8. Maritimes Kolloquium des Deutschen Maritimen Instituts in Wilhelmshaven
Als der Präsident des Deutschen Maritimen Instituts (DMI), Konteradmiral a.D. Karsten Schneider mit diesen Worten das 8. Maritime Kolloquium des DMI beendete, konnte man auf einen Reigen anspruchsvoller Vorträge und Panels zurückblicken. Denn am 24. Mai 2022 hatten sich Experten für maritime Sicherheit im Atlantic Hotel Wilhelmshaven zum Thema: „Die Deutsche Marine vor neuen Aufgaben – Neue Herausforderungen – Neue Fähigkeiten?“ eingefunden.
Unterstützt wurde der Veranstalter von der Einsatzflottille 2 der Deutschen Marine, dem Informationsdienst griephan, dem Deutschen Marinebund, dem Deutschen Bundeswehr Verband und der Deutschen Atlantischen Gesellschaft. Es war die erste Präsenzveranstaltung seit Ausbruch der Pandemie und die erste Veranstaltung nach dem Umzug des DMI in die neue Geschäftsstelle nach Wilhelmshaven. Der Saal war ausgebucht, hochrangige Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft hatten sich angemeldet. DMI-Präsident Schneider eröffnete die Veranstaltung und erläuterte die Themenfindung – hatte man doch den Schwerpunkt „Indopazifik“ wegen des Krieges den Themenbereich um die „Ukraine“ erweitert.
Kein „Hirntod“
Siemtje Möller, Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin der Verteidigung, betonte in ihrem Grußwort die dadurch wieder erstarkte Solidarität in der NATO, die eben nicht „hirntod“ sei. Die Deutsche Marine trage die NATO „in ihrem Herzen“, die Ostsee sei nun mehr wieder von strategischer Bedeutung. Die Konzentration auf Landes- und Bündnisverteidigung sei jetzt die Priorität, insofern ginge das Thema des Kolloquiums „in die richtige Richtung“, so Möller.
Marinehauptstadt Wilhelmshaven
Die stellvertretende Bürgermeisterin von Wilhelmshaven, Gesche Marxfeld, überbrachte die Grüße der Jadestadt an das internationale Publikum. Dabei ließ Sie es sich nicht nehmen, selbstbewusst Wilhelmshaven als „Marinehauptstadt“ zu bezeichnen, auch wenn man diesen Titel in Rostock für sich in Anspruch nehmen mag.
100 Milliarden sind kein Allheilmittel
Konteradmiral Jürgen zur Mühlen, Kommandeur Einsatzkräfte im Marinekommando, war der höchste Vertreter der Deutschen Marine. In seinem Intro machte er deutlich, dass der Krieg in der Ukraine seitens der Marine intensiv beobachtet wird, insbesondere die Aktivitäten der russischen Marine im Schwarzen Meer: Auch auf die Motivation ihrer Soldaten und deren Fähigkeit zur Schiffssicherung ging er kurz ein, um dann mit den Worten „deutlicher kann ich mich nicht ausdrücken“ und dem Hinweis auf die mittlerweile fünfmonatige Stehzeit in See die Bewertung der Einsatzfähigkeit der russischen Marine beendete. Auch er bekräftigte, dass die NATO keine „flatline“ habe, sondern mit hoher Einsatzbereitschaft und Präsenz im Ostseeraum Stärke zeigen kann. Man müsse die Fähigkeiten zur konventionellen Abschreckung und zum „Kaltstart“ stärken und den Fokus auf ein erfolgreiches Seegefecht richten. Die Ostsee, so zur Mühlen, verändere sich, die Geografie verändere sich, nicht zuletzt durch neue Partner, und man müsse den Verteidigungsplan neu denken. Die Marinen Schwedens und Finnlands bezeichnete er als hochprofessionell. Wie erwartet, ging er auf die 100 Milliarden Sondervermögen und die Bedarfe der Marine ein – ein Thema, das sicher die Anwesenden Vertreter der Rüstungsindustrie besonders interessierte. Die „100 Milliarden sind kein Allheilmittel“, sagte er, aber die Prioritäten seien klar: die Stärkung der Bestandsflotte sei wichtig. Kurzfristige Effekte erwartet er durch die Beschaffung von Munition, Ersatzteilen und die Erfüllung vieler kleiner Bedarfe. Eine Stärkung des Marinearsenals ermögliche kurzfristig die Verbesserung der Einsatzbereitschaft und damit die Planbarkeit, die Einsatzausbildung und die emotionale und fachliche Bindung des Personals an ihr Waffensystem. Die Frage nach neuen Fähigkeiten, die er vorrangig ansetzen würde, beantwortete er im Konjunktiv und zählte von der P-8A über die Fregatten 126 und 127 bis zu U 212, Kampfbooten, Minenabwehr- und Hilfsfahrzeugen alle Bedarfe der Marine auf.
All navies in the Baltic must be future proof
Niklas Granholm, Deputy Director Swedish Defence Agency, wandte sich in seinem auf Englisch gehaltenen Vortrag der geostrategischen und geopolitischen Entwicklung im Ostseeraum zu. Dabei setzte er den Schwerpunkt auf den baltischen Seehandel, kritische Infrastrukturen wie Windparks und Pipelines sowie IT-Abhängigkeiten. Er bewertete die großen Marinen dieser Welt aus Sicht der schwedischen Marine, insbesondere die amerikanische, die russische und die chinesische Marine. Danach ging er auf die Kapazitäten der deutschen und skandinavischen Seestreitkräften ein. Zur schwedischen Marine sagte er unumwunden, dass die Ressourcen zu klein seien, um die ganze Küstenlinie abdecken zu können. Wörtlich sprach er von einer „archipelago fleet“. Abschließend mahnte er mit Blick auf die Bedrohung an, dass alle Marinen sich zukunftssicher aufzustellen hätten.
Die Bedrohungslage verschlechtert sich
Fregattenkapitän Sebastian Hamann, Lehrstabsoffizier an der Marineschule Mürwik, lenkte dann den Blick vom Nordflankenraum in Richtung Nahem und Mittleren Osten mit dem Schwarzen Meer. Er fesselte das Publikum mit einer Tour d’Horizon über die verschiedenen Einsätze in diesem Raum und seinen Eischätzungen zur Zukunft der betroffenen Staaten, die er in Teilen derzeit als hoffnungslos ansah. Auch die russische Rolle, die Migrationen provoziert, verdeutlichte er und wies auf die steigende Bedeutung von UNIFIL hin. Dieser Einsatz sei unter deutscher Führung – Flottillenadmiral Axel Schulz, letztjähriger UNIFIL-Kommandeur war im Raum – einem signifikanten Wandel unterzogen worden. Seine bittere Conclusio war, dass sich die wirtschaftliche Lage nicht bessern und sich die allgemeine Sicherheits- und Bedrohungslage verschlechtern wird. Die Bedeutung der Einsätze sei nach wie vor gegeben.
Russia is fighting a global war
Dr. Ian Ralby vom Atlantic Council war live zugeschaltet und befasste sich mit der Sicherheitslage im Schwarzen Meer. Dabei wählte er einen ungewöhnlichen Ansatz, der von den vielen falschen Erzählungen Russlands ausging. Das Land sei ein Meister der Erfindung von Narrativen und löse damit eine „geistige Bewaffnung“ aus, die bereits erfolgreich in viele Köpfe gesetzt wurde. Dagegen stünden aber Fakten wie die Versenkung der „Moskwa“, wie lächerlich die Argumente und Erklärungen der Russen auch immer seien. Und jetzt würde man auch noch die Lebensmittelversorgung zu einer Waffe machen. Interessanterweise betrachtet Ralby den 4. Februar als Ausgangspunkt des Krieges An diesem Tag ließ sich Putin von China versichern, dass das Reich der Mitte als Großhändler für russische Energie und Weizen fungieren würde. Strategisch möge Russland versagt haben, wirtschaftlich habe man sich weitgehend abgesichert und es würde auf Jahre Versorgungsengpässe geben, so Ralby. Beispielsweise leide der Sudan stärker unter der Lebensmittelknappheit als unter dem Bürgerkrieg. Sein Schlusspunkt: Wenn die Russen die Justiz, das Denken der Menschen und Lebensmittel zu einer Waffe machen, sollten wir den Kampf für die Demokratie aufnehmen – und die Ukraine kontinuierlich unterstützen. Russland führe einen Krieg mit weltweiten Auswirkungen und wir sollten eine globale Antwort darauf haben.
Die Bundeswehr auf das Niveau des 21. Jahrhunderts bringen
Dr. Michael Paul, Senior Fellow der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) brachte den Fokus auf den Indopazifik und beschrieb die Expansionsbestrebungen Chinas von der Seidenstraße bis hin zu den Aufschüttungen im Südchinesischen Meer. Die dreiste Politik Chinas beinhalte Einschränkungen der Bewegungsfreiheit auf den Meeren, illegalen Fischfang und Einschüchterungen der Anrainer. Hier sollten die demokratischen Schlüsselstaaten (wie er die USA, Großbritannien, Deutschland, Japan und Australien bezeichnete) eine stärkere Rolle spielen. Auch ein europäischer Schiffsverband sei ein deutlicheres Zeichen als eine Fregatte. Auf die Arktis und den Nordflankenraum eingehend, verdeutlichte er auch die neue deutsche sicherheitspolitische Rolle in Europa mit Hinsicht auf die Veränderungen an der Nordflanke. Deutschland solle sich mit seiner Sicherheits- und Verteidigungspolitik auf den Schutz der Baltischen Staaten und seinen NATO-Beitrag konzentrieren. Das Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro sei nur ein Anfang, um die Bundeswehr auf das Niveau des 21. Jahrhunderts zu bringen.
Werte sind egal
Ihre Vorstellungen zur maritimen Strategie für die Einsatzgebiete der Deutschen Marine trugen Lehrgangsteilnehmer des 63. Admiralstabsoffizierlehrgangs der Führungsakademie der Bundeswehr vor. Die Korvettenkapitäne Benjamin Bachmann und Frederick Schmidt-Skipiol hatten sich das strategische Denken und Hegemonialstreben Chinas zum Thema auserkoren. Mit eindrucksvollen Fakten und Bewertungen zu Chinas Plan, bis 2049 zum weltweiten Technologieführer aufzusteigen und der Mentalität des Landes, in dem ihrer Ansicht nach nur eigene Interessen zählen, machten Sie dem Publikum deutlich, welche Herausforderungen auf das strategische Denken der westlichen Welt zukommen. Die beiden Offiziere legten dem Publikum eindrucksvoll die erschreckende Erkenntnis nahe, dass unsere Werte, unser soziales Denken und unser System der regelbasierten Ordnung dem kleinen und elitären chinesischen Führungskader völlig gleich sind. Mit mehreren Handlungsempfehlungen für die Deutsche Marine gaben sie Vorschläge für bi- und multilaterale Maßnahmen.
Einige Lehren
In seinem Schlusswort stellte Karsten Schneider einige Erkenntnisse heraus:
Der Krieg in der Ukraine hat uns in Deutschland vor allem deshalb überrascht, weil wir die Warnzeichen nicht sehen wollten. Eine solche Realitätsverweigerung können wir uns künftig nicht noch einmal leisten. Wenn der aktuelle Waffengang beendet und dieser Krisenherd etwas abgekühlt ist, werden die früheren Konflikte dahinter wieder zum Vorschein kommen. China bleibt der Elefant im Raum, wobei sich auch dessen Kurs an die Lehren aus dem russischen Überfall anpassen muss. Wir haben heute viel über strategische Narrative erfahren, wie Russland und übrigens auch China sie erfolgreich verbreiten.
Strategie ist also viel mehr als eine Frage von Streitkräften, sondern zum Beispiel auch russischer Getreideexporte, das chinesische Seidenstraßenprojekt, oder Grey-Zone-Operationen. Erschreckend ist das Fehlen strategischen Denkens in Deutschland, nicht nur in der Politik, sondern in der gesamten politisch aktiven Öffentlichkeit einschließlich Medien und Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung. Strategie ist in Deutschland keine Königsdisziplin.
Mit dem Ausblick: "für das Deutsche Maritime Institut und seine Partner bleibt also noch viel zu tun“ beendet der DMI-Präsident die Veranstaltung.
Text/Fotos: H. Schlüter
…beeindruckend offen und ehrlich wirkend. Möge die Politik schneller wach werden und die Wirtschaft ihr Tun zügig korrigieren, damit unser aller Versorgung, auch die des russischen Volkes, wieder stabil wird!!
Toll! Wäre gerne dabei gewesen!
Vielen Dank Dr. Bruns, vorgemerkt für nächtes Jahr! Come back home safely, looking forward having you back on our bar counter…
Herzlichen Dank für diese pointierte und informative Zusammenfassung!
Das klingt nach spannenden und hochrelevanten Diskussionen! Ich würde mich auch über eknen Platz auf der Einladungsliste freuen!