Hugues Canuel, Marineoffizier der Königlich Kanadischen Marine, untersucht in seinem soeben erschienenen Buch 25 Jahre französische Marinepolitik, die nach der Niederlage Frankreichs im Zweiten Weltkrieg in der Zeit des Waffenstillstands, im Widerstand gegen Deutschland, im Bündnis mit den USA und Großbritannien und den Jahren des Kalten Krieges versuchte, eine eigenständige, nationale Politik bis hin zur Nuklearisierung ihrer Unterseeboote zu entwickeln. Es galt dabei, die Interessen einer klassischen Landmacht mit ihren Interessen in den Kolonien und Überseegebieten mit der Unterstützung von Marinekräften zu verbinden. Da diese Zeit weder im angelsächsischen noch im deutschsprachigen Raum Beachtung bei Wissenschaftlern gefunden hat, schließt diese Studie eine wichtige Forschungslücke bei der Frage einer Marinepolitik Frankreichs.
Während die ersten drei Kapitel sich mit der Herausbildung einer Flotte für das Freie Frankreich, deren Wiederbewaffnung und der Zusammenarbeit mit den USA und Großbritannien in der zweiten Hälfte des Zweiten Weltkrieges beschäftigen, zeichnen die drei Folgekapitel Überlegungen der Französischen Admiralität zur künftigen Verteidigung französischer Interessen sowohl alleine als auch im Bündnis NATO nach. Hierbei macht er die erbitterte Auseinandersetzung zwischen insbesondere amerikanischen und französischen Vorstellungen zum Wiederaufbau der Französischen Marine deutlich. Die Vorstellungen zum Aufbau einer weltweit einsatzfähigen Blue-Water-Fleet führen zum Krach sowohl bei den Alliierten als auch in Frankreich und lerztlich zum Bruch mit den Alliierten im Bündnis. Damit schließt sich der Kreis etwa 1963 mit der Bildung der Fünften Republik, der Wiederkehr General de Gaulle´s als deren Präsident und dessen Entscheidung zum Austritt aus der politischen NATO. Gleichzeitig betreibt de Gaulle die nukleare Bewaffnung der französischen Streitkräfte und damit auch der Französischen Marine. In seinem Schlusskapitel führt uns der Autor in diese Zeit zurück, die geprägt wurde von der Entwicklung einer eigenen Atombombe, deren Militarisierung für landgestützte Raketen, land- und seegestützte Flugzeuge und strategische Unterseeboote. Die konventionellen Streitkräfte dieser Zeit mussten mit Ihren Vorhaben zurückstecken, da die Nuklearbewaffnung und der Aufbau einer neuen Infrastruktur große Teile des Verteidigungsbudgets aufzehrte.
Die jüngste Entscheidung Frankreichs zur Entwicklung und zum Bau der dritten Generation strategischer Unterseeboote, ihres Nuklearantriebs und ihrer neuen seegestützten ballistischen Raketen lässt erahnen, wie auch hier die strategische Abschreckung große Teile des Verteidigungshaushalts verschlingen dürfte. Auch in diesem Kontext kann das vorliegende Buch helfen, aus den Erfahrungen der 1960er- und 1970er Jahre für die Zukunft der französischen seegestützten Abschreckung zu lernen. Es wird daher auf das Wärmste zur Lektüre empfohlen.
Hugues Canuel: The Fall and Rise of French Sea Power. France´s Quest for an Independent Naval Policy, 1940–1963, Naval Institute Press, ca. 45 Euro, ISBN 978-1682476161
Text: Heinz Dieter Jopp; Foto: privat
0 Kommentare