Sophie Rickmers in den 1930er-Jahren, Foto: Archiv Autor

Sophie Rickmers in den 1930er-Jahren, Foto: Archiv Autor

Verbannt ins Paradies

Unzählige deutsche Frachtschiffe befanden sich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs im Ausland, der Weg zurück in die Heimat war ihnen verwehrt. In Indonesien wartete die Besatzung der Sophie Rickmers auf bessere Zeiten.

Zahlreiche deutsche Handelsschiffe wurden nach der Besetzung der Niederlande durch die deutsche Wehrmacht 1940 von den niederländischen Behörden beschlagnahmt. Zu ihnen gehörte der 7033BRT-Frachter Sophie Rickmers. Bei seinem Stapellauf 1920 das größte Schiff der Rickmers-Reederei in Hamburg, war er auf dessen Sibirien-Linie und im Ostasienhandel eingesetzt, was ihm beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zum Verhängnis werden sollte. Wochenlang von einem britischen Zerstörer verfolgt, suchte der Frachter Ende 1939 in der Bucht Pria Laot der nördlich von Sumatra gelegenen Insel Pulau Weh Zuflucht und konnte dank des stürmischen Wetters seinem Verfolger entkommen. Lediglich einen harmlosen Treffer hatte Kommandant Helms zu beklagen, sodass man meinte, gerettet zu sein. Was die Besatzung nicht ahnte, war, dass ihr der tropische Unterschlupf bald zu einem zwar idyllischen, aber dauerhaften Gefängnis werden sollte. Denn kaum hatte man das Schiff wieder seetüchtig gekriegt und war klar zum Auslaufen, setzte der deutsche Einmarsch in den Niederlanden allen Hoffnungen auf eine Rückkehr nach Europa ein Ende. Pulau Weh gehörte zum holländischen Kolonialbesitz, und die Kolonialbehörden dachten nicht daran, angesichts des brachialen Vorgehens Hitlers in ihrer Heimat auf ihre unfreiwilligen deutschen Gäste große Rücksicht zu üben. Was die Männer der Sophie Rickmers in jener Zeit erlebten und wie sie sich letztlich der Beschlagnahme ihres Schiffes entzogen, haben zwei Überlebende vor einigen Jahren einem Journalisten berichtet (Daniel Furth, Das Schicksal der Sophie Rickmers: Gefangen in der Palmenbucht, DER SPIEGEL, 21.9.2012). Anbei eine Zusammenfassung der damaligen Ereignisse:

Eigentlich sah es anfangs für die Besatzung der Sophie Rickmers in ihrem unfreiwilligen Exil gar nicht so übel aus. Zwar befand man sich nach der Ankunft in Pria Laot in Dauerquarantäne, doch war der Frachter nicht das einzige deutsche Schiff, das in Pulau Weh die Kriegsereignisse abwarten musste. Allerdings durfte sie ihre Bucht nicht verlassen, während ein anderer Dampfer ihrer Reederei, die Moni Rickmers, mit drei weiteren deutschen Fahrzeugen im Hafen von Sabang hatte festmachen dürfen. Der Grund dafür war denkbar einleuchtend. Die Ladung der Sophie bestand zum Teil aus Sprengstoff und stellte damit gerade in Kriegszeiten ein nicht kalkulierbares Risiko für die Inselbevölkerung dar. Immerhin wurde man von den niederländischen Behörden zunächst in Frieden gelassen und erhielt sogar eine Audienz beim örtlichen Raja, welcher seine deutschen Gäste herzlich willkommen hieß und fürstlich bewirtete. Auch konnte die Besatzung das Schiff auf Vordermann bringen und in der reichlich bemessenen Freizeit unter Anleitung ortskundiger Insulaner auf Jagd oder Fischfang gehen.
Blieb die Frage, wann man endlich Anker lichten und nach Hause fahren durfte. Die Seekriegsleitung, der die deutschen Handelsschiffe in Kriegszeiten formal unterstanden, hielt ein Verbleib in Pria Laot vorerst für angeraten. Was aber konnte man mit der vielen Zeit anfangen, fragte sich manches Besatzungsmitglied. Irgendwann hatte man alles gesehen, Ausflüge ins Landesinnere unternommen, malaiische Spezialitäten genossen und an ziemlich allen traditionellen Festen teilgehabt. An der unweigerlich aufkommenden Langeweile änderte auch der Umstand nichts, dass einige Herren der Sophie Rickmers sich Freundinnen zulegten, ein nicht ganz ungefährlicher Zeitvertreib angesichts der strengen einheimischen Sitten. Aber aufgrund der unsicheren Zukunft stieg die Risikobereitschaft. Wenigstens zahlte sich die Gastfreundschaft des Rajas aus, als dieser angesichts des sich abzeichnenden Ereignisse in Europa Kommandant Helms und seinen Leuten anbot, ihre Wertsachen in seinem Palast zu deponieren.

Die Offerte kam gerade rechtzeitig. Denn als am 9. Mai 1940 der britische Rundfunk die Besetzung der Niederlande meldete, war es mit dem friedlichen Überwintern in sommerlichen Gefilden vorbei. Die Sophie Rickmers befand sich jetzt in Feindesland, ein Auslaufen war aufgrund der vor der Bucht patrouillierenden britischen Kriegsschiffe nicht möglich. Da Helms berechtigterweise eine Beschlagnahme seines Schiffes durch die örtlichen Behörden befürchtete, ordnete er schließlich an, Vorkehrungen für eine Selbstversenkung zu treffen. Am folgenden Tag, am 10. Mai, erschien tatsächlich eine holländische Barkasse, deren Kommandant die Übergabe des Frachters verlangte. Helms tat ahnungslos und bewirtete den ungebetenen Besucher mit kalten Getränken, gab aber seinen Leuten unterdessen Befehl, die Seeventile zu öffnen. Als die Niederländer seine Absichten durchschauten, war es bereits zu spät. Es blieb ihnen nur noch übrig, sich über ihre eigene Gutgläubigkeit zu ärgern und gemeinsam mit den von ihnen geretteten Deutschen den Untergang der Sophie aus sicherer Entfernung zu verfolgen.
Die Selbstversenkung hatte für Helms und seine Leute schwerwiegende Konsequenzen. Wie die Mannschaften anderer deutscher Schiffe wurde sie in ein Dschungelcamp gebracht und als Feinde behandelt. Einige Gefangene kamen durch Malaria ums Leben, die übrigen kehrten erst Monate nach Kriegsende über Umwege in ihre Heimat zurück. Immerhin hatte der Raja auf Pulau Weh sein Versprechen gehalten. Als Mitte der 1950er Jahre ein Schiff der Rickmers-Reederei Pua Weh anlief, konnte es das gesamte Eigentum der Besatzung der Sophie Rickmers die Heimat mitnehmen.

Das Wrack der Sophie ist heute ein beliebtes Ziel für Taucher. Es liegt in etwa 30-50 Metern Tiefe und befindet sich trotz der inzwischen vergangenen Jahrzehnte in einem verhältnismäßig gutem Zustand.

Andreas von Klewitz

Andreas von Klewitz studierte Slawistik sowie Ost- und Südeuropäische Geschichte und ist freischaffender Publizist.

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