Mit Entschlossenheit zur Trendumkehr

24. May 2024 | Headlines, News, Schiffbau | 0 comments

Schiffbauindustrie fordert industriepolitische Entschlossenheit aus Brüssel und Berlin

VSM Präsident Harald Fassmer (re) und Geschäftsführer Dr. Reinhard Lüken

VSM Präsident Harald Fassmer (re) und Geschäftsführer Dr. Reinhard Lüken

Der VSM – Verband für Schiffbau und Meerestechnik e.V. lud zur jährlichen Pressekonferenz ins ehrwürdige Slomanhaus am Steinhöft in Hamburg. Und die Medien kamen: es ist zu spüren, dass die maritime Seite unseres Lebens in Deutschland langsam bemerkt wird. Zuviel ist auf den Seewegen passiert, aber es ist noch nicht überall angekommen: Deutschland ist eine maritim abhängige Nation. Das zu betonen, wird der VSM nicht müde. Und so erging ein Appell des VSM an die Europäische Union und die Bundesregierung, ein industriepolitisches Konzept vorzulegen, das eine Rückkehr zu dem erforderlichen Wachstum ermöglicht und so der strategischen Bedeutung der maritimen Industrie gerecht wird, der im Namen der deutschen Schiffbauindustrie spricht.

Arbeitsplätze und Milliardenumsatz

Nach der Eröffnung durch den Geschäftsführer des Verbandes, Dr. Reinhard Lüken, sprach der Präsident, Harald Fassmer, mahnend eindringliche Worte. Er sagt, dass Schiffbau mehr als nur eine Technikbranche sei. „Es geht um rund 200 000 Arbeitsplätze mit einem Gesamtumsatz in der Größenordnung von ca. 35. Milliarden Euro. Für den Bereich Offshore Windenergie kämen noch mal fortgerechnet 10 Milliarden Euro hinzu. Das entspricht dann zusammen 1% des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Außerdem kommen die meisten Bürger unseres Landes eher selten oder nie mit unseren Produkten in Berührung. Das spiegelt sich dann auch in öffentlichen Diskurs entsprechend wider. Andererseits ist aber das Bewusstsein für die große strategische Bedeutung der Maritimen Wirtschaft in den letzten Jahren gestiegen“. Er verwies auch auf die Bedeutung kritischer Infrastrukturen wie Seekabel und Internetverbindungen. „Wir müssen unsere maritimen Fähigkeiten, unsere Kompetenz und unsere Kapazitäten gerade im Schiffbau wieder stärken.“ betonte er. Dass sei das, was wir Trendumkehr nennen. Wie ernst es der VSM mit der Analyse der Branche meint, sieht man am gewohnten Jahresbericht des VSM, der sehr umfänglich die Sachlage der Branche beschreibt und die Aktivitäten des Verbandes offenlegt.

Maritime Industrie ist in ganz Deutschland

"Schiffe gehören zu den komplexesten Produkten, die von Menschenhand hergestellt werden. Dabei spielt die Werft als Gesamtverantwortliche für das Bauvorhaben eine zentrale Rolle, hier kommen alle Beteiligten zusammen, dort werden all die Subsysteme zu einem Ganzen". In Deutschland würden vornehmlich Schiffstypen wie Kreuzfahrtschiffe gebaut. Dazu gäbe es Hunderte hochspezialisierte Zulieferunternehmen. Dazu gehört viel mehr als nur die Brücke und der Hauptmotor, dass ginge vom Rettungsmitteln über Frischwassererzeugung bis hin zur Kläranlage und Küchen, von Kabinen bis zum Theater. „Die maritime Industrie in Deutschland umfasst rund 2.800 Unternehmen vom Bodensee bis zur dänischen Grenze. Schiffbau ist also kein norddeutsches Thema, diese Erkenntnis ist leider nicht sehr weit verbreitet, besonders nicht südlich des Mains.“ sagte Harald Fassmer. Ohne eine effiziente Zulieferindustrie könne kein Schiff entstehen und im Schiffbau habe eine nationale Wertschöpfung von 70%. „Last but not least, wir feiern dieses Jahr 50 Jahre Zulieferindustrie innerhalb des Verbandes für Schiffbau und Meerestechnik. Der Verband selbst wird dieses Jahr 140 Jahre alt.“

Licht am Ende des Tunnels

Damit meinte der Präsident, dass man die Lage langsam wieder in den Griff bekäme, denn die Folge der Pandemie, des Krieges, der Lieferkettenstörung und des Inflationsdrucks habe Spuren hinterlassen. Er bedauerte, dass Schiffe abgeliefert wurden, die vor der Pandemie bestellt waren und die Festpreiskalkulation nach der Inflation nicht mehr stimmte. Die zurückliegenden 3 Jahre hätten die Eigenkapitaldecke der Industrie sehr belastet. „Licht am Ende des Tunnels, weil die Lieferketten wieder stabiler werden und neue Aufträge eingehen.“ Nur die Rahmenbedingungen seien politisch ungünstig. Seit Jahren mahnt der VSM an, etwas gegen die den verzerrten Wettbewerbsverhältnisse mit Fernost zu unternehmen. Die Schiffbauindustrie stünde erheblich unter Druck. „Gerade die sehr liberale Grundausrichtung der Europäischen Union hat bisher keine effektiven politischen Antworten vorgelegt“ so der Präsident. Der russische Angriffskrieg und die russisch-chinesische „Partnerschaft ohne Grenzen“ haben die Gefahren von strategischen Abhängigkeiten ins Bewusstsein gebracht. Vor diesem Hintergrund begrüßt der VSM den für morgen erwarteten Beschluss des Wettbewerbsfähigkeitsrates zur Notwendigkeit einer maritimen Industriestrategie für Europa. VSM-Präsident Harald Fassmer sagte hierzu: „Wir brauchen eine schiffbaupolitische Trendwende. Maritime Souveränität kann man nicht in China bestellen.“ Mit Blick auf die aktuelle chinesische Exportoffensive, über die besonders Autobauer stöhnen, sagte er: „Welcome to my world.“

Überfällige maritime Industriestrategie

Am 24. Mai wird der Ministerrat die Europäische Kommission auffordern, eine maritime Industriestrategie vorzubereiten. „Vom maritimen Akteur zur Seemacht“ lautet der Titel eines Papiers des Analyse- und Recherche-Teams im Generalsekretariat des EU-Rats vom Januar 2023. Darin wird das enorme strategische Gewicht der maritimen Dimension ausführlich und facettenreich beschrieben. Mit den dafür nötigen industriepolitischen Konsequenzen setzt sich das Dokument nicht auseinander. Eine Industriepolitik für die maritime Industrie hat die Europäische Kommission zuletzt 2013 vorgelegt. Doch seitdem ist die Welt nicht mehr dieselbe. Man schaffe die gemeinsame europäische Lösung nur im gemeinsamen europäischen Markt. In Europa verkehren rund 10 000 Seeschiffe, 15.000 Binnenschiffe kommen dazu. Für die Zukunft der maritimen Industrie spielt die EU eine zentrale Rolle. Harald Fassmer beendete seine Rede mit einem Seitenhieb an diejenigen, „die die die EU abschaffen wollen“, er sei am 09. Juni für ein starkes Europa.

Stärken der deutschen Schiffbauindustrie nutzen

Die Industrie bereit, sich den gewaltigen Anforderungen zu stellen, zu investieren und für exzellente Ausbildung von Fachkräften zu sorgen. Sie kann dies aber nicht allein. Die Bundesregierung hat aktiv für die Befassung des EU-Ministerrates mit diesem Thema geworben. Sie muss nun aber auch bei den eigenen Instrumenten diesem Anspruch gerecht werden. Am Standort Deutschland sind unverändert zahlreiche Unternehmen aktiv, die technologisch weltweit Maßstäbe setzen. Unsere maritimen Fähigkeiten geben uns heute noch alle Handlungsoptionen. Der jahrzehntelange Substanzverzehr muss allerdings umgedreht werden, damit der Standort seine maritime Industrie und damit seine Handlungsfähigkeit wahrt. Hauptgeschäftsführer Dr. Reinhard Lüken sagte: „Die Bundesregierung hat den Handlungsdruck verstanden und auf die Untätigkeit der Europäischen Kommission der vergangenen Jahre reagiert. Aber das kann nur der Startschuss sein. Ab jetzt gilt es, die Ärmel hochzukrempeln und neue Schritte für echte maritime Souveränität zu wagen.“

Der Boom geht an Europa vorbei

Dr. Reinhard Lüken erläuterte an mehreren Schaubildern die Situation der Schiffbauindustrie. Er sagt, dass der Boom der letzten 3 Jahre an Europa doch weitgehend vorbeigegangen ist. Bei weltweiten Neubauten sei der europäische Marktanteil gerade mal bei 3,8%. Während der Weltschiffbau im Aufwind sei, sei Europa zurückgefallen. Er verglich die Auftragseingänge miteinander und verweis auf China, die nach seit der Corona Pandemie enorm zugelegt hätten.  Inzwischen die Chinesen Aufträge im Wert von rund 60 Mrd. Dollar verbuchen, ganz Europa gerade mal 8Mrd. Es gäbe nur noch Korea, die dem chinesischen Druck noch etwas entgegenzusetzen hätten. Aber auch 2023 schaffte Korea nur 30Mrd. Mit Blick auf die gebauten Schiffe verwies er auf die Unwucht in der Produktion. Europas Stärke lieg im Bau von Kreuzfahrtschiffen. „Wir müssen wieder mehr Wachstum generieren“ so seine Worte. Die Konzentration Europas auf die High End Märkte sei sicherlich ökologisch wichtig gewesen, denn 10 Jahre Schifffahrtskrise haben in Europa keinen allzu großen Schaden hinterlassen, weil wir erfolgreich in Nischen produziert haben. „Aber seit der Pandemie haben wir eben gemerkt, dass diese Strategie eben auch ihre Schwächen hat.“ Strategisch war diese Entscheidung nicht gut.

Man müsse die Trendumkehr einleiten, dazu verwies er auf fünf Punkte:

  1. Das zivile Bestandsportfolio nicht schwächen
  2. Offshore Schiffe und Plattformen
  3. Nachhaltige Schiffe für europäischen Service
  4. Marine Schiffbau
  5. „neue Märkte“

Ein großes Thema sei auch der politische beschlossene und nicht mehr umkehrbare Offshore Markt, die Windenergie und dessen Ausbauziele, die sich nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa vorgenommen habe. „Das ist ein Riesenmarkt, den werden wir auch in Deutschland bedienen. Konverter - Plattform ist sicherlich das prominenteste Stichwort. Wir glauben, dass wir im Bereich der Nachhaltigkeit sehr viel Nachholbedarf haben. Wir haben einen riesigen Binnenmarkt.“ So Lüken.

Zum Green Deal sagte Lüken: „wir brauchen die Rahmenbedingungen, die den Kapazitätsaufbau ermöglichen – die Industrie forciert Investitionen, Ausbildung und In der anschließenden Aussprache kamen noch viele weitere interessante Aspekte zum Tragen, die zeigten, was eingangs als „maritimes Interesse“ formuliert wurde.

Da kann man vorgeben, dass vor allen Dingen dieses sehr wichtige, für die europäische sehr wichtige Marktsegment der Kreuzfahrtindustrie eindeutig wieder zurück ist. Auf die Frage nach der Sparte Kreuzfahrtschiff sagte Lüken, „wir dürfen diese Sparten, die uns den Erfolg überhaupt ermöglicht haben, nicht schwächen.“ Die Buchungszahlen sind hoch, die Boomzeiten über den vor Corona. Und auch das Bestellinteresse der Kunden ist eindeutig wieder sehr lebhaft.

Zum Marineschiffbau befragt, sagte Lüken: „Ich glaube, die Marine selbst ist enttäuscht von der Art und Weise wie das Sondervermögen ausgegeben wurde. Da hat die Marine nicht wirklich profitiert. Und auf die Frage zur Warnowwerft – Marinearsenal meinte Dr. Lüken, darüber sei der Verband „nicht unbedingt glücklich“ gewesen. Er begrüßte ausdrücklich das Vorhaben der Marine, den pazifischen Raum zu befahren, dass sei auch aus Industriegesichtspunkten eine gute Idee, sich dort blicken zu lassen.

Text/Fotos: hsc

Tabellen: VSM

 

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