Dies ist die Geschichte eines Mannes, der seinem König suspekt war, weil er am Hofe keine Politik betrieb, keine versteckte Agenda hatte und stattdessen offen sagte, was er meinte und wollte. Es ist die Geschichte eines Mannes, der, nachdem er mehrfach für sein Vaterland Portugal in den Kampf zog und verwundet wurde, in seiner Heimat für seine Ideen auf taube Ohren stieß und seine Dienste der spanischen Krone anbot. Die Geschichte eines Mannes, der die Puzzle-Teile der erforschten Welt zu ihrem Ganzen zusammen fügen wollte und bei dem Versuch im Kampf gegen Eingeborene auf den Philippinen fiel. Es ist die Geschichte von Ferdinand Magellan und seiner Tat!
Stefan Zweig, geboren 1881 in Wien und 1942 freiwllig im Exil aus dem Leben geschieden, erzählt diese Geschichte, und er erzählt sie in seiner ihm eigenen Mischung aus Melancholie und Hoffnung in einer Art, die nicht als Biographie zu bezeichnen ist. Das ist typisch für Zweig, behandelt er die Biographien großer historischer Persönlichkeiten auch in seinen anderen Werken in einer stark subjektiv personalisierten Weise. Das tut dem Buch aber keinen Abbruch und es wirkt auch nicht unkritisch - die Begeisterung, die man Stefan Zweig ab den ersten Seiten anmerkt, ist dabei der Sache, also der Tat Magellans selbst, geschuldet, ohne dabei die Schwierigkeiten und Konflikte auszulassen, welche Geschichte, Gesellschaft, Fürsten und Vorgesetzte und Magellan selber dabei erschaffen.
Aber jede große Tat eines einzelnen Volks ist immer für alle Völker getan. Alle spüren sie, daß dieser eine erste Einbruch ins Unbekannte zugleich alle bisher gültigen Maße, Begriffe, Distanzgefühle umgestoßen hat, und mit pochender Ungeduld verfolgt man darum an allen Höfen, an allen Universitäten die neuesten Nachrichten aus Lissabon. Dank einer merkwürdigen Hellsichtigkeit begreift Europa das Schöpferische dieser welterweiternden portugiesischen Tat, es begreift, daß Seefahrt und Entdeckung bald entscheidender die Welt verändern werden als alle Kriege und Kartaunen, daß eine hundertjährige, eine tausendjährige Epoche, das Mittelalter, endgültig zu Ende ist und eine neue Zeit, die "Neuzeit", beginnt, die in anderen räumlichen dimensionen denken und schaffen wird.
Angetrieben nach dem Bedürfnis einer alternativen Handelsroute mit Indien und China liegt Wandel in der europäischen Luft. Der Handel mit dem Orient und dem Fernen Osten stockt bestenfalls und wird während des Mittelalters nicht das Niveau erreichen, dass in der Antike zwischen Europa, dem Fernen Osten und allen Völkern dazwischen herrschte. Dabei bedarf das christliche Abendland nicht nur der Luxusgüter, der Seide, der Gewürze, sondern auch des Weihrauchs aus dem Orient für seine Kirchen. Der Handel findet über den Landweg statt, die Hanedlsrouten sind bekannt, aber gefährlich, beschwerlich, langwierig und teuer. Europa ist sich seiner Bedürfnisse und seiner Abhängigkeit durchaus bewusst, die Idee nach einer alternativen Route nach Fernost ist nicht neu. Ein direkter Seeweg ist nicht bekannt, die Meere noch nicht erforscht - es fehlt an den technischen Möglichkeiten und den Willen diese zu erschaffen. Ausgerechnet von Portugal aus soll diese Entwicklung ihren Anfang nehmen. Portugal, das kleinste der europäischen Länder, das bis zum Bauchnabel im Meer und mit dem Rücken zu Spanien steht, macht aus dieser geopolitischen Not eine Tugend. Hier werden auf geheiß von Heinrich dem Seefahrer, Prinz des portugiesischen Königs, im 15. Jahrhundert die technologischen, gesellschaftlichen und politischen Grundlagen gelegt, um aus Portugal quasi aus dem Nichts eine Seefahrer- und Handelsnation zu machen!
Während 1418 [...] es noch bewunderndes Staunen erregte, daß die ersten Barcas bis nach Madeira gelangten, landen 1518 portugisische Schiffe - man stelle auf der Karte die beiden Distanzen gegeneinander! - schon in Kanton und Japan [...]. Von solchem Tempo beflügelt, muß sich von Jahr zu Jahr, ja von Monat zu Monat das Weltbild verändern und erweitern. Tag und Nacht sitzen in ihren Werkstätten zu Augsburg die Kartenstecher und Kosmographen an der Arbeit, aber sie können den Bestellungen nicht mehr nachkommen. Noch feucht, noch unkoloriert reißt man ihnen die Stiche aus den Händen, und ebenso können die Drucker an Reiseberichten, an Globen nicht genug auf die Büchermesse bringen, alles will Nachricht von dem "mundus novus".
Unglaublich, ja fast unmenschlich muss diese Entwicklung den Menschen erscheinen, die plötzliche Zunahme an Geschwindigkeit in der Güter und Ideen sich verbreiten hat einen mächtigen Eindruck in der zwar Neugierigen, aber bis dahin gemächlichen, Alten Welt hinterlassen, vergleichbar etwa mit der Informationsrevolution unserer Zeit. Nach Jahrhunderten der Stagnation nimmt die Globalisierung wieder Fahrt auf und zum ersten Mal in der Geschichte wird der gesamte Globus erschlossen. Die Parallelen zur Informationsrevolution durch das Internet sind offensichtlich, der Bedarf an aktuellen und akkuraten Kartenmaterial in ganz Europa ein Symptom, denn die Informationen über die Neuen Welten befriedigen nicht bloss die Neugier der Menschen, sie sind wichtig für Handel und Politik und Entscheiden über Krieg und Frieden.
Nur eine Tat ist noch übriggeblieben, die letzte, die schönste, die schwerste: auf ein und demselben Schiff den ganzen Erdball zu umrunden und damit gegen alle Kosmologen und Theologen der Vergangenheit die Rundform unserer Erde zu messen und zu erweisen - sie wird die Lebensidee und das Schicksal des Fernão de Magalhaes sein, den die Geschichte Magellan nennt.
Stefan Zweig
Magellan - Der Mann und seine Tat
Wien, 1938
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Sind solche historischen Einzeltaten in Wissenschaft, Forschung und Technik denn überhaupt noch möglich? Das neu entdeckte Higgs-Boson Teilchen z.Bsp. ist nach seinem theoretischen Vater benannt, tatsächlich gefunden wurde es dagegen von einem internationalen Forscherteam. Können in dieser postheroischen Zeit, in der sich der Westen befindet, und anhand fortschreitender Komplexität aller Zusammenhänge, solche Taten noch von einzelnen Menschen geleistet werden?
Magellan steht für die Innovation & Vielfältigekeit, auf die Europa stolz sein sollte. Man braucht heute mehr denn je solche Navigatoren!