Den Ausspruch “May you live in interesting times” schreibt man einem chinesischen Sprichwort zu – und es sind in der Tat interessante Zeiten, in denen wir leben! Noch kein halbes Jahr ist das Kabinett von Bundeskanzler Olaf Scholz im Amt, da müssen die neuen Mannschaften im Kanzleramt, Auswärtiges Amt (AA) und Verteidigungsministerium (BMVg) in enger Abstimmung mit den transatlantischen und europäischen Verbündeten eine ernste sicherheitspolitische Krise in und für Europa navigieren.
Das mediale Bild wird bestimmt von den russischen Kampffahrzeugen, die hufeisenförmig um den Osten der Ukraine aufmarschiert sind. Darin erschöpfen sich Moskaus militärischen Anstrengungen jedoch nicht, sie stellen den – vielleicht größten und sichtbarsten – Teil eines ganzheitlichen Ansatzes aus dem militärischen Instrumentenkasten dar. Eine Übersicht der russischen Marineaktivitäten – nicht nur – im Schwarzen Meer findet sich hier bei MarineForum online.
Solche Krisen treten natürlich nie zu einem günstigen Zeitpunkt auf, für die neue Bundesregierung ist das Timing jedoch besonders ungünstig: Sie muss die Herausforderung durch Moskau nicht nur im hier und jetzt diplomatisch und politisch bewältigen, sondern bei gleich zwei Bundeshaushalten die fiskalischen Weichen für Berlins sicherheitspolitische Ambitionen für die kommenden Jahre bis 2026 stellen. Vor dem Eindruck, dass man sich in Berlin eigentlich vor sicherheitspolitischen Entscheidungen scheut und Rüstungsentscheidungen vornehmlich wirtschaftspolitisch trifft, eine ganz besondere Herausforderung.
So wünscht sich das BMVg für die Jahre (2023) 53.760 Mrd €, (2024) 55.439 Mrd €, (2025) 57.285 Mrd € und (2026) 59.117 Mrd €. Das ist ein Mehrbedarf von über 37 Mrd € bis 2026 im Vergleich zur bisherigen Finanzplanung. Diese ist wiederum dem Status quo geschuldet, da sich sicherheitspolitische Konsequenzen für Berlin aus der Ukraine-Krise jetzt erst ergeben (oder eben auch nicht). Reicht die aktuelle Drohkulisse Moskaus aus, um Berlin aus seinem Dornröschenschlaf zu erwecken, oder fällt man nach Überstehen der Krise in alte Muster zurück? Wie finanziert man vor dem Hintergrund eines überlasteten Wehretats und eines angespannten Bundeshaushaltes diese Ansprüche an Sicherheit für Deutschland und Europa? Und sind diese Anstrengungen angesichts der dramatischen demografischen Entwicklung organisatorisch und fiskalisch zu schaffen?
Bei der kommenden Haushaltsaufstellung wird Berlin zeigen, wie ernst es das Säbelrasseln Moskaus im Osten der Ukraine und seine eigenen militärischen und sicherheitspolitischen Fähigkeiten nimmt. Sicherheit ist Vorsorge-Geschäft: Sie bilden das Fundament und die Glaubwürdigkeit für Dialog und Diplomatie. Wenn nun darüber gesprochen wird, was zu tun ist, offenbart sich nun auch, was in den vergangenen Jahren nicht getan wurde. Da ist es vielleicht gut, dass die neue Mannschaft in Berlin diese Erkenntnis früh in ihrer Legislaturperiode erfährt.
Ich glaube, nach der heutigen Regierungserklärung von Olaf Scholz fangen für die Streitkräfte und damit auch die Marine eine neue Zeitrechnung in der Landes- und Bündnisverteidigung an. Der Irrwitz: warum bedurfte es hierzu eines völkerrechtswidrigen Angriffs auf die Ukraine?