Tausende militärische Wracks mit Munitionsresten an Bord ruhen auf dem Grund unserer Meere. Jedes Einzelne hat seine ganz eigenen Besonderheiten, wie ein spannendes Beispiel aus der Adria zeigt.
Die Adria - ein faszinierendes Reiseziel am Mittelmeer. Jeder Reiseführer frohlockt über türkisblaues Wasser, unberührte Landschaften, historische Städte und eine erstklassige mediterrane Küche. Doch diese Idylle trügt, wie ein Blick unter Wasser offenbart.
Wir befinden uns Anfang 1944. Der Zweite Weltkrieg tritt in seine entscheidende Phase ein. Ein Sieg Deutschlands und seiner Verbündeten wird immer unwahrscheinlicher. Obwohl Goebbels schon im Februar 1943 den "Totalen Krieg" proklamierte, rückten die Alliierten an allen Fronten vor. Das Deutsche Reich verfügte kaum noch über Reserven. An der Ostfront wurde die Wehrmacht zurückgedrängt. Im Westen bombardierten britische und amerikanische Flugzeuge die Großstädte. Nachdem die deutschen und italienischen Afrikatruppen kapituliert hatten, gewannen die Alliierten zunehmend die Oberhand im gesamten Mittelmeerraum. Damit wurde auch der Nachschub für die deutschen Truppen über das Adriatische Meer immer schwieriger. Durch den vermehrten Einsatz alliierter Jagdbomber von Italien aus und die zunehmende Präsenz der britischen Marine stiegen auch dort die Verluste.
Zeitbombe in der Adria, Foto: Leidl/Najada d.o.o.
Unter dem Titel „Flag 4“, das Flaggensignal für die Eröffnung des Feuers oder den Abschuss von Torpedos, schildert der britische Autor Dudley Pope in seinem Buch die Aktivitäten und Kämpfe der britischen Schnellbootflottillen während des Zweiten Weltkriegs im Mittelmeerraum. Gestützt auf britische Quellen und Zeitzeugen befindet sich darunter auch ein ausführlicher Bericht über das Gefecht und den Untergang eines deutschen Munitionstransporters vor der kroatischen Küstenstadt Šibenik.
Es handelt sich hierbei um ein dreimastiges Motorsegel-Frachtschiff mit 281 Bruttoregistertonnen, das 1942 in Flume, dem heutigen Rijeka, gebaut und vom italienischen Eigentümer Rodolfo Gattoni „Francesca da Rimini“ getauft wurde. Hinter dem Namen verbirgt sich eine italienische Adlige, die im 13. Jahrhundert dadurch berühmt wurde, dass sie von ihrem Ehemann, Giovanni Malatesta, wegen Ehebruchs mit dessen jüngerem Stiefbruder Paolo ermordet wurde. Ob der Eigner diesen Umstand bewusst zur Namensgebung gewählt hatte, ist nicht überliefert. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde das Frachtschiff vom italienischen Militär übernommen, um Waffen über das Mittelmeer zu transportieren. 1943, nach der Kapitulation Italiens, requirierte die Deutsche Kriegsmarine das 42 Meter lange und 12 Meter breite Stahlschiff. Haupteinsatz waren Versorgungsfahrten entlang der adriatischen Küste, die jedoch abrupt endeten.
320 Tonnen Munition
Um schnell und überraschend agieren zu können, setzten die Britischen Küstenstreitkräfte unterschiedliche Typen von Schnellbooten ein. In der Adria operierten zunehmend Schiffe des Typs Fairmile D mit längerem Schiffsrumpf, stärkerer Motorisierung und schwererer Bewaffnung. Diese Version war seetüchtiger und konnte der Bedrohung durch deutsche Kriegsschiffe besser begegnen. Über den Einsatz zweier dieser Schnellboote, das Motorkanonenboot (MGB 662) unter dem Kommando von T/Lt. Timothy James Bligh, und das Motortorpedoboot (MTB 649) unter dem Kommando von T/Lt. Peter Hughes, berichtet Pope, dessen Schilderung hier in verkürzter freier Form wiedergeben wird:
Es ist der 2. Februar 1944 gegen 17:00 Uhr – MGB 662 und MTB 649 verlassen den Hafen von Komiža auf der kroatischen Insel Vis für eine Patrouillenfahrt in nördlicher Richtung.
19:15 – Kurz vor Šibenik stoppt MGB 662 ein kleines Boot. Drei Fischer werden zum Verhör an Bord genommen. Sie geben an, Sympathisanten der Partisanen zu sein, und behaupten, dass sich keine deutschen Schiffe im Gebiet befinden.
21:30 – MGB 662 sichtet einen dreimastigen feindlichen Motorsegler, der mit etwa acht Knoten nach Südosten steuert. MGB 662 und MTB 649 nehmen die Verfolgung auf und nähern sich bis auf 140 Meter Entfernung. Der Motorsegler feuert eine weiße Fackel ab. Beide Seiten eröffnen mit ihren Bordkanonen das Feuer. Der Feind wird entlang des Rumpfes und des Decks getroffen, gerät in Brand und es kommt zu Explosionen. Einige der Besatzung springen über Bord. Zwölf Überlebende werden durch die Briten aus dem Wasser geborgen.
22:15 – Nach weiteren Explosionen versinkt der brennende Motorsegler in den Fluten des Archipels von Šibenik. MGB 662 und MTB 649 nehmen ihre Patrouille wieder auf und kehren erst spät im dichten Nebel zur Basis nach Komiža zurück. Bei der anschließenden Befragung der Gefangenen stellt sich heraus, dass es sich bei dem Schiff um die Francesca da Rimini handelte. Auf ihrer letzten Fahrt hatte sie 320 Tonnen Munition - hauptsächlich für 105-mm-Geschütze -, 10 Tonnen Vorräte, 15 Tonnen Decken, einen Lastwagen und ein Motorrad geladen. An Bord befanden sich fünfundzwanzig deutsche Soldaten als Passagiere, die offensichtlich alle umgekommen sind, sowie eine Besatzung von neun Italienern und fünf deutschen Kanonieren. MGB 662 wurde durch 20 mm-Geschosse leicht beschädigt, MTB 649 blieb unbeschädigt.
Vereinzelt wird in der Literatur eine andere Version des Untergangs kurz beschrieben. Demnach soll am 27. März 1944 die Francesca da Rimini mit Motorschaden vor Anker gelegen haben. Gegen 15:00 Uhr hätten britische Flugzeuge mit dem Abwurf von Lufttorpedos angegriffen und das Schiff versenkt. Nachvollziehbare Belege zu dieser Version konnten trotz intensiver Suche nicht ermittelt werden. Zum angegebenen Datum findet sich in der Fachliteratur für das Gebiet bei Šibenik nur der Hinweis, dass dort durch britische Jagdbomber-Angriffe mehrere Pionier-Landungsboote beschädigt bzw. versenkt wurden.
Tauchgang in die Tiefe
Die Francesca da Rimini ist bis heute sehr gut erhalten. Obwohl das aufrecht stehende Wrack relativ nah vor der Nordküste der Insel Kaprije liegt, ist ein Tauchgang dort sehr anspruchsvoll. Es ist nur über einen Freiwasserabstieg zu erreichen. Erst in einer Tiefe von 38 Metern erreicht man das Heck, den flachsten Teil des Schiffrumpfs. Am Grund des Bugs, dem tiefsten Punkt des Schiffes, beträgt die Wassertiefe 52 Meter. Über die Jahrzehnte hat sich ein vielfältiges marines Leben auf dem Wrack angesiedelt. Besonders beeindruckend sind die vielen großen gelben Schwämme. Von den drei Masten ragt nur noch einer aufrecht in die Höhe, die beiden anderen sind jeweils am Fuß umgebrochen.
105-Millimeter-Geschosse, Foto: Archiv Nehring
In der Mitte des Hecks ist die vierläufige Flugabwehrkanone noch sehr gut zu erkennen. Stapelweise liegt Flak-Munition offen herum, darüber hinaus befinden sich weitere Kampfmittel in Transportkisten oder offen verstreut an Deck sowie rechts und links neben dem Wrack. In den beiden großen Laderäumen lagern noch Hunderte bezünderte 105 mm-Geschosse und andere militärische Ausrüstung. Im Bereich des hinteren Laderaumes ist steuerbordseitig eine große, nach außen gedrückte Beschädigung des Schiffsrumpfes zu sehen, die sehr wahrscheinlich durch eine Explosion im Inneren des Laderaumes entstanden ist.
Tickende Zeitbombe
Viele Wracks auf dem Grund unserer Meere stammen aus den Weltkriegen und gingen durch Kriegshandlungen verloren oder wurden später absichtlich versenkt. Oft haben sie noch Munition, Kampfstoffe und andere Umweltgifte an Bord. Eine Bergung der gefährlichen Güter ist meistens schwierig und kostenintensiv. Aber welcher Umgang mit diesen tickenden Zeitbomben ist der richtige?
Ein Großteil der damals geladenen 320 Tonnen Munition befindet sich bis heute noch an Bord der Francesca da Rimini. Trotzdem kann das Wrack von Tauchschulen mit entsprechender Konzession des kroatischen Kulturministeriums jederzeit mit Jedermann betaucht werden. Die zuständigen Behörden haben vor über 20 Jahren zumindest die Munition in den Laderäumen aus Sicherheitsgründen mit Stahlgittern abgedeckt, die zusätzlich mit Felsbrocken beschwert sind. Ein Blick in die Laderäume genügt jedoch, um zu erkennen, dass das nur unzureichend umgesetzt wurde und viele der 105 mm-Geschosse weiterhin frei zugänglich sind.
Dieser laxe Umgang mit der vorhandenen brisanten Ladung überrascht. Zum Glück ist bis heute nichts passiert. Aber scharfe Munition wird durch langjährige Einwirkung von Salzwasser immer unsicherer und gefährlicher. Dadurch steigen nicht nur die Gefahren für Taucher, sondern für die gesamte Schifffahrt und den Tourismus in diesem Gebiet. Darüber hinaus werden in absehbarer Zeit durch Korrosion der Geschosshülsen immer mehr hochgiftige Inhaltsstoffe in die Umwelt gelangen. Welche Wirkungen das in der marinen Umwelt entfalten kann, zeigen die aktuellen Ergebnisse aus dem europäischen Projekt „North Sea Wrecks“. Im Umfeld von Munitionswracks entdeckten die Forscher Fische mit auffällig vielen Tumoren. Zudem wurde nachgewiesen, dass Muscheln und Fische krebserregende Stoffe wie den Sprengstoff TNT anreichern. Für die Forscher ein Warnsignal, dass die marine Biodiversität langfristig durch Altmunition immer stärker gefährdet sein wird.
Es besteht kein Zweifel, die Zeitbomben unter Wasser ticken. Welche Lösungen sich im Fall der Francesca da Rimini anbieten, sollte unter Durchführung einer detaillierten Risikoanalyse diskutiert werden. Zum vorsorglichen Schutz von Mensch und Umwelt wäre eine Bergung der Ladung sicherlich die beste Option.
Dr. Stefan Nehring ist selbstständiger Umwelt-Consultant und Experte für subaquatische Rüstungsaltlasten.
Stefan Nehring