VSM fordert grundlegenden Umbau der Rahmenbedingungen und eine europäische Maritime Wachstumsagenda
Wie auch schon im letzten Jahr fand die Pressekonferenz des Verbandes für Schiffbau und Meerestechnik e. V. (VSM) am 04.05 digital statt. Begrüßt wurden die Gäste durch Harald Fassmer, VSM-Präsident und Geschäftsführer der Fr. Fassmer GmbH & Co. KG. Er betonte, dass es neben allen positiven Nachrichten, die man auch im aktuellen Jahresbericht nachlesen kann, dass die Pandemie die Branche hart getroffen hat. Als Beispiel nannte er die Flensburger Werft, Nobiskrug und den Plan der Meyer Werft. Er wies auf die 20.000 direkten und an die 200.000 indirekten Arbeitsplätze hin und forderte eine „maritime Wachstumsagenda“. Er betonte sehr deutlich, dass die Lage sehr ernst sei.
Dr. Reinhard Lüken, Hauptgeschäftsführer des VSM, spannte in seinem Vortrag einen Bogen über das gesamte Marktsegment und machte klar, welchen gigantischen Einfluss die chinesische Subventionspolitik auf die internationalen und insbesondere europäischen Märkte habe. Der Bau von Kreuzfahrtschiffen und großen Yachten habe der deutschen Schiffbauindustrie in der letzten Dekade Wachstum beschert und weltweit hohe Anerkennung für ihre hohe Leistungsfähigkeit gebracht. Neben diesen beiden Schiffstypen, ergänzt durch anspruchsvolle Behörden- und Marineschiffe, können andere Marktsegmente immer weniger bedient werden. Schon vor der Pandemie gingen in wichtigen Teilsegmenten wie bei RoRo-Schiffen und großen Fähren die Aufträge trotz ausgewiesener Spezialisierung aufgrund massiver Wettbewerbsverzerrungen überwiegend nach Asien. Auch im Zulieferbereich kommen protektionistische Tendenzen immer stärker zum Tragen.
Betroffen sind nicht nur die Werften, sondern die gesamte Wertschöpfungskette: In Deutschland sind rund 2.800 Unternehmen aktiv. Der chinesische Expansionsdrang betrifft nicht nur Werften, sondern auch Zulieferer, Reeder und Häfen. Der deutsche Mittelstand leidet unter diesen Wettbewerbsverzerrungen.
„Wir sind alle Unternehmer und verlassen uns am liebsten auf unsere eigenen Stärken und unsere Fähigkeit, sich im fairen Wettbewerb durchsetzen zu können. Leider spielen staatlich festgelegte Rahmenbedingungen im Schiffbau eine zentrale Rolle. Als deutscher Mittelständler können Sie gegen strategisches Handeln des chinesischen Staates nicht ankommen. Darum brauchen wir eine aktive Politik. Mit den bisherigen Rahmenbedingungen droht der irreversible Verlust essenzieller Schiffbaufähigkeiten.“ Sagte Harald Fassmer.
„Mittlerweile geht es um mehr als um die Überbrückung fehlender Nachfrage infolge der Coronakrise. Der europäische Schiffbau verliert seit Jahrzehnten Marktanteile, weil v.a. in Asien mit massiven Subventionen ein Verdrängungswettbewerb praktiziert wird und Europa nichts dagegen unternimmt. Deshalb geht es inzwischen um die Frage, ob in Deutschland und Europa in zehn Jahren überhaupt noch zivile Schiffbauindustrie in nennenswertem Umfang bestehen kann.“ ergänzt Bernard Meyer, Geschäftsführer der Meyer Werft GmbH & Co. KG.
„Die anspruchsvollsten Schiffe und Boote der Welt entstehen auf deutschen Werften und werden mit deutschen Maschinen und Anlagen ausgerüstet. Deutsche Unternehmen verfügen über exzellentes Know-how in der gesamten Wertschöpfungskette der Schiffbauindustrie, das gerade jetzt für die maritime Transformation und den Klimaschutz dringend gebraucht wird. Wir müssen den vorhandenen Technologievorsprung für eine schnelle Umsetzung der Klimaziele nutzen – durch Investitions- und Finanzierungsinstrumente für den Bau einer modernen, effektiven, umwelt- und klimaneutralen Flotte in und für die EU.“ betont Dr. Uwe Lauber, Vorstandsvorsitzender von MAN Energy Solutions.
Zwar ist die aktuelle Lage im Marineschiffbau im Augenblick noch deutlich besser. Es gibt einen großen Nachholbedarf bei der Deutschen Marine und die deutschen Marineschiffbauer genießen zudem weltweit hohe Reputation. „Mittelfristig befürchten wir allerdings auch hier Auswirkungen durch die Pandemie, weil die überall auf der Welt im Zuge der Krisenbewältigung zunehmende Staatsverschuldung die öffentlichen Investitionsspielräume einschränken wird. Davon könnten die notwendigen Beschaffungsvorhaben der Deutschen Marine ebenso betroffen sein, wie die für uns bedeutende und kapazitätssichernde Exportnachfrage.“ erläutert Friedrich Lürssen, Gesellschafter der Unternehmensgruppe Lürssen.
VSM fordert maritime Wachstumsagenda
Aus all diesen Gründen setzt sich der VSM neben kurzfristigen Unterstützungsmaßnahmen insbesondere für eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Entwicklung auf dem Schiffbaumarkt ein. Noch stehen umfängliche technologische und industrielle Fähigkeiten zur Verfügung, um die Schiffbauindustrie in Deutschland in eine erfolgreiche Zukunft zu führen. Finden wir keine Lösungen, wird der Schaden irreversibel sein.
„Die Europäische Union verfügt über den größten maritimen Binnenmarkt der Welt. Die Geografie unseres Kontinents sorgt für eine Fülle und Vielfalt an wirtschaftlichen Aktivitäten auf und unter dem Wasser. Darum haben wir es in Europa selbst in der Hand, unser gesamtes maritimes Fähigkeitsspektrum für Wachstum und Nachhaltigkeit optimal einzusetzen. Aber dafür brauchen wir einen grundlegenden Umbau der Rahmenbedingungen“ sagte Dr. Reinhard Lüken.
Zum Abschluss der Veranstaltung wurden Fragen beantwortet, für eine wünschenswerte rege Debatte ist die digitale Welt gefühlt ungeeignet. Wir freuen uns daher auf ein persönliches Treffen in 2022.
Den Jahresbericht des VSM können Sie unter http://www.vsm.de aufrufen.
Text: Schlüter / VSM
Fotos: PK VSM
Bei allem Verständnis für die Probleme in Deutschland fehlt meines Erachtens eine saubere sicherheitspolitische Ableitung zur Frage, warum Europa und in der Folge Deutschland eine starke Handelsflotte braucht. Hat Europa und die EU eine gemeinsame Seehandelspolitik?
Wo lassen eigentlich europäische Reedereien ihre Schiffe bauen? Warum sind weiterhin so viele europäische Handelsschiffe ausgeflaggt?