Wehrtechnik-Gipfel mit Ministerpräsident Günther
Die wehrtechnische Industrie ist in Schleswig-Holstein mit ihren rund 30 leistungsfähigen Unternehmen mit rund 8.500 Wehrtechnik-Beschäftigten ein wichtiger Bestandteil der deutschen Rüstungsbasis. Die Geschäftsaktivitäten sind mit dem Marineschiffbau, der Landsystem- und Luftfahrtindustrie sowie den Kommunikations-, Waffen- und Munitionssystemen, der Sensorik-, Optik- und Optronikindustrie weit gefächert.
Der Marineschiffbau hat eine besondere sicherheits- und industriepolitische Bedeutung für das nördlichste Bundesland. Er bildet mit 16 Unternehmen und 5.300 direkt in der Wehrtechnik-Beschäftigten die größte Branche. Mit dem Über- und Unterwasserschiffbau verfügt er über wehrtechnische Schlüsseltechnologien und Kernfähigkeiten, auf die aus sicherheits-, industrie- und bündnispolitischen sowie technologischen und rüstungswirtschaftlichen Gründen nicht verzichtet werden kann. Die besondere technologische Kompetenz ist zugleich gekennzeichnet durch die Fähigkeit zur Erfüllung komplexer Systemanforderungen.
Der am 24. Februar 2022 begonnene völkerrechtswidrige russische Überfalls auf die Ukraine und die in der Zeitenwende-Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar 2022 verkündeten Handlungsaufträge nehmen verstärkt Einfluss auf die zukünftige Ausrichtung der Verteidigungsindustrie in Schleswig-Holstein. Die Landesregierung hat die bundesweite Bedeutung dieser Branche erkannt. Bereits im Dezember 2022 hatte Ministerpräsident Daniel Günther zu einem ersten Wehrtechnik-Gipfel eingeladen, auf dem die Auswirkungen der Zeitenwende-Rede auf die wehrtechnische Industrie erörtert wurden.
Im Anschluss an diesen ersten Wehrtechnik-Gipfel hob der Ministerpräsident in einem Schreiben an Bundeskanzler Olaf Scholz die Bedeutung des Marineschiffbaus hervor: „In bestimmten Hochtechnologien, wie bei den außenluftunabhängigen Antrieben, Unterwasserwaffen, unbemannten Unterwasserfahrzeugen und Unterwassersensoren, im Überwasserschiffbau und im Bereich Korvetten und Fregatten sowie gepanzerten Fahrzeugen oder modernster Luftfahrtausrüstung, nehmen die Unternehmen aus Schleswig-Holstein weltweit eine Spitzenstellung ein.“ Und er wies darauf hin, dass der Erhalt einer starken deutschen Marineschiffbauindustrie gerade unter sicherheitspolitischen Aspekten für Deutschland von essentieller Bedeutung sei.
Am 15. März 2024 hatte Ministerpräsident Günther zu einem weiteren Wehrtechnik-Gipfel mit der wehrtechnischen Industrie eingeladen, um deren „Anliegen weiterhin auf verschiedenen Ebenen zu unterstützen und zu begleiten“. An diesem Treffen nahmen wiederum hochrangige Vertreter der Verteidigungsindustrie, des Unternehmensverbandes UV Nord, der Gewerkschaften und der Industrie- und Handelskammer zu Kiel teil „Es gibt Schritte in die richtige Richtung“, sagte Günther einleitend, „aber von einem echten Paradigmenwechsel kann bisher nicht die Rede sein“.
Die Teilnehmer diskutierten den zuvor erarbeiteten Entwurf eines Positionspapieres. Zum Schluss wurde „Ein Positionspapier vor dem Hintergrund des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieges auf die Ukraine verabschiedet und in der anschließenden Pressekonferenz vorgestellt (www.schleswig-holstein.de/wehrtechnikgipfel).
Die im Papier beschriebene Ausgangslage wird von den sicherheits- und verteidigungspolitischen Herausforderungen Deutschlands, insbesondere vom völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, bestimmt und hat erhebliche Auswirkungen auf die wehrtechnische Industrie. Diese werden für die Branchen Marine-, Land- und Luftsystemindustrie sowie für die Zulieferer beschrieben, und es wird insbesondere auf die Auswirkungen des 100 Milliarden Euro Sondervermögens Bundeswehr, die restriktiven Rüstungsexportbestimmungen und auf die Finanzierungsprobleme der Industrie eingegangen.
Eine vom Arbeitskreis Wehrtechnik Schleswig-Holstein zuvor durchgeführte repräsentative Umfrage, an der 20 schleswig-holsteinische Unternehmen mit 90 Prozent der Wehrtechnik-Beschäftigten teilgenommen haben, untermauert die Aussagen zur Lage der Verteidigungsindustrie. Vom Marineschiffbau beteiligten sich 10 Unternehmen mit 90 Prozent der Wehrtechnik-Beschäftigten an der Umfrage. Diese betraf die Personalentwicklung, die Auswirkungen des 100 Milliarden Euro Sondervermögens auf den Geschäftsverlauf, die Unterstützungsleistungen für die Ukraine sowie die durch die restriktiven deutschen Rüstungsexportbestimmungen und die durch die ESG-Taxonomie verursachten Probleme bei der Finanzierung der Unternehmen.
Allzeithoch bei den Wehrtechnik-Beschäftigten
Im letzten Geschäftsjahr verzeichnen die Unternehmen in Schleswig-Holstein gegenüber dem Vorjahr insgesamt einen Anstieg der direkt in der Wehrtechnik Beschäftigten um 10 Prozent auf rund 8.500. Damit erreicht die wehrtechnische Industrie in Schleswig-Holstein ein Allzeithoch. Dieser durch die veränderte sicherheitspolitische Lage, insbesondere durch den Krieg in der Ukraine verursachte starke Aufwuchs gestaltet sich jedoch in den jeweiligen Branchen sehr unterschiedlich. Er ist in der Landsystemindustrie mit 22 Prozent überproportional hoch, beim Marineschiffbau waren es hingegen 6 Prozent. Weiterhin problematisch ist in der wehrtechnischen Industrie, wie auch in anderen Branchen, der erhebliche Fachkräftemangel, insbesondere in einigen Berufsfeldern.
Der Bezirksleiter IG Metall Küste, Daniel Friedrich, sagte im Anschluss an das Gipfeltreffen: „Die Wehrtechnik in Schleswig-Holstein steht überwiegend für gute Industriearbeitsplätze mit Tarifverträgen und Mitbestimmung. Wir begrüßen es, dass die Landesregierung die Branche und ihre Beschäftigten stärker in den Fokus rückt. Neben der Klarheit über Aufträge erwarten wir eine aktive Industriepolitik, die Wertschöpfung und Arbeitsplätze in Deutschland sichert, aber auch europäische Partnerschaften im Blick behält. Im Marineschiffbau geht es auch um die Sicherung der maritimen Substanz im Land. Letztendlich geht es weiterhin darum, dass wir zu einem friedlichen Miteinander in Europa zurückkommen."
Sondervermögen Bundeswehr
Von dem vor zwei Jahren vom Bundeskanzler Scholz in seiner „Zeitenwenderede“ am 27. Februar 2022 verkündeten 100 Milliarden Euro Sondervermögen ist bisher bei den Unternehmen in Schleswig-Holstein noch kein signifikanter Auftragseingang zu verzeichnen. So trägt das Sondervermögen bisher nur gering, in der Landsystemindustrie jedoch in steigendem Maße zum Auftragseingang bei.
Sehr enttäuschend sind die weit hinter den Erwartungen und der Planung der zurückliegenden Beschaffungsvorhaben für die Marine für den Marineschiffbau. Dieser konnte bisher nur in geringem Umfang am Sondervermögen partizipieren. Dabei, so Ministerpräsident Günther in seinem Statement, gebe es erhebliche Bedarfe der Deutschen Marine, den die schleswig-holsteinischen Werften und Zulieferunternehmen decken könnten. „Der Bund muss hierfür ausreichende, langfristig im Bundeshaushalt hinterlegte Finanzmittel sowie genügend personelle Kapazitäten bereitstellen“.
Umfangreiche Unterstützung für die Ukraine
Der Personalaufwuchs der wehrtechnischen Industrie wird insbesondere bei den Unternehmen der Landsystemindustrie in hohem Maße von den Unterstützungsleistungen für die Ukraine bestimmt, an denen der Marineschiffbau jedoch nicht nennenswert beteiligt ist. Diese werden aus Mitteln der Ertüchtigungshilfe der Bundesregierung bzw. von Partnerstaaten finanziert. Mit den Lieferungen der Bundeswehr und der verbündeten Streitkräfte sowie der Industrie sind umfangreiche Instandsetzungsaktivitäten sowie Ausbildungsunterstützung verbunden.
Zwei-Prozent-Ziel
In der Zeitenwende-Rede wurde verkündet, dass die beträchtlichen Ausrüstungsmängel durch das Sondervermögen und mit der Zusage, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für die Verteidigung auszugeben, beseitigt werden soll. Dieses Zwei-Prozent-Ziel konnte für das laufende Haushaltsjahr nur mit buchungstechnischer Phantasie erreicht werden. Für die Unternehmen ist von essenzieller Bedeutung, dass verdeutlicht wird, wie nach 2027, also nach Auslaufen des Sondervermögens, eine nachhaltige Finanzierung der Bundeswehr und ein Einhalten der im Bündnis eingegangenen Zwei-Prozent-Verpflichtung erreicht werden soll.
Für Ministerpräsident Günther besteht die Erwartung, dass durch das Sondervermögen der Bundeswehr und durch die Anhebung des Verteidigungshaushalts mehr Planbarkeit und Verlässlichkeit für diese Betriebe entsteht.
Restriktive Rüstungsexportbestimmungen
Für die wehrtechnische Industrie hat das Ausland als Markt aufgrund der global veränderten sicherheitspolitischen Lage stark an Bedeutung gewonnen, wobei die restriktiven Rüstungsexportbestimmungen jedoch ein erhebliches Hindernis darstellen. Auch im Marineschiffbau geben die meisten Unternehmen in Schleswig-Holstein mit insgesamt rund 80 Prozent der Wehrtechnik-Beschäftigten in der Umfrage an, dass sie immer noch mehr oder weniger große Probleme bei der Erteilung der Rüstungsexportgenehmigungen haben. Die in der Nationalen Sicherheitsstrategie weiterhin verfolgte „restriktive Grundline“ der deutschen Rüstungsexportpolitik, insbesondere gegenüber sogenannten Drittländern, behindert die politisch geforderten Rüstungskooperationen, schwächt die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen wehrtechnischen Industrie, bringt die Unternehmen in eine internationale Abseitsposition und führt zum Verlust von Schlüsseltechnologien.
Finanzierungsprobleme bei Rüstungsaufträgen
Sechs Unternehmen des Marineschiffbaus mit gut 80 Prozent der Beschäftigten haben Probleme hinsichtlich der Finanzierungsmöglichkeit von Rüstungsaufträgen. „Es kann nicht sein“, sagte Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen auf dem Wehrtechnik-Gipfel, „dass die wehrtechnischen Betriebe einerseits einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung von Frieden und Freiheit in Europa leisten, es andererseits aber schwer haben, an Kredite zu kommen“.
Die wehrtechnischen Unternehmen fordern, dass Verteidigung und ihre Produkte, die unserer Sicherheit dienen und stets mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt und exportiert werden, als nachhaltig erklärt werden. Deshalb müssen die diskriminierenden ESG-Bestimmungen der EU-Kommission (Environment, Social, Governance), auch Taxonomie genannt, die die Rüstungsindustrie als „nicht nachhaltig“ und „sozial schädlich“ einstufen und so den Unternehmen vermehrt den Zugang zum Kreditmarkt verwehren, abgeschafft werden.
Fazit
Die schleswig-holsteinische Landesregierung bekennt sich zur sicherheits- und industriepolitischen Bedeutung der wehrtechnischen Industrie und unterstützt sie tatkräftig bei ihren Anliegen. Dieser Wehrtechnik-Gipfel reiht sich ein in die breit angelegten Aktivitäten der Landesregierung, wie der im Juni 2023 einberufene konstruktive Dialog zwischen der Wehrindustrie und der Kreditwirtschaft sowie der Beschlussvorschlag vom Wirtschaftsministerium des Landes zur „Unterstützung der Wehrtechnik“, der am 8. November 2023 auf der Wirtschaftsministerkonferenz die breite Zustimmung der anderen Länder fand.
Und auch der Schleswig-Holsteinische Landtag hat sich 2023 unter dem Thema „Schleswig-Holsteins Wehrtechnik unterstützen“ mit der Verbesserung der Rahmenbedingungen für die wehrtechnische Industrie befasst. Aufgrund der sicherheitspolitischen Herausforderungen sind dies deutliche Zeichen der flankierenden politischen Unterstützung der wehrtechnischen Unternehmen und einer strategisch zwischen Politik und Wirtschaft abgestimmten Vorgehensweise.
Dieter Hanel ist Mitglied im Vorstand (Sprecher) des Arbeitskreises Wehrtechnik Schleswig-Holstein und Autor des Buches „Bundeswehr und Verteidigungsindustrie. Sicherheit und Technologie in Schleswig-Holstein“
Dieter Hanel
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