Flottillenadmiral Christian H. Bock, UAL Militärstrategie, Einsatz und Operationen II im BMVg. Foto: hsc

Flottillenadmiral Christian H. Bock, UAL Militärstrategie, Einsatz und Operationen II im BMVg. Foto: hsc

„Autonomie und KI zur See“ – Bremen probt den Trialog

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Kurz nach neun, die Türen schließen sich. Diskretion, keine O-Töne fürs Protokoll – Chatham House Rules. Was bleibt, ist der Eindruck einer Szene, die an Tempo gewinnen will: Beim zweiten Bremer Dialog rückt ein Thema ins Zentrum, das künftig Taktik, Logistik und Beschaffung gleichermaßen prägen dürfte: „KI und Autonomie – Zukunft der maritimen Sicherheit“. Eingebettet ist das Format in die Reihe „Maritime Sicherheit und Marine 2035+“ des Deutschen Maritimen Instituts e.V. (DMI). Rund 90 geladene Fachleute aus Bundeswehr, Industrie, Forschung und Ressorts sind vor Ort.

Rheinmetall hatt eein "Paar" Roboter mitgebracht...
Rheinmetall hatt eein "Paar" Roboter mitgebracht...

Dass der Dialog sich verstetigt, liegt auch an einem tragenden Organisator: Rheinmetall übernimmt die Initiative für 2026 – ein klares Signal, dass aus Impulsen Arbeitsstränge werden. Gastgeber der 2025er-Ausgabe war TKMS/Atlas Elektronik.

Sechs Workshops, sechs Blickwinkel

Auf einem Bildschirm im Foyer stehen sechs Workshop-Titel – fast wie Kapitelüberschriften einer gemeinsamen Geschichte, sechs Räume eröffnen verschiedene Zugänge zum gleichen Problem. Sensor- und Effektorverbünde für unbemannte Systeme in Raum A – wie koppeln wir Aufklärung, Täuschung und Wirkung so, dass der Verbund mehr leistet als die Summe seiner Teile, bis hin zum Schwarm? Zukünftige Einsatzszenarien – von Minenabwehr über U-Jagd bis Objektschutz und Maritime Domain Awareness: Wo bringen USV/UUV und Drohnen den größten Mehrwert, und wie fügt sich das in C2/Comms und Manned-Unmanned-Teaming? Technologische Disruptionen – KI-gestützte Auswertung, digitale Zwillinge, Automatisierung; wo könnten neue Effektoren (bis hin zu Directed Energy) die Spielregeln verschieben? Lehren aus aktuellen Konflikten – was ist belastbar (Drohnen, Minen, Cyber, EW), was ist Hype, und was lässt sich tatsächlich übertragen? KI im operativen Einsatz – automatische Muster-/Zielerkennung, lagebildnahe Datenfusion, Entscheidungsassistenz; wo liegen Grenzen (Datenqualität, Erklärbarkeit, Robustheit)? In Raum F wird Führung neu gedacht: wenn UxS und KI mitfahren, wandelt sich Führung – Rollenwandel der Offiziere zu Systemmanagern, Ausbildung, Human-in/-on-the-Loop, Anpassung von ROE.

Über allem die Leitfrage: Wie verändern unbemannte Systeme und KI die taktische und operative Führung zur See – und was heißt das für die Flotte auf dem Weg zur Marine 2035+?

Gehen, nicht sitzen: Bremer Dialog 2025
Gehen, nicht sitzen: Bremer Dialog 2025

Bremer Industriequartett

Getragen wird die Veranstaltung von einer ausgewogenen Industriepräsenz. Rheinmetall Electronics, TKMS/Atlas Elektronik, NVL sowie Abeking & Rasmussen treten ohne Produktfolklore auf – mit komplementären Rollenbildern: Führung/Simulation und Wirkungstechnik, unbemannte Unter- und Überwasserplattformen, MCM-Ansätze sowie plattformseitige Vorbereitung auf Drohnen- und Missionsmodule. Der Tenor: Schnittstellen, Interoperabilität, IT-Sicherheit, Nachrüstfähigkeit – damit die Flotte später nicht an „Systemkanten“ scheitert. Rheinmetall stützt das Format organisatorisch und hebt es mit der Übernahme der Initiative 2026 auf die nächste Stufe; TKMS/Atlas verantwortet 2025 die Gastgeberrolle.

Lagebild: Chancen ohne Euphorie

Die Sicherheitslage liefert das Brennglas. Hybride Bedrohungen, verwundbare maritime Infrastruktur, anhaltende Minen- und Drohnengefahren – vieles davon ist sichtbarer geworden. KI-gestützte Sensorik und vernetzte unbemannte Systeme können Reichweite, Reaktionsgeschwindigkeit und Durchhaltefähigkeit erhöhen; zugleich wachsen Abhängigkeiten: Kommunikation, EW-Resilienz, Cyberhygiene und Datenzugang werden zu harten Einsatzparametern. Der Dialog markiert diese Ambivalenz klar – und bleibt damit glaubwürdig.

Führung im Wandel

Über den Tag schält sich ein Bild der künftigen Brücke heraus: Führung wird datenreicher, schneller – und selektiver. KI sortiert, priorisiert, warnt; Entscheidungen bleiben beim Menschen. Praktisch heißt das: Neue Ausbildungsmodule, mehr Simulator-/Digital-Twin-Anteile, Crew-Design mit Systemkompetenz für UxS. Taktische Verfahren werden modularer, C2-Layouts flexibler – mit Redundanzen für den Fall gestörter Netze. „Kill chains“ weichen „sensor-to-decision“-Netzen, in denen Verantwortlichkeiten klar verortet sind.

Flottillenadmiral Dirk Gärtner beim Bremer Dialog 2025
Flottillenadmiral Dirk Gärtner beim Bremer Dialog 2025

Warum wir diese Formate brauchen

Formate wie der Bremer Dialog schaffen den notwendigen Trialog zwischen Industrie, Marine und Rüstungsverantwortlichen. Sie synchronisieren Bedarf, technische Optionen und Beschaffbarkeit frühzeitig, verkürzen Iterationsschleifen und bauen Vertrauen zwischen den Akteuren auf, die später gemeinsam Verantwortung tragen. Das ersetzt keine Reform von Vergabe-, Zulassungs- und IT-Sicherheitsprozessen, aber es ebnet den Weg für flottennahe Pilotierungen, Rapid-Prototyping und modulare Einführungsstufen – mit klaren Testkorridoren, Datenräumen und Priorisierung. Genau dafür wurde der Bremer Dialog als Arbeitsformat konzipiert.

Marinebezug

Im Zielbild unserer Marine sind Drohnenfähigkeit, digitale Vernetzung und Resilienz gegen hybride Angriffe tragende Elemente. Bremen setzt nicht bei abstrakter „Digitalisierung“ an, sondern bei konkreten Implementierungspfaden – vom Sensor-Effektor-Verbund bis zur Führungs- und Ausbildungsfrage. Dass das DMI die Klammer setzt, dass rund 90 Expertinnen und Experten kamen und dass es 2026 weitergeht, sind belastbare Indikatoren für das herrschende Momentum – und dafür, dass es hier nicht beim Impuls bleibt.

Fazit: Der Bremer Dialog ist Arbeits- und Vertrauensraum für den Trialog von Industrie, Marine und Rüstungsverantwortlichen. Mit Rheinmetall als tragendem Veranstalter und dem Commitment für 2026 hat das Format Rückenwind. Wenn die jetzt skizzierten Linien in Erprobungen auf See, inkrementelle Einführung und robuste Standards münden, kann dieser Trialog messbar dazu beitragen, Prozesse zu beschleunigen – ohne die notwendige Sorgfalt preiszugeben.

Fotos: hsc

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Eine Antwort

  1. Es freut mich ungemein, dass in diesem Artikel das Gebot der Stunde auf den Punkt bringt: Der „Bremer Dialog“ ist weit mehr als ein einfacher Sitzkreis – er ist der dringend benötigte Arbeits- und Vertrauensraum, in dem die Zukunft der deutschen Marine Gestalt annimmt. Die hier beschriebene Etablierung eines echten Trialogs zwischen Marine, Industrie und Rüstungsverantwortlichen ist der grundlegende Schlüssel, um die Fehler der Vergangenheit, wie sie leider bei Projekten wie der F126 schmerzlich bewusst wurden, zu überwinden und den Weg für eine strategisch und technologisch besser Flotte zu ebnen.

    Der Artikel selbst fängt die besondere Atmosphäre und den produktiven Charakter des Formats hervorragend ein. Die bewusste Entscheidung für die Chatham House Rules und der Verzicht auf „Produktfolklore“ schaffen eine Umgebung, in der offen und auf Augenhöhe über konkrete Herausforderungen und Lösungswege diskutiert werden kann. Es geht nicht um die Präsentation fertiger Produkte, sondern um das gemeinsame Ringen um die besten Konzepte für den Weg in die Zukunft. Dieser arbeitsorientierte Ansatz, der Bedarf, technische Optionen und Beschaffbarkeit sowie Schnittstellen frühzeitig synchronisiert, ist sehr wertvoller als in diesem Format auf ein starres, bürokratisches Verfahren zu setzen und baut genau jenes Vertrauen auf, das für komplexe Großprojekte essenziell ist.

    Besonders hervorzuheben ist die konsequente Fokussierung auf die Themen KI und Autonomie. Die in den Workshops behandelten Fragestellungen – von Sensor-Effektor-Verbünden über Manned-Unmanned-Teaming bis hin zur Neudefinition von Führung – sind exakt die Bausteine, die für die Realisierung zukunftsweisender Konzepte erforderlich sind. Hier wird nicht über abstrakte Digitalisierung philosophiert, sondern es werden die konkreten und nötigen Grundlagen für die Seekriegsführung von morgen geschaffen.

    Genau hier schließt sich der Kreis zu meinen früheren Überlegungen bezüglich einer zweistufigen Flottenarchitektur. Eine schlagkräftige, bemannte Plattform wie die zukünftige Fregatte F127 kann ihr volles Potenzial erst dann entfalten, wenn sie als Führungs- und Kommandozentrale eines vernetzten Systems agiert. Die in Bremen diskutierten unbemannten Über- und Unterwassersysteme (USV/UUV) sind die Vorläufer und Wegbereiter für genau jene Fähigkeit, die ich in meinem Denkmodell des Large Remote Missile Vessel (LRMV) skizziert habe.

    Gleichwohl darf man die immensen Herausforderungen eines solchen Projekts nicht unterschätzen. Selbst in mein Gedankenmodell (Denkmodel) vom LRMV zeigt erdrückend die technologische Komplexität: die Gewährleistung höchster Cybersicherheit, die Entwicklung einer robusten Autonomie auf den Stufen 4 und 5, die Integration von KI in kritische Entscheidungsprozesse und nicht zuletzt die Klärung fundamentaler rechtlicher und ethischer Fragen. Die Notwendigkeit eines parlamentarischen Prüf- und Freigabeverfahrens (Mandat) für den Waffeneinsatz unterstreicht die Tragweite. Der Weg vom Konzept zum einsatzbereiten System ist lang und wird eine vertrauensvolle Zusammenarbeit erfordern, wie auch in Bremen praktiziert wird.

    Das LRMV-Konzept, als unbemannter oder minimal bemannter, aber schwer bewaffneter „externer Waffenträger“, ist eine logische Konsequenz der in Bremen angestoßenen Entwicklungen. Es verkörpert die Prinzipien der verteilten Kampfkraft („Distributed Lethality“), der Risikominimierung für die eigenen Besatzungen und der skalierbaren, modularen Einsatzfähigkeit. Ein Format wie der Bremer Dialog ist unverzichtbar, um die dafür notwendigen Schnittstellen, die Interoperabilität und die robusten Standards zu definieren, damit solche revolutionären Konzepte nicht an „Systemkanten“ scheitern.

    Dass dieser Dialog von führenden Industrieunternehmen wie Rheinmetall, TKMS/Atlas Elektronik, NVL und Abeking & Rasmussen getragen und mit der Zusage für 2026 verstetigt wird, ist ein starkes und überaus positives Signal. Es zeigt, dass das Momentum erkannt wurde und den Willen mitzuziehen. Dieser Trialog kann der Katalysator sein, der aus strategischen Visionen wie der Kombination von F127 und LRMV Erprobungsreife, inkrementell einführbare und letztlich kriegstüchtige Realität für die Marine 2035+ machen kann. Ein absolut richtiger und wichtiger Schritt für die kommende Zeit.

    Mit freundlichen Grüßen an Holger Schlüter und in der Hoffnung, ihn mit meinen Nachrichten, wie der gestrigen Mail, nicht über Gebühr zu beanspruchen.

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