Containerschiff im Hamburger Hafen, Foto Daniel Angres

Containerschiff im Hamburger Hafen. Foto: Daniel Angres

Hoch gestapelt, tief gefallen

Hunderte Container verlor die MSC Zoe 2019 in der Nordsee. Sind ähnliche Havarien vorprogrammiert?

Auslöser für die Havarie der MSC Zoe, bei der in der Nacht zum 2. Januar 2019 vor den Friesischen Inseln mehr als 342 Container über Bord gegangen waren, sind offenbar die extremen Rollbewegungen des Containerschiffs in der stürmischen See gewesen. So lautet zumindest das vorläufige Ergebnis der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) in Hamburg. Nach Ansicht der BSU wurde davon ausgegangen, dass das riesige Schiff in der aufgewühlten See so stark hin und her rollte, dass die Laschen an den Containern den enormen Belastungen nicht mehr standhielten und brachen. Abgeschlossen waren die Ermittlungen der BSU am 16. Mai 2019 allerdings noch nicht.
Der Schifffahrtssachverständige Dieter Becker hat sich mit der Schadensursache näher befasst und ist zu einem bemerkenswerten Ergebnis gekommen. Grundsätzlich werden Container an Deck mit Twistlocks und gespannten Laschstangen gesichert. Mit den Twistlocks werden die Container in den Eckbereichen übereinander gekoppelt, sodass sich Stapeltürme mit bis zu acht oder neun Lagen bilden. Diese Stapeltürme würden sich bei Neigungen durch starken Seegang ohne Laschungen im sogenannten Dominoeffekt zum Deck hin losreißen und umstürzen, wobei statische und dynamische Kräfte der Auslöser sind.

Havarierter Containerfrachter

Havarierter Containerfrachter

Der Gewichtsschwerpunkt von drei gemeinsamen Containern beträgt zirka 2,44 x 1,5 = 3,66 m und nicht wie bei ordnungsgemäßer Laschung zirka 2,44 x 0,5 = 1,22 m. Diese dreifache Hebelgesetzgebung führt zum Abbruch. Um das zu verhindern, sind quer über Deck Containergerüste zwischen den einzelnen Containerstapeln angeordnet. Von diesen Containergerüsten aus werden die Container an den Eckpunkten diagonal mit Laschstangen und Spannschrauben gegen Umsturz verspannt. Aufgrund der Höhe über Deck war es bei MSC Zoe lediglich möglich, bis zur fünften Lage die Container mit Laschstangen zu sichern.
Die darüberstehenden Container sind dann nur noch an den Eckpunkten mit Twistlocks verbunden, es werden also hoch aufragende Containerstapel gebildet ohne Verspannung zum Containergerüst hin.Auf die untersten Twistlocks dieser freistehenden Containerstapel können im Seegang bei Rollbewegungen des Containerschiffes derartige Beschleunigungskräfte wirken, dass die Bruchlast der Twistlocks überschritten wird und die oberen Container abstürzen. So sind auf Fotos Einheiten von drei abgestürzten Containern zu erkennen, die noch immer mit Twistlocks gekoppelt im Meer schwimmen.
Durch Berechnungen lässt sich nachweisen, dass in Schräglage, unter Berücksichtigung der Hebelgesetzgebung und der erheblichen Beschleunigungskräfte bei Umkehr der Rollbewegung, derartig hohe Belastungen entstehen, dass sie von den Twistlocks nicht mehr gehalten werden können. Die Twistlocks auf einer Seite brechen, auf der gegenüber liegenden Seite bilden sie den Kipp-Punkt. Auf vorliegenden Fotos der MSC Zoe ist zu erkennen, dass kein Container abgestürzt ist, der mit Laschstangen gesichert war. Folglich ist das Container-Stützgerüst der MSC Zoe nicht hoch genug ausgeführt.
Dieser Vorfall ist kein Einzelfall. Die asiatische Schiffbauindustrie hat auch schon hierauf reagiert. Dieter Becker hatte Anfang des Jahres Gelegenheit, beim JadeWeserPort in Wilhelmshaven das Containerschiff OOCL Hong Kong zu besichtigen. Bei diesem neueren Containerschiff (Baujahr 2017, die MSC Zoe stammt aus dem Jahr 2015) sind die Containergerüste bedeutend höher ausgeführt, sodass die Container bis zur siebten Lage abgespannt werden können. Aus Sicht des Sachverständigen hat man aus vorausgegangenen Containerabstürzen gelernt. Die beim JadeWeserPort in Wilhelmshaven vorgefundene Sicherung der Container an Deck der OOCL Hong Kong war nach meinen Feststellungen einwandfrei. Eine Wiederholung der Havarie wie auf der bereits 2015 gebauten MSC Zoe hält Becker auf der OOCL Hong Kong daher für ausgeschlossen.
Ein Jahr nach einem Unglück sollte in der Regel der Untersuchungsbericht der BSU vorliegen. Das war – wie auch im Fall der Glory Amsterdam – nicht der Fall, da es mit Datum vom 12. Dezember 2019  einen „Gemeinsamen Untersuchungszwischenbericht“ gab, der vom niederländischen Safety Board und von der deutschen Bundesstelle für Seeunfalluntersuchungen gemeinsam erstellt worden ist. Aus diesem Bericht geht hervor, dass die BSU die Technische Universität Hamburg (TUHH) mit der Beantwortung unter anderem der folgenden Fragen beauftragt hat:

  1. Was ist die wahrscheinliche Ursache für den Containerverlust und welche Rollwinkel sind wahrscheinlich dabei aufgetreten?
  1. Wie groß waren die Querbeschleunigungen der Ladung und sind sie groß genug, um den Containerverlust zu erklären?
Unterschiede bei der Laschung

Unterschiede bei der Laschung

Nach Ansicht des Schifffahrtssachverständigen Becker wurde erst nach einem Jahr der Ursache nachgegangen, warum die Container nach außenbords abgestürzt sind. Zwischenzeitlich ist der Bericht der BSU über das „Überbordgehen von Containern von der MSC Zoe“ mit Datum vom 25. Juni 2020 erschienen, der nach seiner Ansicht jedoch von Voraussetzungen ausgeht, die nicht gegeben waren. Gemeint ist die Aussage im BSU-Bericht (Seite 78), dass die Container durch Twistlocks und Laschstangen gesichert waren, was nachweislich nicht stimmt.
Die Laschstangen konnten nämlich nur bis zur fünften Lage an Deck angebracht werden, weil die Containerstützgerüste zu niedrig waren. So sind die oberen Lagen als „Gesamtpaket“ infolge von statischen und dynamischen Kräften seitlich abgestürzt. Es lagen aus drei Containern bestehende Pakete abgestürzt an Deck, andere schwammen im Meer.

Strandgut aus über Bord gegangenen Containern

Strandgut aus über Bord gegangenen Containern

Geändert hat sich bis heute, dass nur neue Containerschiffe höhere Stützgerüste haben, die eine Laschung bis zur siebten Lage ermöglichen. Ältere Containerschiffe mit niedrigen Stützgerüsten verkehren weiterhin. In  von Dieter Becker am 2019 in Bremerhaven erstellten Fotos ist der Unterschied bei der Höhe der Stützgerüste deutlich zu erkennen. Die beiden Containerschiffe, von gleicher Größe und gleicher Reederei, lagen zufällig hintereinander, wobei das rechte Schiff von neuerem Baujahr ist. Dass auch auf der MSC Zoe ganze Containerstapel im Dominoeffekt seitlich umgestürzt sind, wird nach Ansicht des Sachverständigen Becker damit begründet, dass diese überhaupt nicht gelascht waren, obwohl zumindest im unteren Bereich die Möglichkeit hierzu bestand. Nach wie vor sind Containerschiffe mit Stützgerüsten von zu geringer Bauhöhe unterwegs, so dass Becker davon ausgeht, dass wirtschaftliche Gründe keine offizielle Aufklärung zulassen. Damit sind weitere Havarien vorprogrammiert. Dem könnte relativ einfach entgegengewirkt werden, wenn bei Containerschiffen mit zu geringer Gerüsthöhe diese entsprechend vergrößert und bis dahin die Stapelhöhe reduziert würde.

Text: Dieter Becker; Fotos: Niederländische Küstenwache, Dieter Becker

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