Eine Bordfacharztgruppe umfasst bis zu neun Personen, Foto: Bw

Eine Bordfacharztgruppe umfasst bis zu neun Personen, Foto: Bw

Helfer im Notfall

In den vergangenen Jahrzehnten konnten westliche Marinen kaum Erfahrungen bei der Versorgung von Verletzten im Gefecht sammeln. Landbasierte Einsätze der US-Streitkräfte bilden daher die Basis für heutige Sanitätskonzepte an Bord.

Als man sich im Kalten Krieg auf das große Gefecht vorbereitete, rechnete man mit Kampfhandlungen über eine Dauer von wenigen Tagen und blickte mit einem gewissen Fatalismus auf die erwarteten Überlebenswahrscheinlichkeiten.

In den letzten 30 Jahren haben sich die Umstände grundlegend geändert. Wo früher ein schneller atomarer Schlagabtausch erfolgen sollte, erwartet man heute konventionelle Operationen von längerer Dauer, aber auch hybride Szenarien mit einer großen Anzahl Verwundeter.

Zeitgleich hat sich die Struktur der Bundeswehr geändert. Die Marine der großen Wehrpflichtigen-Armee ist einer kleinen, technisch hochspezialisierten Marine mit intensiv geschultem Fachpersonal gewichen. Gerettetes Personal muss daher in der Lage sein, erneut zu kämpfen, insbesondere weil spezialisiertes Fachpersonal nach einer Ausbildungsdauer von oft mehreren Jahren anderweitig nicht ohne Weiteres ersetzt werden kann. Eine Änderung, die die Sanität und den Sanitätsgefechtsdienst nicht nur aus Fürsorge notwendig, sondern auch strategisch relevant macht. Daher ist es erforderlich, dass der Sanitätsgefechtsdienst stets als essentieller Bestandteil des Seegefechts und der Bordsanitätsdienst unverändert als integraler Bestandteil eines jeden Bordkommandos verstanden wird.

Die letzten konventionellen Seegefechte eines NATO-Mitglieds erfolgten 1982 im Falklandkrieg, ein Konflikt, aus dem -mit Limitationen- Lehren für Material, Personal und Sanität gezogen werden konnten. So wurde versucht, in Ergänzung zu den Erfahrungen der Weltkriege, Berechnungen für Verwundeten-Zahlen, Verletzungsmuster, Triage und Rettungsketten abzuleiten. Sowohl die medizinische Versorgung, die Art der Waffenwirkung, als auch die Art der Kriegsführung unterlagen in den vergangenen 40 Jahren jedoch entscheidenden Änderungen, sodass Erkenntnisse für den Sanitätsgefechtsdienst fortlaufend neu zu bewerten sind.

Unfälle auf See, aber auch Anschläge (z.B. auf USS Cole) führten zu größeren Schadensereignissen. Aufgrund der sehr unterschiedlichen sanitätsdienstlichen Organisationsstrukturen ließen sich aus diesen Ereignissen jedoch keine grundsätzlichen Verfahrensweisen ableiten. Daher wurden die durch Landeinsätze generierten Konzepte des TCCC (Tactical Combat Casualty Care) und der Prolonged Fieldcare (Versorgung von Patienten über einen längeren Zeitraum bei eingeschränkten Bedingungen) für die Marine modifiziert übernommen.

Im Ernstfall wird aus einer Messe ein Verbandplatz, Foto: Bw/Felix Jaekel
Im Ernstfall wird aus einer Messe ein Verbandplatz, Foto: Bw/Felix Jaekel

TCCC basiert hierbei hauptsächlich auf Auswertungen amerikanischer Verluste im Irak und in Afghanistan. Man identifizierte vermeidbare Todesursachen: Massive Blutverluste, Verlegen der Atemwege, Spannungspneumothorax und die negative Beeinflussung der Blutgerinnung aufgrund ausbleibenden Wärmeerhalts.

Anders als an Land erwartet man auf See jedoch einen höheren Anteil an Verbrennungsopfern, Rauchgas-Inhalationen und nicht penetrierenden Verletzungen sowie Brustkorbverletzungen (i.d.R. entfällt das Tragen einer Schutzweste im Schiffskörper). Verwundete werden zudem aufgrund der geringen Möglichkeit einer Dislozierung in größerer Zahl als an Land und mit deutlich längeren Evakuierungszeiten zu versorgen sein. Diesen Umständen begegnet der Marinesanitätsdienst mit einem darauf abgestimmten Ausbildungs- und Gefechtskonzept.

Hervorzuheben sind hierbei die „Einsatzersthelfer BRAVO Bord“ (EH-B Bord), denen eine zentrale Bedeutung im Sanitätsgefechtsdienst zukommt. EH-B Bord sind intensiv geschulte Besatzungsangehörige außerhalb des Sanitätspersonals, die sich auf jeder militärischen Einheit der Marine befinden und die Aufgaben eines höher qualifizierten Ersthelfers in Zweitfunktion wahrnehmen.

Über die Behandlung von Verwundeten im Gefecht besitzt die Deutsche Marine nur theoretische Kenntnisse. Gelernt werden muss von anderen Nationen, Foto: Bw
Über die Behandlung von Verwundeten im Gefecht besitzt die Deutsche Marine nur theoretische Kenntnisse. Gelernt werden
muss von anderen Nationen, Foto: Bw

Abgeleitet aus dem Konzept des TCCC wenden sie z.B., über das Abbinden von Extremitätenblutungen mittels Tourniquets hinaus, Wendel- und Guedeltuben zum Offenhalten der Atemwege an. Zudem werden sie geschult, einen Spannungspneumothorax (Luft zwischen Lunge und Brustwand führt zu Atemnot und lässt die großen Gefäße am Herzen abknicken) zu erkennen und Entlastungspunktionen durchzuführen.

Zusätzlich zu den in den Landstreitkräften verwendeten intraossären Zugängen (Zugänge für Medikamente und Infusionen in den Knochen), bildet die Marine ihre EH-B Bord in der Anlage von intravenösen Zugängen aus. Dies ist überlebenswichtig für Verbrennungsopfer, aber auch für Verletzte, die aufgrund von Verletzungen des Brustbeins und Brustkorbs keinen intraossären Zugang erhalten können.

Um den bordspezifischen Verletzungsmustern gerecht zu werden, werden Schiffsärzte und Sanitätsmeister u.a. in den Techniken der Koniotomie (Luftröhrenschnitt) und Escharotomie (Entlastungsschnitte bei großflächigen Verbrennungen) ausgebildet. Diese stellen ebenfalls wichtige Bausteine der Versorgung Brandverletzter dar.

Begrenzte Ressourcen

Eine Fregatte, die im Einsatz neben der Schiffsarztgruppe über eine eingeschiffte Bordfacharztgruppe bestehend aus Chirurg, Anästhesist, OP- und Anästhesie-Pfleger verfügt, umfasst bis zu neun Personen, die im Gefecht zudem durch die EH-B Bord unterstützt werden. Trotz dieses Personalansatzes stellt die zu erwartende Anzahl der Verwundeten eine besondere Herausforderung dar. Beim Treffer eines modernen Seezielflugkörpers ist grundsätzlich von einem Massenanfall von Verwundeten auszugehen, bei welchem die Anzahl der Verwundeten das Leistungsvermögen der Helfer übersteigt. Dies erfordert gesonderte organisatorische und strukturelle Maßnahmen. In einer Gefechtssituation werden Verwundete in der Regel durch Rondengänger identifiziert, im Rahmen der Selbst- und Kameradenhilfe erstversorgt und gemeldet. Im Schiffstechnischen Leitstand und im Schiffslazarettverbandsplatz erfolgt die Lagebilderstellung.

Bordspezifische Verletzungen erfordern eine anderen Ausbildung als an Land, Foto: Bw
Bordspezifische Verletzungen erfordern
eine anderen Ausbildung als an Land, Foto: Bw

Lässt es die Gefechtssituation zu, erfolgt der Abtransport der Verwundeten auf die Verbandsplätze. Dies kann nur durch die enge Koordination zwischen Schiffstechnischem Leitstand und Schiffslazarettverbandsplatz gewährleistet werden. Der Leitstand legt sichere Transportwege fest, während durch die Sanität mit EH-B Bord besetzte Spezialisierte Trupps Verwundetenversorgung bereitgestellt werden. Diese führen vor Ort eine umfangreichere Erstversorgung durch und sind mit den Rettungsmitteln für den Transport zu den Verbandplätzen ausgerüstet. Nach der Verbringung der Verwundeten unterstützen die EH-B Bord lageabhängig auf den Gefechtsstationen und Verbandplätzen.

Noch auf dem Schiff werden durch das Sanitätspersonal die Verwundeten erfasst und triagiert, also nach Schweregrad der Verletzungen und Dringlichkeit der Behandlung eingeteilt. Das Konzept der Triage gilt in Grundzügen seit den Napoleonischen Kriegen und zielt darauf ab, die vorhandenen Ressourcen so zu nutzen, dass möglichst viele Patienten gerettet werden können. Ein lückenloses Lagebild und eine reibungslose Kommunikation sind hierfür unerlässlich.

Sind Verwundete verlegefähig, erfolgt die möglichst zügige Übergabe an eine höhere Behandlungsebene entlang der sogenannten medizinischen Rettungskette. Dies können im Seegebiet stehende Einsatzgruppenversorger mit einem Rettungszentrum See an Bord oder landgebundene Behandlungseinrichtungen wie Feldlazarette und Krankenhäuser sein. Die Verlegung von Verwundeten und die zivil-militärische Zusammenarbeit stehen aufgrund ihrer Relevanz in der Landes- und Bündnisverteidigung derzeit verstärkt im Fokus großer maritimer Übungen.

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