Psychosoziale Auswirkungen der Corona-Pandemie und des Krieges in der Ukraine auf die Lebens- und Arbeitswelt der Seeleute an Bord
In der Berufsschifffahrt arbeiten Männer und Frauen generell unter einem hohen psychischen Belastungsdruck. Ein hohes Maß an Verantwortung für das Schiff, die Ladung und vor allem für die Crew, die stetig wachsenden Anforderungen durch Behörden und Verwaltung, die besonderen Herausforderungen der Schifffahrt wie z.B. Wetterbedingungen und Klima, lange Abwesenheiten von zu Hause und von der Familie, tägliche Zeitverschiebungen, Fatigue, Einsamkeit und Monotonie. Darüber hinaus kommen die besonderen psychischen Belastungen durch außergewöhnliche Ereignisse wie z.B. nach Unfällen, insbesondere mit Todesfolge, Person über Bord, Piratenüberfällen oder aktuell bei der Verwicklung in Kriegsgeschehnisse hinzu.
Die psychosozialen Faktoren haben mit der Corona-Pandemie und seit Februar dieses Jahres mit dem Krieg in der Ukraine für die Seeleute noch einmal deutlich zugenommen. Beide Krisen wirken sich konkret auf das Leben der Menschen an Bord aus. Das nun vorliegende, in einem intensiven Arbeits- und Abstimmungsprozess unterschiedlicher Experten entstandene Impulspapier beschreibt die zusätzlichen psychosozialen Belastungsfaktoren und ihre teilweise dramatischen Folgen, die sich aus der Corona-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine für die Seeleute ergeben haben. Es soll dazu beitragen, in zukünftigen Krisen die psychosozialen Belastungsfaktoren für die Seeleute zu reduzieren und wenn möglich, diese zu vermeiden.
Der Arbeitskreis Berufsbildung und Soziales des Ständigen Fachausschusses des Deutschen Nautischen Vereins hat in dem vorliegenden Papier seine Auseinandersetzung mit der Thematik in sechs Abschnitte gegliedert, die sich jeweils einem besonderen Aspekt widmen. Dabei ist der Aspekt „Ausbildung“, mit Blick auf seine Bedeutung für die Zukunft der deutschen Schifffahrt, etwas umfangreicher und detaillierter ausgeführt. Die wesentlichen Impulse sind die folgenden:
Globale Crewchange-Krise
Wir sind uns bewusst, dass die Pandemie eine schwierige Zeit für die globale Gemeinschaft ist, und können nachvollziehen, dass sich die Regierungen in erster Linie auf die unmittelbaren gesundheitlichen Notlagen konzentrieren. Doch darf dies nicht zu Lasten der Seeleute, ihrer Gesundheit und damit der Sicherheit der Schiffe, unserer Küstengewässer und der globalen Lieferketten gehen. Vor diesem Hintergrund wird an die internationale Staatengemeinschaft appelliert, den Aufrufen höchster UN-Gremien und dem Beispiel vieler Regierungen zu folgen, die Häfen offen zu lassen, Crewwechsel zu ermöglichen und die Seeleute als „Key Workers“ von Restriktionen auszunehmen.
Verstöße gegen die Pflicht zur medizinischen Versorgung
Wir begrüßen die geplanten Änderungen der MLC, 2006 und fordern alle Hafenstaaten auf, diese in jedem Einzelfall umzusetzen und Seeleuten bei Bedarf unverzüglich die benötigte medizinische Versorgung zukommen zu lassen.
Landgang
Wir begrüßen die großen Anstrengungen und das Engagement, des hafenärztlichen Dienstes, der zuständigen Behörden, Reedereien, Agenturen und der Seemannsmissionen, Seeleuten einen aktuellen Impfschutz zu ermöglichen. Gleichsam fordern wir alle zuständigen Verantwortlichen in den Behörden, Reedereien, Agenturen und den Schiffsführungen dazu nachdrücklich auf, wann immer und wo immer es möglich ist, ihren Seeleuten die Möglichkeit zu bieten, von ihrem Recht des Landganges Gebrauch machen zu können.
Internetzugang an Bord
Wir begrüßen die Empfehlung zur MLC Konvention, die Seeleuten an Bord, wo dies möglich und praktikabel ist, zukünftig uneingeschränkte Internet-Konnektivität ermöglichen soll. Wir unterstützen ausdrücklich die Empfehlung an die Hafenstaaten, die Infrastruktur auszubauen, um Seeleuten im Hafen und auf Reede einen Zugang zum Internet zu ermöglichen. Sollten den Seeleuten dafür Gebühren berechnet werden, sollten diese kostenneutral sein.
Der Krieg in der Ukraine
Wir begrüßen das große Engagement der vielen Reedereien und ihrer Mitarbeiter*innen, ihre ukrainischen Kolleg*innen zu unterstützen. Vielen Seeleuten und ihren Familien konnte so eine sichere Unterkunft und ein neues (wenigstens vorübergehendes) zu Hause vermittelt werden. Mit Blick auf die Situation an Bord empfehlen wir, das Konfliktpotenzial zu minimieren und ukrainische und russische Staatsbürger, wenn nicht ausdrücklich anders gewünscht, an Bord zu trennen.
Auswirkungen der Pandemie auf die Ausbildung und den Nachwuchs
Die Corona Pandemie stellt die Auszubildenden, Schüler und Studierenden - wie auch Lehrkräfte und weitere, an der Ausbildung junger Menschen im maritimen Sektor Beteiligte - vor gleichartige Herausforderungen. Diese Analyse hat jedoch gezeigt, dass die Zahl der Studien-, Schul- und Ausbildungs-Abbrecher nicht über dem Durchschnitt der letzten Jahre liegt. Die Arbeitsgruppe kann, bezogen auf psychosoziale Belastungen, keine wesentlichen Aussagen treffen, da diese kaum beobachtet wurden. Die Ausbildung an Land ist von der Pandemie zwar zeitweise stark beeinträchtigt gewesen, jedoch nicht so stark, wie unter den Bedingungen in der Seefahrt. Hier sind allerdings auch keine Fälle bekannt geworden, da man nur indirekt mit der Seefahrt zu tun hat und an Land arbeitet. Auch ein Verlust der Attraktivität der maritimen Berufe kann nach dieser Analyse nicht erkannt werden, da viele Anstrengungen unternommen wurden, um die Ausbildung möglichst gut organisiert durchführen zu können und, wie oben schon erwähnt, die Abbrecher-Quote nicht über dem Durchschnitt der letzten Jahre liegt. Im Gegenteil, die maritime Branche tritt wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein, da die Lieferketten dann medial stärker aufgezeigt werden, wenn Probleme zu erwarten sind. Dies zeigen die Beispiele geschlossener Häfen in China. Der globale Handel war lange unsichtbar, nun ist er wieder zu erkennen und mit ihm auch die globale Vernetzung. Vielleicht hilft das auch, die Attraktivität der maritimen Berufsbilder weiter zu steigern
Das Impulspapier »Psychosoziale Auswirkungen der Corona-Pandemie und des Krieges in der Ukraine auf die Lebens- und Arbeitswelt der Seeleute an Bord« wird vom Leiter des Arbeitskreises „Berufsbildung und Soziales“ im Ständigen Fachausschuss des Deutschen Nautischen Vereins, Dirk Obermann von der Deutschen Seemannsmission, am 27. September öffentlich vorgestellt. Dies erfolgt im Rahmen des 16. Bremer Schifffahrtskongresses, der in diesem Jahr in Kooperation mit dem Deutschen Schifffahrtstag durchgeführt wird. Und bereits jetzt steht das vollständige Impulspapier auf der Website des Deutschen Nautischen Vereins sowie auf der Website des Deutschen Schifffahrstages www.deutscher-schifffahrtstag.de unter der Rubrik „Aktuelles“ kostenlos zum Download verfügbar.
Danksagung
Der Vorstand des Deutschen Nautischen Vereins dankt den Expertinnen und Experten der Arbeitsgruppe im Ständigen Fachausschuss unter der Leitung von Dirk Obermann von der Deutschen Seemannsmission für die Erstellung des Impulspapiers.
Kontakt:
Deutscher Nautischer Verein von 1868 e.V.
Vorsitzender Kapitän Christian Suhr
Tempowerkring 6
21079 Hamburg
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