Wichtige Entscheidungen im Bündnis gefallen – Im vierten Quartal des vergangenen Jahres sind – von der Öffentlich weitestgehend unbeachtet – zwei wichtige Entscheidungen gefallen, die zukunftsweisend für die seegestützte Luftverteidigung in NATO-Europa sind. Es geht im folgenden Beitrag um die Auswahlentscheidung des Generalinspekteurs der Bundeswehr zur Nachfolge des Weitbereichsradars auf den Fregatten der SACHSEN-Klasse (F124) sowie die Erweiterung des Arbeitsauftrages für die unter deutscher Führung stehende multinationale Projektgruppe, die den Fähigkeitsbeitrag zur Abwehr ballistischer Flugkörper bearbeitet.
Ersatz des Weitbereichssensors F124 notwendig
Am 1. Dezember 2016 unterzeichnete der Generalinspekteur der Bundeswehr die Auswahlentscheidung zum Lösungsvorschlag im Projekt „Obsoleszenzbeseitigung und Fähigkeitserweiterung in der Luftverteidigung Fregatte 124“. Hinter diesem Wortungetüm steckt der aus technisch-logistischen Gründen notwendig gewordene Ersatz des Luftraumüberwachungsradars SMART-L der drei Fregatten F124 der deutschen Marine.
Durch die Entscheidung der Niederlande, die Fregatten der DE-ZEVEN-PROVINCIEN-Klasse auf das neue SMART-L EWC1 umzurüsten, werden die deutschen SMART-L Radare ab ca. 2020 in einen technisch-logistischen Engpass (Obsoleszenz) geraten, der die Einsatzfähigkeit der Schiffe gefährdet. Gleiches droht den drei dänischen Fregatten der IVAR-HUITFELDT-Klasse. Um diese Obsoleszenz abzuwehren und gleichzeitig auf neue Aufgabenstellungen der NATO in der Abwehr ballistischer Flugkörper zu reagieren, wurden über eine entsprechende Initiative der Marine die erforderlichen administrativen Schritte im Rahmen des Rüstungsprozesses CPM (mod.)2 unternommen, die zur Vorlage von drei Lösungsvorschlägen führten:
- Reine Obsoleszenzbeseitigung ohne Fähigkeitserweiterung, also ein Luftraumrundsuchradar ohne Fähigkeiten in der Entdeckung ballistischer Flugkörper außerhalb der Atmosphäre;
- Obsoleszenzbeseitigung und Fähigkeitserweiterung durch marktverfügbare Technologien;
- Obsoleszenzbeseitigung und Fähigkeitserweiterung durch neu zu entwickelnde Technologien.
Sensorfähigkeitserweiterung entschieden
Nach intensiven Studien und Untersuchungen, die sowohl Kosten, Leistung als auch technische Risiken und die möglichst geringsten Einflüsse auf die Verfügbarkeit der Fregatten im Zusammenhang mit der Umrüstung berücksichtigen, wurde dem Generalinspekteur im November 2016 durch die Planungsabteilung im Bundesministerium der Verteidigung eine Entscheidung zum 2. Lösungsvorschlag empfohlen. Diesem Vorschlag ist er mit Unterschrift vom 1. Dezember gefolgt.
Es wird nun eine Leistungsbeschreibung erstellt werden, die potenziellen Anbietern ein Angebot ermöglicht. Eine anschließende Produktauswahl, Vertragsgestaltung und Umsetzung könnte so ab 2021 zur Einrüstung auf den deutschen Fregatten führen. Bereits ab 2019 planen die Niederlande die Einrüstung der SMART-L EWC auf ihren Fregatten. Dänemark befindet sich noch im Entscheidungsprozess.
Für die Bundeswehr bedeutet die Entscheidung für eine Fähigkeitserweiterung den Einstieg in eine Sensorfähigkeit für die obere Abfangschicht auch außerhalb der Atmosphäre, also in den Weltraum hinein.
Hohe Relevanz für die NATO
Damit erfüllt die Bundeswehr eine wesentliche Erwartungshaltung der NATO im Zusammenhang mit dem NATO BMD3 Programm. Deutschland führt seit Mai 2015 eine entsprechende Projektgruppe zum Sensorbeitrag, in welcher die Niederlande und Dänemark mitarbeiten. Diese Projektgruppe „Upper Layer“ arbeitet im Rahmen des Framework Nation Concepts, eines Rahmenvertrages mit Deutschland als Anlehnnation4. Schwerpunkt dieser multinationalen Zusammenarbeit war bislang ein Sensorbeitrag zur Frühwarnung für die NATO-Luftverteidigung sowie zur Zielvoreinweisung für US-amerikanische Abfangflugkörper in der oberen Abfangschicht. Dieser Sensorbeitrag ist dringend notwendig, um die Fähigkeiten dieser Abfangflugkörper besser nutzen bzw. den durch sie geschützten Raum vergrößern zu können.
Erweiterter Auftrag durch belgische Pläne
Am 26. Oktober 2016 beschied der Steuerungsausschuss des Framework Nations Concepts die Anfrage Belgiens zur Mitgliedschaft in der Projektgruppe „Upper Layer“ positiv. Die belgische Marine hat den politischen Auftrag, auf den ab 2025 zulaufenden neuen Fregatten einen „Exoatmospheric Interceptor“ einzurüsten. Durch die belgische Mitgliedschaft erweitert sich der Auftrag der jetzt quattro-nationalen belgisch-deutsch-dänisch-niederländischen Projektgruppe vom reinen Sensorbeitrag hin zur Herstellung einer Vollbefähigung (Sensor & Effektor) als eigenständigen europäischen Beitrag zur NATO BMD.
Bereits im Dezember 2016 und im Februar 2017 hat diese Arbeitsgruppe getagt, um die gesetzten Ziele umzusetzen:
- Möglichst weitgehende gemeinsame Vorgehensweise in der technischen Realisierung des Sensorbeitrages;
- Gemeinsame Entwicklung eines Operationskonzeptes und von Einsatzgrundsätzen und -verfahren für die Sensor- und Effektorintegration;
- Gemeinsame Ausbildung.
Übergeordnetes Ziel ist es, der NATO BMD eine kohärente europäische Fähigkeit unter dem Motto „One Plug – One Manual“ (in etwa als „eine Schnittstelle – eine Betriebsanleitung“ zu verstehen) zur Verfügung zu stellen.
Der Autor ist Dezernent in der Abteilung Planung, Gruppe Zukunftsentwicklung des Marinekommandos.
Autor: Andreas Uhl
Anmerkungen:
1 Early Warning Capability
2 Customer Product Management, modifiziert
3 Ballistic Missile Defence
4 vgl. Marineforum 11/2015, A. Uhl, „Ballistic Missile Defence – Die deutsche Führungsrolle in der europäischen Fähigkeitsentwicklung zur Abwehr von Flugkörpern in der oberen Abfangschicht“
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