Es ist mittlerweile guter Brauch, dass die Deutsche Marine ihren Maritimen Jahresbericht auf der Maritime Convention, der gemeinsamen Veranstaltung des DMIs und griephan, vorstellt – so auch in diesem Jahr in digitaler Form am 16.11.21. Wir hatten Gelegenheit, bei einem Kännchen Lumumba (heißer oder kalter Kakao mit einem Schuss Rum, wer mag gerne mit Schlagsahne) in dem aktuellen Bericht im Ohrensessel zu stöbern, und möchten an dieser Stelle in einer kurzen Serie einige ausgesuchte Themen von Interesse vorstellen:
Der Abschluss der Verhandlungen zum Freihandelsabkommen „Regional Comprehensive Economic Partnership“ (RCEP) am 15.11.2020 wurde vielfach als wichtiger Schritt in der Entwicklung des internationalen Handelssystems gepriesen. Dass in dieser Zeit die größte Freihandelszone geschaffen wird, die die Welt je gesehen hat, ermöglicht es, Protektionismus nicht mehr als einzige Option für die Handelspolitik im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts zu sehen. Doch auch wenn RCEP die administrative Komplexität der Handelsabkommen in der Region reduziert, stellt es keinen großen Durchbruch hin zu einem liberalen Wirtschaftsraum dar. RCEP ist ein relativ schwaches Handelsabkommen. Es hat nicht das Potenzial, aus dem asiatischpazifischen Raum einen monolithischen Block in der internationalen Handelspolitik zu machen. Zudem leistet es keinen Beitrag zur Überwindung der wachsenden politischen Spannungen in der indopazifischen Region.
RCEP wurde von den ASEAN-Staaten initiiert und schließt deren zehn Mitglieder (Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, die Philippinen, Singapur, Thailand, Vietnam) sowie die Volksrepublik China, Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland ein. Von 2012 an verhandelten diese Länder über die Bedingungen eines regionalen Freihandelsabkommens. Eines der Hauptmotive für die ASEAN-Staaten war die Schaffung eines Gegengewichts zur Transpazifischen Partnerschaft (TPP). Nach dem Ausscheiden der USA aus diesem Abkommen im Jahr 2017 stellte die anschließende Realisierung eines kleineren, etwas weniger ambitionierten Projekts (Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership, CPTPP) keinen vollwertigen Ersatz für RCEP dar, weil bedeutende ASEAN-Mitglieder, insbesondere Indonesien und Thailand, nicht an CPTPP teilnahmen. Allerdings verändert RCEP die Handelsbeziehungen zwischen der ASEAN und der VR China nicht wesentlich, da der Handel zwischen diesen elf Volkswirtschaften schon seit 2010 auf der Basis eines Freihandelsabkommens abgewickelt wird. Dieses geht indes auf einen Vorschlag des damaligen chinesischen Premierministers Zhu Rongji und nicht auf die ASEAN zurück. [...]
Die Bedeutung von RCEP wäre höher, wenn Indien das Abkommen unterzeichnet hätte. Allerdings ringt Indien seit Jahren mit seiner Rolle in der Weltwirtschaft. Einerseits sind die Unternehmen des Landes auch jenseits der Landesgrenzen sehr aktiv, und dies nicht nur im Dienstleistungssektor. Wesentliche Anteile an der britischen Automobilindustrie (Jaguar, Land Rover) gehören heute dem indischen Unternehmen Tata. Andererseits haben sich indische Regierungen immer wieder als Bremser bei der Weiterentwicklung von Regelwerken für den internationalen Handel erwiesen. Von Beginn der Verhandlungen zur Doha-Runde der WTO im Jahr 2001 an drängte Neu-Delhi auf die Durchsetzung der Forderungen der Entwicklungs- und Schwellenländer. Die teilweise überzogenen Forderungen dieser Gruppe trugen wesentlich zum Scheitern der Doha-Runde bei. Die Erwartung, dass die seit 2014 amtierende Regierung von Narendra Modi mutig genug sein würde, Indiens Handelspolitik deutlich zu liberalisieren, hat sich nicht bestätigt. Indien verharrt in einer Position der Globalisierungsskepsis und setzt – ebenso wie China im neuen Fünfjahresplan – vor allem auf die binnenwirtschaftliche Entwicklung.
Bedeutung für die EU & die deutsche Wirtschaft
RCEP ist relevant für Europa, wird in mancher Hinsicht aber überschätzt. Im Vergleich zu EU-Abkommen bleibt die Handelsliberalisierung weit zurück. Denn rund fünf Sechstel des intraregionalen Handels fanden nach Berechnungen des Economist bislang zwischen Partnern von bilateralen Freihandelsabkommen (FHA) statt, sodass der Zollabbau insgesamt gering ist. Nur Japan, Südkorea und China bauen Zollhürden in nennenswertem Maß gegenseitig ab, aber mit Übergangsfristen von bis zu zwei Dekaden. Auch im Dienstleistungshandel geht es abgesehen von selektiven neuen Öffnungen vorwiegend um ein Festschreiben von Bestehendem. Ökonomisch sehr relevant ist aber die Vereinheitlichung der vielen sich überschneidenden bilateralen FHA in der Region und vor allem die Vereinfachung von Ursprungsregeln, die zudem recht liberal gegenüber Drittländern gefasst sind. Dieser Schritt mindert Handelsbürokratie gerade für KMU und dürfte die grenzüberschreitenden Wertschöpfungsketten in der Region weiter stärken.
Die RCEP-Region ist wichtig für Deutschland. Sie steht für rund 13,0 % der Warenexporte und 17,3 % der Warenimporte im Jahr 2019. Zwar dominiert China. Doch entfallen auf die anderen RCEP-Mitglieder 5,8 % der Ausfuhren und 7,3 % der Einfuhren. RCEP hat wegen der begrenzten Liberalisierung nur geringe ökonomische Effekte auf Europa. Eine Modellschätzung (Petri/Plummer, 2020) geht von marginal positiven plus 0,06 % des BIP im Jahr 2030 aus. Dabei werden moderate negative Umlenkungseffekte zulasten Europas (vor allem in China) durch positive Effekte eines größeren Wachstums der RCEP-Region kompensiert. Die Rolle Chinas wird überbewertet. RCEP ist nicht unter Führung Pekings, sondern der ASEAN-Staaten zustande gekommen. Zudem hat China nicht seine Standards durchgesetzt, da RCEP hier ebenfalls wenig leistet. China ist aufgrund seiner Wirtschaftskraft dabei. Doch musste es dafür Zollsenkungen gegenüber Japan und Südkorea zustimmen, die es lange gescheut hat. Das war es der chinesischen Führung wert, denn RCEP ermöglicht strategisches Selbstmarketing. So stellt sich China als Liberalisierer und Gegner des Protektionismus (der USA) dar und kann darauf verweisen, dass die USA nicht dabei sind – und der weitere Rivale Indien ebenso nicht. Neben diesem geopolitisch relevanten Erfolg wird China in der Region mehr investieren (auch im Rahmen der Belt and Road Initiative) und seine Bedeutung in den regionalen Wertschöpfungsketten weiter ausbauen. Dabei nutzt es einige ASEAN-Länder wie Vietnam in immer stärkerem Maß als Exportplattform, vermutlich auch zur Umgehung von Handelsbarrieren der EU und der USA.
[…] Ein Abkommen mit ASEAN ist vor allem wegen hoher Umwelt- und Menschenrechtsstandards der EU nicht zustande gekommen. In Zukunft muss die EU die indopazifische Region noch stärker in den Blick nehmen. Ein Beitritt zu RCEP erscheint dabei nicht ratsam, da die Standards zu niedrig sind und die EU hier auch gegenüber China Handelsbarrieren abbauen müsste. Stattdessen sollte die EU prüfen, mit den USA und dem Vereinigten Königreich einem gemeinsam weiter entwickelten CPTTP beizutreten. Auf diese Weise würden sich marktwirtschaftliche und wertebasierte Standards für fairen Handel setzen lassen. Das Abkommen könnte damit Vorreiter für neue WTO-Regeln sein und wäre für China offen, aber nur wenn Peking diese Standards akzeptiert.
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