Ein Blick ins Auditorium der HiTaTa lässt einmal mehr vermuten, dass „Alter vor Ambition“ ein wesentliches Kriterium bei der Zusammenstellung der Einladungsliste gewesen ist. Aber so lassen sich kaum innovative und fruchtbare Diskussionen anstoßen.
Ich bin beglückt und beseelt von dem greifbaren Gemeinschaftsgefühl im Veranstaltungsraum in Linstow. In der Luft hängen schwer die Diskussionen der Anwesenden, die sich zwischen den Vorträgen hitzig mit dem Gehörten auseinandersetzen. Dabei nippt die gleichförmig marineblaue Masse an den Kaffeetassen. Wie schon seit langer Zeit nicht mehr spüre ich, dass ich ein Teil von Wir bin. Auch wenn wir nicht alle die gleiche Meinung vertreten, so sind wir doch in das abgeschiedene Ressort gepilgert, um uns auszutauschen und die mannigfaltigen Probleme der Marine zu debattieren und zu lösen. Doch auch Personalien werden bei einem Bier analysiert, Verträge auf dem kleinen Dienstweg erörtert und die ein oder andere Visitenkarte wechselt den Besitzer. Die ausgelassene Stimmung verführt so manchen dazu, das Wort ehrlicher und gerichteter an die Obrigkeit zu lenken und auch die Anonymität des Onlinefragetools Menti unterstützt diese Tendenz. Probleme werden für alle sichtbar auf den Tisch gepackt und sie werden diskutiert. Angestoßen von sehr gut recherchierten Vorträgen junger Offiziere, die provokant Missstände aufzeigen und das typische „Is so“ in Frage stellen. Der eine fühlt sich ertappt, der nächste motiviert und wieder einer vielleicht sogar angegriffen. All dies ist erlaubt in diesen zwei Tagen. Die Historisch-Taktische Tagung bietet ein Werkzeug im Koffer der modernen Menschenführung, welches sich Graf von Baudissin für sein Modell der Inneren Führung kaum schöner hätte erträumen können.
Doch wer darf an dieser Veranstaltung teilnehmen und kommt in den Genuss der geistigen Stimulierung fernab von Alltagsproblemen und Diensttrott?
Neben dem Who is who der Marineführung finden sich vor allem Kapitäne, die alle eher dem älteren Semester zuzuschreiben sind, in Linstow ein. Mit der Pflichteinladung aller A 16er und aufwärts ist der Teilnehmerkreis klar gesetzt. Die gewaltige Ansammlung von Expertise in den vorderen Reihen bietet insgesamt die Chance, durch Zeitzeugenberichte vergangener Tage einen Abgleich mit dem Heute vorzunehmen. Vermisst werden jedoch junge Wilde, die mit dem Messer zwischen den Zähnen an den eingestaubten Themen Tradition oder Personalentwicklung gezielte und geübte Schnitte ausführen, um diese durch modernen Zeitgeist und Innovation anzupassen. Deutlich wird dies bei der Ansprache von Herausforderungen einer Personalgewinnung der Genration Z. Hier wird nach einem passenden Köder für diesen Fisch geforscht, ohne jedoch den Fisch an der Debatte zu beteiligen. Dies entsteht möglicherweise durch die ritualisierte Einladung eines festen Kaders mit Stammtischfähnchen. Wie, frage ich, soll dadurch ein frischer, kontroverser Austausch entstehen? Warum sollte sich ein junger Offizier die geringe Zeit freischaufeln, wenn er doch bangen muss, keine der goldenen Eintrittskarten zu erhalten oder schlimmer noch, diese wieder abgeben zu müssen, wenn ein höherer Dienstgrad oder ein Stammgast diese einfordert? Deutlich muss die Chance der Verjüngung hier mit Tatkraft forciert werden. Eine Quotierung der Einladungen zwecks simpler Mathematik scheint denkbar. Für jeden B 3er muss auch ein A 11er eingeladen werden, was die Quersumme aller Besoldungen nach unten korrigiert. Der Gedanke einer HiTaTa mit vier Generationen, die sich austauschen und vernetzen, könnte vom Slogan zur Realität werden.
Eine weitere Gruppe von Offizieren fehlt: die derjenigen aus der Streitkräftebasis. In den Vorträgen wird sehr oft davon gesprochen, dass wir streitkräftegemeinsam denken müssen. Eine Einschwörung dieser Offiziere auf die neuesten Ziele und die heißesten Problemfelder könnte auch hier zu positiven Synergieeffekten führen und ihnen zusätzlich ihre maritime Identität zurückgeben.
Dass eine weite Anreise für alle problematisch ist, könnte zudem mit hybriden Veranstaltungsangeboten schnell, einfach und kostengünstig gelöst werden. Bei dieser Option muss sich der Befehlshaber der Flotte und Unterstützungskräfte jedoch darüber klar werden, ob die herausragenden Texte samt Diskurs oder das gemeinsame Bier am Abend zukünftig im Fokus der Veranstaltung stehen sollen. Ein möglicher Imagewandel könnte auch hier zu einer Veränderung des Teilnehmerkreises führen.
Für mich ist und bleibt die HiTaTa ein perfektes Forum für Innovation, Gedankenexperimente und Austausch, eine Blaupause der Inneren Führung. Wenn wir etwas an Stellschrauben drehen und die Verteilung der Sitzplätze neu denken, die Chance der Digitalisierung nicht verstreichen lassen, joint and combined nicht nur fordern, sondern auch einladen, dann kann ein buntes Potpourri entstehen, das spannende Gedanken aus dem Kern in die ganze Marine trägt und von welchen sich alle mitgenommen fühlen, MEER für uns zu geben.
Caroline Wegener
0 Kommentare