Glory Amsterdamm

Im Sturm hielt die Verankerung der Glory Amsterdam nicht. (Bild: Havariekommando)

Havarie der GLORY AMSTERDAM

4. Dez 2020 | Magazin, Schifffahrt | 0 Kommentare

Am 29. Oktober 2017 strandete der Bulkcarrier MS Glory Amsterdam 1,6 Seemeilen nördlich der Insel Langeoog. In der Öffentlichkeit ist Unverständnis darüber aufgetreten, dass dieses Schiff binnen zwölf Stunden von seiner Ankerposition auf der Tiefwasserreede in der Deutschen Bucht bis zur Strandung vor der Insel Langeoog vertreiben konnte, ohne dass eine Notverschleppung mit dem Motorschlepper Nordic auf Veranlassung des Havariekommandos erfolgreich sein konnte.

Der Verfasser hat sich mit dem Ablauf der misslungenen Hilfeleistung durch den Motorschlepper Nordic in seiner Eigenschaft als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Schiffbau befasst und kommt zu dem nachfolgend aufgeführten Ergebnis.

Diese Havarie wurde von der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchungen (BSU) im Untersuchungsbericht 408/17 vom 06.03.2019 als schwerer Seeunfall eingeordnet.

In diesem 192 Seiten starken Untersuchungsbericht kommt die BSU zu dem Ergebnis: „Glory Amsterdam hat sich am 29.10.2017 in einem Orkan morgens von ihrem Ankerplatz losgerissen und war 12 Stunden durch die Deutsche Bucht getrieben, bis sie abends vor Langeoog auf einer Sandbank strandete.“

Ursache hierfür sollen u.a. sein:

  • ein gestresster chinesischer Kapitän
  • sprachliche Missverständnisse
  • mangelnde seemännische Fähigkeiten
  • Notschlepper Nordic nicht klar erkannt
  • Boarding Team (Emergency Assistance Team) konnte nicht von der
    Nordic abgewinscht werden
  • zu geringe Antriebsleistung (9.326 kW)

Der Verfasser nimmt dazu wie folgt Stellung: Aus der Sicht eines Schifffahrtsachverständigen sind – vereinfacht dargestellt – zwei entscheidende Ereignisse für die Strandung der Glory Amsterdam vor Langeoog voraus gegangen:

  1. Die Verankerung hat nicht gehalten, sodass die Glory Amsterdam
    vertrieben ist.
  2. Die Notverschleppung durch die Nordic ist nach 46 Minuten misslungen
    durch Bruch eines Pollerrohres vom Doppelpoller.

Hätte nur ein Ereignis hiervon nicht stattgefunden, wäre die Glory Amsterdam nicht gestrandet.

Nach den Klassifikationsvorschriften des Germanischen Lloyd (heute DNV-GL) wird bezüglich der Ankerausrüstung auf folgendes hingewiesen:

„Die Ausrüstung ist für das Ankern im Hafen oder in geschützten Gewässern bestimmt. Die Ausrüstung ist nicht ausgelegt, um ein Schiff in schwerem Wetter an ungeschützter Küste vor Anker zu halten oder um ein fahrendes oder treibendes Schiff aufzustoppen.“

Die Auslegung der Ankerausrüstung (Ankergewicht, Kettenlänge, Kettendurchmesser, Bruchkraft der Ankerkette) wird nach einer Ausrüstungsleitzahl bestimmt. Die Formel hierfür basiert auf der Annahme, dass die Strömungsgeschwindigkeit des Wassers maximal 2,5 Meter pro Sekunde und die Windgeschwindigkeit maximal 25 Meter pro Sekunde (etwa Windstärke 10 Beaufort) beträgt.

Nach vorliegender Wetterkarte des DWD herrschte am 29. Oktober gegen 06:00 Uhr UTC im Ankergebiet der Glory Amsterdam eine Windstärke von 9 Beaufort und eine Wellenhöhe von 8,00 Meter.

Da das Schiff ohne Fracht in Ballastbeladung geankert hat, war eine große Windangriffsfläche vorhanden, die nach Ansicht des Verfassers zum Verlust der Anker geführt hat.

Erschwerend kam hinzu, dass gleichzeitig mit zwei Ankern an unterschiedlichen Kettenlängen geankert worden ist (Drucksache 19/1639 des Deutschen Bundestages vom 13.04.2018. Backbord-Anker : 4 x 27,50 = 110,00 Meter; Steuerbord-Anker: 9 x 27,50 = 247,50 Meter). Das Schiff schwoit dann bei Änderung der Tideströmung um die kürzere Ankerkette (110,00 m), sodass es wegen Alleinbelastung zum Bruch der kürzeren Ankerkette kommt. Ist das Schiff dann treibend in Bewegung, reißt dann auch infolge der Bewegungsenergie die längere Kettenlänge (247,50 m).

Als dann nach mehreren Fehlversuchen eine Schleppverbindung durch die Nordic hergestellt werden konnte, ist diese nach 46 Minuten Dauer wieder verloren gegangen, als ein Rohr des Doppelpollers abriss. Die Belastung war also grenzwertig, denn zumindest hat das einzelne Pollerrohr 46 Minuten lang gehalten.

Nach Feststellungen des Verfassers wurde die Schleppleine also nur an einem Pollerrohr belegt. Wären beide Pollerrohre genutzt worden, hätte sich die Belastung am Pollerrohr halbiert. Vermutlich wäre dann die Notverschleppung gelungen.

Bewegt sich der Motorschlepper Nordic im Seegang, erzeugt er eine sehr große Bewegungsenergie dann, wenn er „in die Leine fällt“. Der vorhandene maximale Pfahlzug, also die Schleppkraft des Motorschleppers, beträgt 200,00 Tonnen. Im Seegang ist der Schlepper nicht in der Lage, die Schleppkraft zu reduzieren. Bei relativ kurzer Schleppleine kann nämlich die Bewegungsenergie der 3.600 Tonnen verdrängenden Nordic ein Vielfaches des maximalen Pfahlzugs betragen. Die Schleppleine – oder in diesem Fall das Pollerrohr – bricht aus der Pollerbank.

Aus diesem Grund werden Überseeverschleppungen infolge der Bewegungsenergie im Seegang an sehr langer Schleppleine ausgeführt, deren Länge etwa 1.000 - 2.000 Meter beträgt. Die dann durchhängende Schleppleine federt im Seegang die Bewegungsenergie des Motorschleppers und des Schleppanhanges ab.

Glory Amsterdam

Bei Windstärke 9 und acht Meter Wellenhöhe vertrieb der Frachter von der Tiefwasserreede in der Deutschen Bucht bis nach Langeoog. (Bild: Havariekommando)

Bei Vorträgen hat der Verfasser die Bewegungsenergie mit folgendem Versuch erklärt: Ein Paketband soll die Schleppleine darstellen. Mit der Handkraft beider Hände ist man nicht in der Lage, dieses Paketband zu zerreißen. Bindet man an beiden Enden einen Mauerstein und zieht wieder mit beiden Händen, ist man auch nicht in der Lage, das Paketband zu zerreißen. Bewegt man aber die Mauersteine sehr schnell gegeneinander, zerreißt das Paketband mit Leichtigkeit, so wie die zu kurze Schleppleine im Seegang zwischen Motorschlepper Nordic und MS Glory Amsterdam.

Dieser Effekt ist natürlich auch abhängig vom Gewicht des Mauersteins, der den Motorschlepper symbolisiert. Verkleinert man hierbei nämlich den Mauerstein beispielsweise auf ein Viertel des Gewichts, was einem kleineren Motorschlepper von 800 Tonnen entspricht, so kann man bei schneller Bewegung das Paketband (Schleppleine) nicht mehr zerreißen. Die kleinere Masse ist also entscheidend. Diese simplifizierte Darstellung mit Mauersteinen hilft zum Verständnis der Bewegungsenergie, die zum misslungenen Schleppversuch geführt hat.

Ein weiterer Punkt der Untersuchung betrifft das Boarding-Team. Es wurde versucht, gegen 11:20 Uhr das Boarding Team, welches zur Hilfeleistung an Bord der Glory Amsterdam abgesetzt werden sollte, mit einem Hubschrauber der Bundespolizei von Bord der Nordic abzuwinschen. Dies ist aber wegen der schlechten Wetterbedingungen gegen 11:50 Uhr abgebrochen worden.

Der Verfasser ist mit diesem Vorgang vertraut, da er des Öfteren zwecks gutachterlicher Tätigkeiten auf Schiffen in der Deutschen Bucht von der Firma Wiking Helicopter Service abgewinscht worden ist. Für ihn ist es daher nachvollziehbar, dass das Abwinschen von der Nordic bei rund 8 Meter hohen Wellen – und damit einhergehenden Bewegungen des Motorschleppers – nicht möglich ist.

Die Nordic hätte nach Ansicht des Verfassers in ein ruhigeres Seegebiet, beispielsweise in die Jade verholt werden müssen, um dort bei besseren Seegangsbedingungen das Boarding-Team aufzuwinschen.

Stattdessen erreichte ein Hubschrauber der Bundespolizei erst etwa fünf Stunden später mit einem anderen Boarding-Team die Glory Amsterdam und setzte dieses gegen 16:26 Uhr auf dem Hauptdeck ab. Das war aber zu spät, denn um 18:00 Uhr strandete die Glory Amsterdam vor der Insel Langeoog.

Unverständlich bleibt für den Verfasser, dass zivile Hubschrauberfirmen mit großen Erfahrungen beim Auf- und Abwinschen nicht zum Einsatz herangezogen worden sind.

So ist die Firma Wiking fast täglich im Einsatz, um Lotsen und sonstiges Personal, gerade bei schlechten Wetterbedingungen, an Bord von Schiffen und Bohrinseln abzusetzen oder aufzunehmen.

Nach Ansicht des Verfassers

  • war das Ankern der Glory Amsterdam im ungeschützten Küstengebiet bei orkanartigem Sturm unzulässig.
  • hätte das Boarding-Team von Land aus mit einem Hubschrauber rechtzeitig übergesetzt werden müssen.
  • entsprach das Festmachen der Schleppleine an nur einem Rohr des Doppelpollers keiner fachgerechten seemännischen Handhabung.
  • war infolge des schweren Seeganges der Pfahlzug des Motorschleppers nicht auf eine geringere Kraft regelbar.
  • hätte eine Notverschleppung aufgrund der großen Bewegungsenergie (Fallen in die Leine) nur an sehr langer und durchhängender Schleppleine erfolgen dürfen.

Warum die Glory Amsterdam nicht die Ankerketten eingeholt und mit eigner Kraft die Tiefwasserreede verlassen hat, bleibt dem Verfasser unverständlich. Aus dem Untersuchungsbericht der BSU geht jedenfalls hervor, dass Antriebsmaschine und Ruderanlage voll betriebsfähig gewesen sein sollen.

Autor: Dieter Becker

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