritt bei Vortragenden und Beitragenden deutlich hinter die Qualität der Ausführungen zurück.

„Die Marine meldet nicht blank“, so Vizeadmiral Kaack, Fotos: Bw/Nico Theska

„Die Marine meldet nicht blank“, so Vizeadmiral Kaack, Fotos: Bw/Nico Theska

Auch das diesjährige Leitthema  „Zeitenwenden und Umbrüche – 175 Jahre deutsche Marinen“ war nicht als selbstlobendes Geburtstagsgeschenk gedacht, denn der erstmals als Befehlshaber der Flotte anwesende Vizeadmiral Frank Lenski hatte als Gastgeber nicht nur die Tagung „aus der Quarantäne geholt“, wie er es formulierte, sondern den 550 Teilnehmerinnen und Teilnehmern auch eine Weiterentwicklung beschert, die man zwischen den Zeilen seiner Abschlussrede auch als „nicht weiter so“ interpretieren konnte.

Zeitenwende und Mindset

Aber von vorn: Es ist ebenfalls gute Tradition, dass ein Gastredner eingeladen ist. Immerhin konnte die Marine 2019 sogar Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier anziehen. Diesmal war es der Staatsminister im Auswärtigen Amt Tobias Lindner, der den Marineangehörigen für ihren „wichtigen Dienst“ dankte. Er betonte die durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erhöhte Bedeutung der Nordflanke für die Sicherheit Deutschlands und seiner Partner. Die eingetretene Zeitenwende erfordere in Politik und Streitkräften eine Wende im Mindset. Tobias Lindner gab zu, eine andere als die marineblaue Uniform getragen zu haben, eine Bemerkung, die mit freundlichem Lachen im Publikum quittiert wurde. Die Tatsache, dass ein Politiker sich auch dadurch zur Bundeswehr bekennt, tut nicht nur in Marinekreisen stets gut. Und so war auch seine Rede stets freundlich formuliert, besonders seine Hinweise aus der täglichen Arbeit des Auswärtigen Amts zur Bedeutung der Marine für den diplomatischen Dienst. Insbesondere Schiffsbesuche seien hochwillkommen, darauf wies er im Zusammenhang mit der Entsendung der Fregatte Bayern in den indopazifischen Raum ausdrücklich hin.

Anders als in der Vergangenheit, bei der der Inspekteur der Marine als Gast der HiTaTa zum Abschluss seine Führungsgedanken für das Jahr formulierte, sprach Vizeadmiral Jan Christian Kaack bereits am ersten Tag. Nach den Dankesworten kam er direkt zum Punkt: „Seestreitkräfte sind eines der flexibelsten Instrumente der Politik, politische Schwerpunktsetzung mit wenig Aufwand, maximaler Aufmerksamkeit und dazu meist im hoheitsfreien Raum.“ Die Demonstration von Seestreitkräften sei eine freundliche Geste für Wertepartner, aber auch ein Signal an mögliche Gegner, so Kaack, der darauf anspielte, wie die Marine im abgelaufenen Jahr gleich zweimal innerhalb kürzester Zeit auf historische Ereignisse reagiert hatte: am 24. Februar, dem Tag des Angriffs Russlands auf die Ukraine und am 26. September, als die beiden Nord-Stream-Pipelines zerstört wurden.

Debatte mit FregattenkapitänNorman Bronsch, Foto: Bw/Nico Theska

Debatte mit Fregattenkapitän Norman Bronsch, Foto: Bw/Nico Theska

Er leitete Aufgaben und Herausforderungen ab, auf die sich die Marine mit einem Zielbild 2035 einstellen werde. Die Marine „meldet nicht blank“, die Menschen in der Marine haben eine „Can-do-Mentalität“ und mit der Zeitenwende habe Bundeskanzler Olaf Scholz uns allen aus der Seele gesprochen und damit das Thema Sicherheit stärker in die Gesellschaft eingebracht, so Kaack. Er sprach ferner von einem abrupten Mentalitätswechsel, der nun eintreten müsse. Drei Dinge leitete er hieraus ab: „Zurück in die Zukunft, die neue alte Rolle der Marine, zweitens die Chancen der Zeitenwende erkennen und nutzen und drittens Ressource Personal.“ Er blickte auf die beiden potenziellen neuen NATO-Partner im Nordflankenraum, bewertete die zunehmende Stärke der russischen Marine, die neuen Schwerpunkte der amerikanischen Seestreitkräfte und formulierte die Rolle der Deutschen Marine“, die sich der Landes- und Bündnisverteidigung unterzuordnen habe, als „regionally routed and globally committed“.

Seit Jahren warne die Marine vor möglichen Angriffen auf die maritime Infrastruktur, der Angriff auf die Nord-Stream-Pipelines beweise, welch „massive Einwirkung das auf unsere Gesellschaft haben kann“. Zum Sondervermögen äußerte er sich kritisch und sprach von einer „Palliativmaßnahme“, wenn dies nicht mit einer Steigerung des Wehretats einherginge. Kaack erwartet eine Verbesserung der Verfügbarkeit von Marineeinheiten durch den Erwerb der Warnowwerft und deren Umgestaltung zum Marinearsenal. Perspektivisch werde in den nächsten drei Jahren für die Marine die größte Herausforderung die Personalgewinnung und -bindung sein: „Gute Leute muss man haben“, so Kaack wörtlich. Dabei wünschte er sich die Marine als „Talentmodell“ und forderte die Anwesenden auf, sich mit Ideen in die Verbesserung und Zukunftsfähigkeit der Marine einzubringen.

Die Sicht junger Offiziere

Der Kern der HiTaTa sind aber stets die Vorträge der mehrheitlich jüngeren Offiziere. Den Reigen begann Kapitänleutnant Joachim Mrnka vom Marinefliegergeschwader 5. Er behandelte eine auf der Höhe des Kriegsbilds befindliche und dadurch bedrohungsgerechte Flottenrüstung. Kapitänleutnant Annika Klußmann-Bahnemann vom BAAINBw (Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr) befasste sich den Wechselwirkungen von Taktikentwicklung und technischer Innovation. Oberleutnant zur See Simon Baumgärtner von der Marineoperationsschule stellte die Frage, inwieweit aus Seeschlachten und Kriegen der Vergangenheit Ableitungen für militärisches Handeln in Gegenwart und Zukunft getroffen werden können. Oberleutnant zur See Louise Kalz von der Fregatte Hessen präsentierte Probleme der Personalgewinnung und -bindung aus Vergangenheit und Gegenwart. Kapitänleutnant Kai Stehrenberg, ebenfalls von der Marineoperationsschule, diskutierte Konstanten und Brüche im Umgang mit der Tradition seit Gründung der ersten deutschen Marine durch das Paulskirchenparlament vor 175 Jahren. Ausgewählte Reden wird das marineforum in zukünftigen Ausgaben veröffentlichen.

Ebenfalls Tradition der HiTaTa ist es, einen Gesellschaftsabend zu feiern, in dem man sich bei gutem Essen dem Netzwerk widmet. Begleitet wurde der Abend durch das Marinemusikkorps Kiel, das erstmals durch Kapitänleutnant Inga Hilsberg geleitet wurde. Ein neuer Sound im Kreise der Marine: Abba statt Märsche, ein Sinnbild für die Zukunft?

Kapitänleutnant Annika Klußmann-Bahnemann während der Aussprache, Foto: Bw/Nico Theska

Kapitänleutnant Annika Klußmann-Bahnemann während der Aussprache, Foto: Bw/Nico Theska

Jedenfalls griff der Befehlshaber der Flotte, Vizeadmiral Lenski, in seinem Resümee das Thema Marschmusik auf und wie man zukünftig damit umgehe. Er dankte zunächst den Referentinnen und Referenten für ihre Vorträge und „dass sie den Mut hatten, hier anzutreten“. Er zitierte die aktuellen Bezüge und ging auf einige Aspekte der Vorträge ein. Dabei zitierte er, dass die „größte Gefahr im Moment des Sieges“ läge und bezog sich dabei auf die Fehler der Reduzierungen der vergangenen Jahrzehnte. Auf Handlungsfähigkeit käme es an und darauf, alte Prozesse in Frage zu stellen und sich „auf Kernprozesse zu konzentrieren“.

Auch bei der Personalgewinnung sah er erhebliche Parallelen zu früher und man müsse lernen, sich mit der Motivation jüngerer Generationen umzugehen. Er erwähnte den Umgang mit Tradition und erklärte die Bedeutung der Art, „wie wir führen, wie wir mit Vorbild führen. Gute Führung als Tradition, was Besseres kann ich mir gar nicht vorstellen.“ Zudem mahnte er an, sich mit Blick auf die HiTaTa mehr um Historie zu bemühen und äußerte die Befürchtung, dass Marinehistoriker aussterben, obwohl sie unverzichtbar seien. Die Arbeit der Marine im vergangenen Jahr fasste er mit den Worten zusammen: „Wir haben eine großartige Bilanz hingelegt, beispielhaft, prompt und professionell.“

Mit Blick auf die Zeitenwende erwähnte er aber auch die Defizite. Die seien bekannt, jetzt müsse man damit umgehen. Dabei haben die Flotte und ihre Einsatzbereitschaft für ihn absolute Priorität. Er deutete an, dass man anhand mehrerer Aspekte die eingeschlagenen Wege überprüfen werde.
Traditionell ist die erste Sitzreihe mit den Vorgängern der Führung der Marine besetzt. Ob sich deren Mienen bei den Aussprachen zu den Vorträgen und bei der Abschlussrede des Befehlshabers erhellten, ist daher für die hinteren Reihen nicht ersichtlich.

Sowohl die Auswahl der Vorträge als auch die Form der HiTaTa zeugten vom Willen einer Weiterentwicklung, nicht nur wegen der letztjährlichen Ereignisse. Auch das ist eine Tradition, und wie man hört, soll es im nächsten Jahr moderate Änderungen geben, beginnend bei den Teilnehmern. Die HiTaTa ist nach dem Willen ihres Gründers eine Veranstaltung der Flotte für die Flotte, und die sollte jung sein.

Holger Schlüter

In einer vorherigen Version wurde fälschlicherweise angegeben, Frau Kapitänleutnant Annika Klußmann-Bahnemann sei vom BAIUDBw. Das ist unrichtig, Sie ist im BAAINBw (Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr) tätig. Sie ist Angehörige der Gruppe Unterseeboote in der Abteilung See. Wir bitten, den Fehler nachzusehen.

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