Warum kommt es auf See immer wieder zu schweren Havarien mit Containerschiffen? Schifffahrtssachverständiger Dieter Becker erklärt die Gründe und zeigt Lösungen.
Herr Becker, warum werden überhaupt so viele Container als Decksladung von Container- Schiffen transportiert?
Das hängt zusammen mit der sogenannten „Räumte“, also vom Staukoeffizient der Container an Bord eines Schiffes. Das ist die Messgröße, die den Laderauminhalt in Kubikmeter pro Tonne Ladung eines Schiffes angibt. Container haben nur eine Räumte von etwa 0,40, sie nehmen also viel Raum im Vergleich zum Gewicht in Anspruch. Das führt dazu, dass bis zu 40 Prozent der Containermenge als Decksladung transportiert werden, wobei diese bis zu acht oder neun Lagen hoch an Deck gestapelt werden.
Wie müssen die Container als Decksladung dann seefest gesichert werden?
Die Container werden an ihren Eckpunkten mit Twistlocks verriegelt. Diese bilden dann einen Stapelturm von bis zu neun Lagen, der während des Seetransportes neben Winddruck und Seeschlag insbesondere hohen Beschleunigungskräften infolge von Seegang ausgesetzt ist. Nur allein mit Twistlocks gesichert, können diese Container-Stapeltürme im sogenannten Domino-Effekt an Deck losbrechen und umstürzen. Daher müssen die Container zusätzlich an Container-Stützgerüsten, zwischen den einzelnen Containerreihen, mit Laschstangen kreuzweise verspannt werden.
Warum sind dann bei der MSC Zoe so viele Container nach außenbords gestürzt?
Nach den mir vorliegenden Lichtbildaufnahmen von der Havarie der MSC Zoe war eine fachgerechte Verzurrung der Container zu den Stützgerüsten hin nicht möglich, weil die Stützgerüste nicht hoch genug ausgeführt waren. Es war also eine Verzurrung nur bis zur fünften Lage technisch möglich. Das erklärt, dass die oberen Container auch als Gesamtpaket zu dritt infolge zu hoher Beschleunigungskräfte abgestürzt sind. Es gibt Bildaufnahmen von Containern, die als Dreierpaket zusammen im Meer schwammen.
Wie hoch sind die Beschleunigungskräfte, die auf die oberen Lagen wirken?
Die sind sehr hoch. Das hat zu tun mit den immer größer werdenden Containerschiffen, insbesondere mit der Breite dieser Schiffe. Die aufrichtende Stabilität vergrößert sich exponentiell mit der Breite, sie verbessert diese also so gut, dass dies zu sehr kurzen Rollzeiten führt, mithin die Beschleunigungskräfte im Seegang exponentiell anwachsen. Das haben erst die zurückliegenden Containerverluste deutlich gemacht.
Hat man Lehren gezogen aus bisher über Bord gegangenen Containern?
Nach meinen Feststellungen, ja. Zwischenzeitlich gibt es Containerriesen von neuerem Baualter, die weitaus höhere Container-Gerüste haben, mit denen man die Container an Deck bis zur 7. Lage verzurren kann.
Welche Maßnahmen halten Sie für erforderlich, um weitere Havarien zu verhindern?
Konsequent wäre es, dass Containerschiffe mit zu geringer Gerüsthöhe diese entsprechend erhöhen und bis dahin die Stapelhöhe reduzieren.
Warum gehen Sie davon aus, dass weitere Container-Verluste vorprogrammiert sind?
Nach wie vor sind auch heute noch große Containerschiffe mit Stützgerüsten von zu geringer Bauhöhe unterwegs, sodass ich davon ausgehe, das wirtschaftliche Gründe eine korrekte Verzurrung der Container verhindern. Die Prognose in meinem Bericht über die Havarie der MSC Zoe hat sich in Tat sehr schnell bewahrheitet, denn am 30. November 2020 soll das Containerschiff One Apus auf der Reise von China an die US-Westküste im Pazifik etwa 1900 Container verloren haben. Auch hier fällt auf, dass die Container-Stützgerüste zu niedrig ausgeführt worden sind, mithin die oberen Lagen nicht gelascht werden konnten!
Sind freie und unabhängige Schifffahrtssachverständige in der vorliegenden Angelegenheit überhaupt gefragt?
Nach meinen bisherigen Erfahrungen, nein! Hinweise und gutachterliche Stellungnahmen meinerseits an die Bundesstelle für Seeunfall-Untersuchungen (BSU) wurden nicht beantwortet. Hingegen hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) auf meine gutachterliche Stellungnahme reagiert. Man bedankt sich für die Hinweise, aber Änderungen können wohl nur über die zuständige Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO) vorangetrieben werden. In Deutschland werden die Umsetzung der Sicherheitsempfehlungen der BSU und die möglichen weiteren Maßnahmen in den dafür vorgesehenen Expertengremien des BMVI, dem Routing Forum und dem Forum Ladung, diskutiert. In diesem Gremium sind die zuständigen Bundesbehörden, die Bundesländer und auch die betroffenen Verbände und Experten vertreten. Mein Hinweis zu der im Untersuchungsbericht gemachten Aussage, „der zufolge die Container an Deck durch Twistlocks und Laschstangen gesichert waren“ (S. 78) und dass dies nach meiner Auffassung nicht stimmt, wird im Forum Ladung mit aufgenommen. Ich glaube nicht daran, dass ich als Schifffahrtssachverständiger etwas ändern kann, zumindest fällt es schwer daran zu glauben, da sich die Havarien ungebremst fortsetzen.
Das Interview führte Holger Schlüter; Abbildungen: Dieter Becker
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