Unter dem obigen Titel berichtete das RedaktionsNetzwerk Deutschland (rnd) am 16.06.2022 über einen Plangedanken, den der ehemalige SACEUR, Admiral James George Stavridis, US Navy, ausgesprochen hat, um die menschenverachtenden Getreideblockaden Russlands im Schwarzen Meer aufzulösen. Er schlägt vor, zivilen ukrainischen Weizentransportern im Schwarzen Meer militärischen Geleitschutz zu geben. Auf diesem Wege könnte man den Machtspielen Putins durchaus Grenzen setzen und die absichtlich von ihm herbeigeführte globale Lebensmittelkrise entschärfen.
Admiral James G. Stavridis
Das wäre nicht ganz risikofrei, aber „ein bisschen Vernunft mitten im Krieg“ sollte das „kalkulierte Risiko“ schon Wert sein, wie das rnd und die nyt (New York Times) schreiben. Stavridis ist kein unbeschriebenes Blatt: er war von Juli 2009 bis Mai 2013 der 16. Supreme Allied Commander Europe der NATO. Zudem hatte er als Kommandant des frisch in Dienst gestellten Lenkwaffen-Kreuzers USS „Valley Forge“ (Ticonderoga-Klasse, erstes Los AEGIS-Kreuzer) im ersten Golf-Krieg an der „Operation Earnest Will“ zum Schutz kuwaitischer Öllieferungen über den Persischen Golf und zum Blockadebruch gegen den Iran teilgenommen (Tankerkrieg Juli 1987 bis September 1988). Stavridis weiß also, wovon er spricht. Es ging damals nicht um die Konfrontation mit dem Iran – es ging um die „Aufrechterhaltung der Freiheit der Seefahrt in internationalen Gewässern“ und um die „Vermeidung von Missverständnissen“.
Weiter im Originaltext des rnd von Matthias Koch:
Die Sache ging gut aus. Wie bei vielen maritimen Konflikten der letzten Jahrzehnte beruhigte sich die Lage durch die schiere Präsenz der USA auf See.
Ein ähnliches Vorgehen empfiehlt Stavridis jetzt gegenüber Russland: Wladimir Putin habe nicht das Recht, ukrainische Weizentransporter zu blockieren, die derzeit in Odessa festsitzen, viele bereits mit Millionen Tonnen verderblicher Ware an Bord. Die Welt dürfe sich auf keinen Fall damit abfinden, dass Putin sich widerrechtlich zu einem Gebieter über die Meere aufschwinge. „Die demokratischen Verbündeten sollten jetzt eine Mission nach dem Vorbild von ‚Earnest Will‘ vorbereiten“, schrieb Stavridis.
Das Wort des Admirals hat Gewicht. Stavridis war in der Ära Obama der höchste Soldat der Nato (Supreme Allied Commander Europe). Er gilt als ein Offizier mit ungewöhnlich viel politischer Sensibilität. Eine Zeit lang war er mal als möglicher Vizepräsidentschaftskandidat von Hillary Clinton im Gespräch, vor deren Kandidatur im Jahr 2016.
Ja sagen zu einem „kalkulierten Risiko“?
Der Stavridis-Plan für Odessa kursiert seit zwei Wochen. Anfangs wurde er nur in Militärkreisen diskutiert, inzwischen aber spielt er zunehmend auch in den politischen Debatten von Nato-Staaten eine Rolle.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron etwa will erklärtermaßen ebenfalls die Blockade von Odessa brechen, ihm schwebt vor, die UN Regie führen zu lassen. Auch die Türkei, die die Zugänge zum Schwarzen Meer kontrolliert, scheint nicht abgeneigt zu sein.
Am 14. Juni verlangte der „New York Times“-Kolumnist Bret Stephens, über das Thema nicht mehr nur zu reden, sondern Nägel mit Köpfen zu machen: „Die USA sollten bereit sein, die russische Seeblockade von Odessa infrage zu stellen, indem sie Frachtschiffe zum und vom Hafen eskortieren.“
Eine Koalition wohl ohne Deutschland
Ein kalkuliertes Risiko? Viele Staaten im Westen werden da zusammenzucken. In Deutschland zum Beispiel, dessen Talkshows allabendlich noch immer vollauf beschäftigt sind mit Bauchnabeldebatten über das Für und Wider von Waffenlieferungen, ist die Debatte über einen Bruch der Odessa-Blockade noch gar nicht angekommen.
Eine Teilnahme Deutschlands schwebt Stavridis auch nicht vor. Der Admiral nennt drei organisatorische Optionen für einen Bruch der Odessa-Blockade. Machbar sei dies unter der Regie der Vereinten Nationen, der Nato oder aber einer Koalition der Willigen unter Führung der USA. Letzteres sei wohl die wahrscheinlichste Variante. Als mögliche Teilnehmer sieht Stavridis Großbritannien, Frankreich, die Türkei, Rumänien und Bulgarien.
Russland muss laut Stavridis vorab informiert werden. Dabei müsse man besonders unterstreichen, dass keiner der beteiligten Staaten Kampfhandlungen mit russischen Schiffen wolle. Einziges Ziel sei die Freiheit der Seefahrt. „Moskau wird wahrscheinlich toben“, glaubt Stavridis. Aber die Wahrscheinlichkeit eines russischen Angriffs auf Nato-Kriegsschiffe in internationalen Gewässern sei gering.
Ein bisschen Vernunft mitten im Krieg
Zum Stavridis-Plans gehört, dass die Ukraine zunächst eine Minenräumaktion vor der Küste von Odessa duldet. Mitten im Krieg würde man plötzlich auf eine zumindest teilweise Rückkehr zur Vernunft blicken. Mit den wieder anlaufenden Weizenexporten könnten die drohenden Lebensmittelkrisen in Afrika gedämpft werden. Zudem könnte die Ukraine auf dem Weltmarkt wieder Einnahmen erzielen.
Unklar allerdings bleibt, ob Russland dies alles dann doch als eine Demütigung deuten würde – und am Ende doch das Feuer eröffnet auf Nato-Schiffe, die Weizentransporter begleiten.
Für diesen Fall rät Stavridis zu einem „proportional use of force“, einem verhältnismäßigen Gebrauch westlicher Waffengewalt in umgekehrter Richtung. So spricht ein Admiral, der keine Angst hat – und seine Flotte noch immer als überlegen erlebt hat.
Ein Schusswechsel zwischen russischen und amerikanischen Kriegsschiffen könnte am Ende Risiken für die gesamte Menschheit heraufbeschwören. Doch auch ein Putin, dem sich niemand in den Weg stellt, ist eine Bedrohung für die Welt.
So weit Matthias Koch im Text des rnd
Die Erschütterungen des russischen Ukraine-Krieges machen sich weltweit bemerkbar und verschärfen bereits bestehende Konflikte und Probleme. Noch befasst sich dieser Beitrag mit der Diskussion um Lösungsansätze. Ein „besonnenes Betrachten“ der Lage im Schwarzen Meer wird bald nicht mehr zu ertragen sein – dann müssen Lösungen herbeigeführt werden.
Deutschlandfunk (DLF)
In einem Hörfunkbeitrag des DLF spricht sich Johannes Peters vom Institut für Maritime Sicherheit an der Universität Kiel bereits am 9. Juni für eine UN-geführte Minenräumung vor den ukrainischen Häfen durch die internationale Staatengemeinschaft aus. Die drohende globale Hungerkatastrophe mache das „bilaterale“ Problem zu einem weltweiten - mit einem gewissen Handlungszwang.
Weil eine NATO-geführte Minenräumoperation, die sich kurzfristig über die Standing Maritime Groups auf die Beine stellen ließe, kaum von Russland akzeptiert werden würde – ebenso wie eine EU-geführte Räumungskampagne – käme wahrscheinlich nur eine international auf breiter Basis zusammengestellte Task Force in Frage, die durch den Aggressor-Staaten und seine Führung kaum ablehnbar sei. Auch wenn das „Nicht-Exportieren-Können“ der Ukraine wegen des unterbundenen freien Seeverkehrs im Schwarzen Meer faktisch keine Blockade im rechtlichen Sinne darstellt, versucht Russland seine Zustimmung zu Verhandlungen über Lösungen dadurch einzuhandeln, dass die internationale Gemeinschaft durch eine Lockerung der verhängten Sanktionen in Vorleistung geht.
Risiko
Diese noch unspezifische Forderung wird allerdings in dem Maße durch Russland hochgeschraubt werden, in dem dann ein Teil des Schwarzen Meeres als Konfliktzone ausfallen würde – was überhaupt nicht im Sinne des Kreml sein kann. Andererseits erscheint in der derzeitigen Lage (Mitte Juni) eine amphibische Landungsoperation der Schwarzmeer-Flotte im westlichen Gebiet bei Odessa unwahrscheinlich, weil der russischen Führung die Mittel für eine derartige, höchst komplexe und verlustreiche Operation nicht zur Verfügung stehen, da sie offensichtlich sämtlich in der Ostukraine zum Tragen gebracht werden.
Reuters berichtet
Interessanterweise berichtete Reuters, dass Russland Mitte Juni für gerade diese Getreidefrachten eine „sichere Passage“ (safe passage) aus den Häfen des Schwarzen Meeres angeboten habe, Russland aber nicht zuständig sei für die Einrichtung etwaiger Korridore in küstennahen Gewässern. Entweder die ukrainischen Minen räumen, oder die Schiffe um die Minenfelder herum geleiten. So zumindest Vassily Nebenza, der Botschafter Russlands bei den Vereinten Nationen.
Passend dazu hatte die Türkei ihrerseits vorgeschlagen, da eine Räumung der Minen viel Zeit beanspruche, dass die Getreidefrachter um die Seeminenfelder durch freie Wege geleitet werden könnten. Die Ukraine kenne diese „Kanäle“ und entsprechend sollten ukrainische Einheiten die zivilen Frachter dort durchleiten. Ankara warte allerdings auf klarere Antworten seitens Moskau auf diesen Plan der UN, so der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu. Für den Fall erfolgreicher Verhandlungen sei man in Istanbul bereit, eine verantwortliche Rolle in einem „Beobachter-Mechanismus“ anzunehmen – was immer das auch heißen mag. Jedenfalls verfügt Ankara noch über funktionierende Beziehungen zu beiden Kriegsparteien.
Aus den Vereinten Nationen hieß es, man habe den Plan mit der Türkei erarbeitet, und warte nun auf Zustimmung aus der Ukraine.
Auf ukrainischer Seite sieht man jedoch die Gefahr, dass sowohl ein Geleit durch minenfreie Kanäle wie auch ein Minenräumen in ukrainischen Hoheitsgewässern die eigenen Häfen und deren seeseitigen Schutz durch Minenfelder offen lege und Russland zum Angriff einlade. Davon werde seitens der militärischen Führung in Kiew abgeraten.
Und wie weiter?
Das Thema hat einige Ecken, die noch nicht zusammen passen wollen. Während Menschen verhungern, wird man wohl noch viele diplomatische Gespräche führen müssen, ohne dass man bei allen Seiten den guten Willen voraussetzen darf. Denn Moskau betont immer wieder, dass es gerade die Sanktionen gegen Russland seien, die die ukrainischen Getreideexporte behinderten. Nein – für die weltweite Lebensmittelkrise haben man keinerlei Verantwortung. Eine perfide Logik - solange die Preise steigen! Die Zeit spielt noch für Putin – aber irgendwann läuft sie ab.
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