Lloyd Werft, Foto: Lloyd Werft

Lloyd Werft, Foto: Lloyd Werft

Werften in Seenot

Für einige Jahre schien es, als sei der Hongkonger Konzern Genting für manche deutsche Werft ein Retter in der Not. Doch nach der Pleite des Unternehmens werden die Filetstücke aufgeteilt.

Die 2020 beginnende Genting-Pleite, mit der im März 2022 die Insolvenz der MV-Werften-Gruppe mit Standorten in Wismar, Warnemünde und Stralsund sowie mit der Lloyd Werft in Bremerhaven eingeleitet wurde, war nach dem Desaster um die Bremer Vulkan 1995/96 das größte Dilemma für die Branche in der Nachkriegszeit.

Festzuhalten ist zunächst, dass nach einer langen Zeit der Ungewissheit die Lage vor allem dank des Insolvenzverwalters wieder an Konturen gewonnen hat und sich Zukunftsperspektiven verfestigen. Für den deutschen Schiffbau ist eine kurze Ära mit großem Knall zu Ende gegangen. Dabei hatte alles vielversprechend angefangen, als der malaysische Genting-Konzern über sein Unternehmen Genting Hongkong zunächst die Lloyd Werft in Bremerhaven sowie wenig später die in Schwierigkeiten steckenden Werften in Mecklenburg-Vorpommern kaufte und letztere in der MV Werften zusammenfasste. Hintergrund war, dass der Genting-Konzern für den Ausbau seiner Kreuzfahrtreedereien Star Cruises, Crystal Cruises und Dream Cruises wegen des damals weltweit boomenden Kreuzfahrtgeschäfts keine Auftragnehmer für seine geplante Neubauten fand und deshalb kurzerhand die deutschen Werften erwarb.

Zwar hatten sich diese Betriebe nach mehreren Eignerwechseln in schwerer See befunden, trotzdem kam die Entwicklung überraschend. Sie wurde aber durchweg begrüßt, teilweise sogar euphorisch. Besonders galt das für die Werftmitarbeiter, die wieder eine Perspektive für sich sahen, und für das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, dessen industriellen Kern die Werften bilden. Sorgen um neue Aufträge gab es nun nicht mehr, denn der Bedarf der Genting-eigenen Reedereien war groß genug. Nicht zu unterschätzen waren die Impulse auch für die heimische Zulieferer- und Bauindustrie, denn der neue Eigentümer investierte kräftig, um die Werften und ihr Umfeld nach seinem Bedarf auszurichten.

MV Werften Stralsung, Foto: MV Werften

MV Werften Stralsung, Foto: MV Werften

So ging es voran, bis Ende 2019 die Coronapandemie die Welt veränderte. Hierdurch erfuhr das Kreuzfahrtgeschäft eine schmerzhafte Zäsur. Stark in Mitleidenschaft gezogen wurde auch der Genting-Konzern und damit seine deutschen Werften. Ab März 2020 wurde auf allen Betrieben die Fertigung eingestellt und Anfang 2022 eröffnete zunächst das Amtsgericht Bremerhaven für die Lloyd Werft sowie kurz darauf das Amtsgericht Schwerin für die MV Werften GmbH das Insolvenzverfahren. Die meisten der rund 2000 Mitarbeiter wechselten in eine Transfergesellschaft. Lediglich rund 200 Schiffbauer und Ingenieure blieben vor Ort, um die Standorte technisch zu sichern. Nun begann die Arbeit des Insolvenzverwalters Christoph Morgen und seiner Mitarbeiter von der Hamburger Kanzlei Brinkmann & Partner. Was sie innerhalb eines Jahres bewegt haben, ist es wert, festgehalten zu werden.

Die Lloyd Werft in Bremerhaven, mit der im September 2015 das deutsche Genting-Engagement begann, hatte am 10. Januar 2022 Insolvenz anmelden müssen. Bereits im März konnte nach einem Bieterwettkampf mit dem von den beiden lokalen Unternehmern Zech und Rönner gebildeten Konsortium neue Eigentümer gefunden werden. Beide hatten zunächst getrennte Angebote abgegeben, sich dann aber zusammengeschlossen, um einen dritten Interessenten aus Abu Dhabi überbieten zu können. Auf diese „Bremer Lösung“ war hinter den Kulissen auch hingearbeitet worden. Im Gegensatz zu dem arabischen Bieter, der in Bremerhaven vor allem Yachten bauen, reparieren und warten sowie die gesamte Belegschaft übernehmen wollte, beabsichtigen Zech und Rönner, nur einen Teil des Geländes weiter für den Schiffbau nutzen, etwa für Reparaturen an Kreuzfahrtschiffen. Angestrebt wurde eine enge Zusammenarbeit mit der zu Rönner gehörenden Bredo Werft. Im nördlichen Teil des Geländes, um die großen Docks herum, sollten andere Gewerke in einer Art maritimer Industriepark angesiedelt werden.

In Mecklenburg-Vorpommern konnte für die MV Werft Stralsund ebenfalls rasch eine Lösung gefunden werden. Bereits im Februar 2022 hatte die Stadt Stralsund kurzerhand das Gelände mitsamt der darauf befindlichen Werfthallen, Anlagen und Betriebsmittel mit dem Ziel erworben, darauf einen „Maritimen Industrie- und Gewerbepark Volkswerft“ zu errichten und mindestens 1000 Arbeitsplätze zu schaffen oder zu erhalten. Das Vorhaben funktionierte. Erster Pächter wurde Anfang April das Stralsunder Unternehmen Ostseestaal, das die Gelegenheit zu einer signifikanten Betriebserweiterung nutzte. Ostseestaal hat sich auf den Bau von Elektrofähren spezialisiert und Teile für den Yachtbau zugeliefert. Erste Neubauten sind im neuen Betriebsbereich bereits auf Kiel gelegt, darunter eine Elektro-Autofähre für die Stadtwerke Lübeck. Der Schiffbau geht also weiter, wenn auch in kleinerem Maßstab.

Portalkran und Hallen der MV Werftenin Rostock, Foto: MV Werften

Portalkran und Hallen der MV Werften
in Rostock, Foto: MV Werften

Mehr versprach in dieser Hinsicht das Engagement der norwegischen Fosen Yards, die eine umfangreiche Fläche mit der großen Schiffbauhalle sowie darüber hinaus Büros und Freiflächen pachtete und am 1. Juni dafür die Fosen Yard Stralsund GmbH als eigene Gesellschaft gründete. Es sollen wieder Schiffe gebaut, repariert und umgerüstet werden. Über ein schlüssiges Konzept ist allerdings noch nichts bekannt geworden. Angeblich wurde über einen Nachbau der CRYSTAL ENDEAVOR verhandelt, die als einziger Neubau unter Regie der MV Werften in Stralsund an eine Genting-Reederei abgeliefert und Mitte Juli in Gibraltar liegend auf Gerichtsbeschluss an den Kreuzfahrtkonzern Royal Caribbean verkauft worden war. Als drittes Unternehmen unterzeichnete am 15. Juli die German Sustainables GmbH einen Pachtvertrag. Auf einer Fläche von 6000 Quadratmetern des ehemaligen Werftgeländes soll eine neue Generation von Windkraftanlagen gebaut werden.

Die große Werft in Wismar wurde nach einem längeren, offenen Investorenprozess dem Schiffbaukonzern Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) zugesprochen. Dort könnten laut Insolvenzverwalter ab 2024 U-Boote oder andere Marineeinheiten gefertigt werden. Die Werft verfügt über ein überdachtes Baudock, dessen Halle 72 Meter hoch, 155 Meter breit und 395 Meter lang ist. Maßgeblich für nötige Investitionen in die Ertüchtigung zum Marineschiffbau und für die Beschäftigung von Mitarbeitern sei laut Insolvenzverwalter die künftige Auftragslage. „Je mehr Aufträge, desto mehr Arbeitsplätze.“ Auf eine genaue Anzahl legte sich TKMS nicht fest. Bei einem Hochlauf der Produktion im Laufe des Jahres 2024 könnten rund 800 Mitarbeiter eigestellt werden, hieß es. Bei zusätzlichem Auftragseingang im Überwasserbereich könnte sich die Zahl auf 1500 erhöhen. Sollte sich Einstellungsbedarf ergeben, soll er vorrangig aus der Transfergesellschaft gedeckt werden, die für ehemalige Beschäftigte der MV Werften eingerichtet worden ist.

Die ebenfalls in Wismar ansässige MV Werften Fertigmodule Property GmbH ist von der weltweit agierenden Hamburger Eppendorf-Gruppe gekauft worden. Sie errichtet dort ein neues Werk für hochwertige Laborverbrauchsmaterialien aus funktionellen Hightech-Kunststoffen. Das Gelände umfasst mehr als 20 000 Quadratmeter Nutzfläche mit Produktions- und Lagerhallen. Der Produktionsbeginn wurde für Ende 2022 angekündigt.

Und auch für das von MV Werften in Wismar betriebene Hotel Park Inn by Radisson ist ein Käufer gefunden worden. Laut Insolvenzverwalter hat ein Hamburger Familienunternehmer die Betriebs- und die Grundstücksgesellschaft einschließlich aller Mitarbeiter übernommen.

Zuletzt gab es im Juni auch in Rostock Bewegung. In einem Bieterverfahren um die große MV Werft Rostock setzte sich der Bund durch. Nach Zustimmung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestags hat die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA) die Werft übernommen, um sie und das insgesamt 65 Hektar umfassende Gelände an die Marine zu verpachten. In unmittelbarer Nachbarschaft der Werft befindet sich der Stützpunkt Warnemünde Hohe Düne, Heimathafen des 1. Korvettengeschwaders. Nach entsprechender technischer Aufrüstung aus dem 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögen für die Bundeswehr wird an der Warnow ein zweiter Arsenalbetrieb entstehen, neben dem in Wilhelmshaven. Die Werft verfügt unter anderem über ein großes Trockendock. Etwa 500 der ehemaligen MV-Mitarbeiter sollen weiter beschäftigt werden. Zunächst müssen aber die Anlagen ausgeräumt werden. Dazu gehören die Beseitigung und Verwertung von mehr als 17 000 Tonnen Stahl, die bereits für das Kreuzfahrtschiff GLOBAL 2 verbaut worden sind, dem Schwesterschiff der unfertigen GLOBAL DREAM in Wismar.

Gelände der MV Werft in Wismar, Foto: MV Werften

Gelände der MV Werft in Wismar, Foto: MV Werften

Der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Jan C. Kaack, sieht im Aufbau eines neuen Marinearsenalbetriebs in Warnemünde eine Riesenchance. Mit dieser substanziellen Stärkung der Instandsetzungskapazitäten werde ein Turnaround in diesem Bereich dauerhaft möglich. Diesen Wendepunkt brauche die Deutsche Marine so schnell wie möglich. Auch Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftsminister begrüßte die Übernahme durch den Bund, da „mit dem Zuschlag eine langfristige Perspektive für die Menschen vor Ort entsteht, die Arbeit sichert.“

Ebenfalls zum Standort Rostock gehört das Anfang 2019 von MV Werften übernommene Ingenieurbüro Neptun Ship Design. Die 100 Mitarbeiter wurden nun gemeinsam vom Schiffbauunternehmen Fassmer und der Meyer Werft übernommen. Es soll weiter eigenständig bleiben und in der bisherigen Struktur weiterarbeiten.

Damit blieb als letzter „dicker Brocken“ nur noch das zu 75 Prozent fertig im Baudock der Wismarer Werft liegende Riesenkreuzfahrtschiff GLOBAL DREAM. Es war von Genting Hongkong selbst bestellt und für den chinesischen Markt konzipiert worden. 1,3 Milliarden Euro waren bereits in das Schiff verbaut worden, weitere 700 Millionen Euro wurden für die Fertigstellung noch benötigt. Mit 208 000 GT und einer Kapazität von bis zu 9500 Passagieren in 2500 Kabinen wäre es das größte Kreuzfahrtschiff der Welt geworden. Lange Zeit hieß es, wenn sich für den Giganten kein Käufer fände, dann müsse er an Ort und Stelle abgebrochen werden. Die Verkaufsbemühungen gestalteten sich wegen der coronabedingt prekären Lage der Kreuzfahrtbranche aber überaus schwierig, hinzu kamen die gewaltigen Abmessungen des Schiffs. Wo sollte es noch eingesetzt werden können? Die Zeit drängte, denn das Baudock musste bis Ende 2023 geräumt sein. Aber die Aussicht auf ein Schnäppchen lockte dann doch Interessenten. Mit der amerikanischen Disney Cruise Line konnte schließlich Mitte November der Kaufvertrag unterzeichnet werden, der die Fertigstellung des Schiffs nach aufwendigen Um- und Ausbauten durch die Meyer Werft vorsieht. Mehrere hundert ehemalige Beschäftigte der MV Werft, verstärkt durch Fachleute aus Papenburg, werden die GLOBAL DREAM nun bis 2025 in Wismar für den amerikanischen Markt zu Ende bauen.

Trotz dieser Erfolge ist die Arbeit von Insolvenzverwalter Christoph Morgen noch längst nicht beendet. Er rechnet damit, dass noch etwa fünf Jahre nötig sein werden, bis die restlichen Details geklärt sind. So müssten nach Morgens Angaben alle Vermögensverhältnisse und die Schulden geklärt werden. Jede einzelne Forderung werde geprüft, um das während des Insolvenzverfahrens eingenommene Geld korrekt zu verteilen.

Hans Jürgen Witthöft

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