Waren sie früher noch unzertrennlich und wurden gemeinsam als ein Bericht veröffentlicht, so werden der Rüstungsbericht sowie der Bericht zur materiellen Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr des BMVg mittlerweile getrennt voneinander – wenn auch in der Regel zeitgleich – veröffentlicht.
Insgesamt verfügt die Bundeswehr über 71 sogenannte Hauptwaffensysteme. Deren Klarstand, also die Verfügbarkeit für Ausbildung und Einsatz, und die entsprechende Entwicklung der Zahlen dokumentiert der „Bericht zur materiellen Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr II/2021“. Dazu gehören bei der Deutschen Marine zwölf Systeme: Neben den U-Booten, Korvetten und Fregatten gehören auch die fliegenden Systeme wie die Helikopter der Marineflieger. Wir lesen in dem aktuellen Bericht II/2021 für das vergangene Halbjahr (Auszug):
Die materielle Einsatzbereitschaft aller 71 Hauptwaffensysteme hat sich im Berichtszeitraum insgesamt verstetigt und in einigen Bereichen leicht verbessert. Sie liegt mit durchschnittlich 77 Prozent geringfügig über den 76 Prozent aus dem letzten Bericht. Unsere Zielgröße von 70 Prozent durchschnittlicher materieller Einsatzbereitschaft übertrafen hierbei 38 Hauptwaffensysteme, elf lagen unter 50 Prozent (davon sechs Altsysteme). Die durchschnittliche materielle Einsatzbereitschaft von Kampffahrzeugen lag bei 71 Prozent, für Kampfeinheiten der Marine bei 72 Prozent, für die Kampf- und Transportflugzeuge bei 65 Prozent, für alle Unterstützungsfahrzeuge (Logistik, Sanität und CIR) bei 82 Prozent und bei den Hubschraubern weiterhin bei 40 Prozent.
Unverändert zeigen sich sprunghafte Verläufe, eine hohe Streuung und ein zu geringer verfügbarer Bestand bei rund einem Drittel der Systeme. Das betrifft vor allem Systeme mit kleinen Flottengrößen und „Altsysteme“ (z. B. die Schwimmschnellbrücke Amphibie M3, der Bordhubschrauber SEA KING oder der in 2025 das Ende seiner Nutzungs-dauer erreichende Seefernaufklärer P-3C Orion), aber auch die neu eingeführten Waffensysteme wie der Hubschrauber NH90 oder das Transportflugzeug A400M.
Klarstand Marine
Auch im zurückliegenden Berichtszeitraum mussten in Folge verschobener und verlängerter Werftliegezeiten von Einheiten Einsätze und einsatzgleichen Verpflichtungen sowie zahlreiche weitere Aufträge ohne Reserven bewältigt werden. Die daraus resultierende Belastung der verfügbaren Einheiten führt zu einer verstärkten Abnutzung oberhalb des technisch ausgelegten Nutzungsprofils der älter werdenden Systeme was kurz- und mittelfristig zu einer weiteren Belastung der materiellen Einsatzbereitschaft und damit zur Erhöhung des Instandhaltungsbedarfs führt.
Der operationelle Aktionsrahmen der Marine ist aufgrund der materiellen Verfügbarkeit der Einheiten stark eingeschränkt. Ursächlich hierfür sind die, auch nach einer personellen Verstärkung des Marinearsenals (MArs) durch Marineuniformträger, seit 2019 unzureichenden Kapazitäten des MArs im IH-Management und der Vergabestelle sowie eine noch immer äußerst angespannte Ersatzteillage. Kam es bereits bislang dadurch sowohl zu einem verzögerten Beginn als auch zu erheblichen Verzögerungen im Abschluss von Werftliegezeiten, so verschärfen derzeit weitere vergaberechtliche Vorgaben, insbesondere im Vorlauf von planmäßigen Werftliegezeiten, die Situation im Berichtszeitraum nochmals drastisch. Im Ergebnis führt diese Entwicklung zu einem Rückgang der Einsatzverfügbarkeit von Hauptwaffensystemen und zeitgleich zu einem erheblichen Rückstau erforderlicher Instandhaltungsbedarfe. Das MArs kann ohne nachsteuernde Maßnahmen seinem IH-Auftrag nicht mehr vollständig gerecht werden.
Die Umsetzung der Mittelfristigen Erhaltungsplanung ist durch erhebliche vergabebedingte Verzögerungen beeinträchtigt. Die bereits in den letzten Berichten dargelegten vergaberechtlichen Probleme stellen zunehmend eine kritische Belastung nicht nur für die Instandsetzungs- sondern auch für die Einsatzplanung dar, welche durch die Marine planerisch nicht aufzulösen sind. Die strukturell prekären Instandsetzungskapazitäten (insbesondere IH-Management und Vergabekapazitäten) des MArs für die schwimmenden Waffensysteme werden zukünftig zu massiven Einbrüchen bei der Gestellung einsatzbereiter Kräfte führen, welche ggf. eine Priorisierung seitens BMVg hinsichtlich der Besetzung von Einsätzen und einsatzvergleichbaren Verpflichtungen der Marine erfordert. In Ergänzung zur Bewertung der materiellen Einsatzbereitschaft lässt sich feststellen, dass derzeit – gespiegelt an den fähigkeitsträgerspezifischen Einsatzaufgaben zur Teilnahme an Operationen hoher Intensität – unter 30 Prozent der schwimmenden Hauptwaffensysteme uneingeschränkt einsatzfähig sind.
Ausblick
Der Fokus der Marine liegt auch weiterhin im Gleichklang des Zulaufs neuer Hauptwaffensysteme und der not- wendigen Modernisierung der Bestandseinheiten. Die Beschaffung der Fregatten Klasse 126 und die Ergänzungsbeschaffung der Korvetten Klasse 130 bilden zusammen mit der Erneuerung im Bereich Unterstützungseinheiten durch die Betriebsstoffversorger Klasse 707 und Flottendienstboote Klasse 424, wesentliche Schritte zur Ausgestaltung einer modernen und bedarfsgerechten Flotte. Gleichermaßen bedarf es jedoch auch des Fähigkeitserhalts der Bestandsflotte zur Sicherstellung der notwendigen Einsatzverfügbarkeit für die Beschickung laufender Einsätze, einsatzgleicher Verpflichtungen sowie priorisierten Vorhaben/Missionen. Vor diesem Hintergrund kommt der vollumfänglichen Herstellung der Einsatzreife der Fregatten der Klasse 125 eine zentrale Bedeutung zu.
[…] Mit den „Eckpunkten für die Bundeswehr der Zukunft“ wurden im Berichtszeitraum u.a. Untersuchungen zur Aufstellung von „Systemhäusern“ und zur ggf. veränderten Wahrnehmung von Nutzungsaufgaben initiiert. Die Marine fokussiert ihre Betrachtungen zum Systemhaus See (SysHSee) auf die ungeteilte und ergebnisverantwortliche Übernahme von Durchführungsaufgaben in der IH inklusive der zugehörigen Steuerungskompetenz sowohl in der Priorisierung des Haushaltsvollzuges als auch in der Zuarbeit zur Finanzbedarfsplanung MatErh sowie einer verfassungskonformen Beschaffungskompetenz in der IH. Dazu gehört aus Sicht der Marine auch eine sachgerechte Zuordnung von Ressourcen in Form einer Integration des Marinearsenals (MArs) an beiden Standorten (Wilhelmshaven und Kiel), als einziger Leistungserbringer für die Marine ab Instandhaltungsstufe (IHS) 3 bzw. Log-Ebene 2 in der Dimension See, in ein SysHSee. Darüber hinaus sieht die Marine die Steigerung der Waffensystemkompetenz mit einem klaren Schwerpunkt auf Beiträgen zur Konzeption und Weiterentwicklung von Waffensystemen in allen Phasen des IPD/CPM sowie die Digitalisierung als wesentliche weitere konzeptionellen Bausteine des SysHSee. Ferner sind die Ergebnisse des IPT 11 BeschO zur Neuordnung der Nutzung zu berücksichtigen. Die Zuarbeit der Marine zu den Zielen der Initiative Einsatzbereitschaft 2021 wurde im Berichtszeitraum konsequent fortgeführt.
Die erfolgreich etablierte und nun auch im Prozess für alle Teilstreitkräfte institutionalisierte Unterstützung des BAAINBw mittels Bearbeitung von projektbezogenen Themenpaketen aus dem BAAINBw durch die militärischen Organisationsbereiche wurde auch im Berichtszeitraum fortgesetzt. Durch diese Unterstützung konnten zahlreiche Projekte wie die Ergänzungsbeschaffung der Korvetten Klasse 130 (K130 2. Los) und der „Fähigkeitserhalt seegestützter signalerfassender Aufklärung der Flottendienstboote Klasse 424“ zielgerichtet weiterverfolgt werden, für die die organisatorischen Grundlagen bzw. personelle Kapazitäten im BAAINBw nicht im ausreichenden Maße vorlagen.
Auswirkungen auf Einsatzverpflichtungen
Im Berichtszeitraum konnte die Marine die Prioritäten und Zielvorgaben BMVg bzgl. Einsätze und einsatzvergleichbare Verpflichtungen erfüllen. Mit der Besetzung der laufenden Einsätze, einsatzgleichen Verpflichtungen und priorisierten Vorhaben/Missionen sowie der zum Fähigkeitserhalt not-wendigen Übungsteilnahmen in den für LV/BV wichtigen Übungsserien ist die Marine ausgelastet. Insofern kommt der materiellen Einsatzbereitschaft und der zeitgerechten und umfassenden Verfügbarkeit des Materials/der Plattformen eine einsatzkritische Bedeutung zu. Seitens der Marine werden schon heute alle identifizierten Optionen zur Verbesserung der Einsatzbereitschaft genutzt ("Agenda Nutzung", "Sofortprogramm Einsatzbereitschaft", "Mehrbesatzungsmodelle", "Optimierung Ausbildung“). Maßnahmen zur Verbesserung der „Einsatzbereitschaft" der schwimmenden und fliegenden Systeme der Marine bedürfen jedoch eines ganzheitlichen Ansatzes über alle OrgBer, auch den der Wehrverwaltung zugeordneten Ressourcen, der weiter verstärkt und mit übergeordneter Priorität verfolgt werden muss.
Ein Eindruck
Mit einem aktuellen materiellen Klarstand von 77 Prozent liegt der Wert im Betrachtungszeitraum für die Bundeswehr insgesamt nur einen Prozentpunkt über dem Vorjahr. Bereits damals hat man im BMVg zugeben müssen, dass die Pandemie einen messbaren Anteil an dieser Zahl hat: Wo aufgrund der Pandemie Ausbildung ausgefallen ist, wurde auch weniger Material verschleißt.
Der Bericht ist nicht alt, und könnte doch politisch bereits überholt sein: Die neue Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat die von ihrer Vorgängerin initiierten „Eckpunkte für die Bundeswehr der Zukunft“ bereits auf Eis gelegt, dazu gehört auch die Prüfung der im Bericht zitierten Aufstellung von „Systemhäusern“. Nicht auszuschließen, dass die Ministerin eigene Akzente setzt und sich anteilig an den vorliegenden Zwischenergebnissen bedient – oder eben nicht.
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