Mit den ASEV führt die japanische Marine ihre bisher schwerste mit Lenkwaffen bestückte Kriegsschiffsklasse ein. Ausgelegt sind die Schiffe für den zukünftigen Einsatz von Laser- und Railgun-Waffen.
Die japanische Marine (international bekannt als JMSDF oder Japanese Maritime Self-Defense Force) verfügt derzeit über acht Lenkwaffenzerstörer, darunter zwei Einheiten der 2020 eingeführten Maya Klasse. Die acht Zerstörer sind Mehrzweckkampfschiffe, und verfügen alle über das AEGIS Führungssystem sowie dem AN/SPY-1D Feuerleitradar. Die Schiffe sind unter anderem mit SM-3 Flugkörper bewaffnet, die für die Bekämpfung von ballistischen Flugzielen einschließlich Mittelstreckenraketen (Anti-Ballistic Missile – ABM) ausgerichtet sind. Bis 2032 will die japanische Marine zwei weitere AEGIS Zerstörer “der nächsten technologischen Generation” erwerben.
Im Verlauf des letzten Jahrzehnts wurden die Lenkwaffenzerstörer zunehmend in den ABM Einsatz eingebunden, um der wachsenden Bedrohung durch nordkoreanische Raketen zu begegnen. Dies geht auf Kosten der Fähigkeit, die angestammten Aufträge – Seezielbekämpfung, U-Jagd, Abwehr konventioneller Flugziele – wahrzunehmen. Angesichts der wachsenden Herausforderung durch die chinesische Flotte ist diese Bindung nicht länger tragbar.
Zum Schutz der japanischen Hauptinseln vor nordkoreanischen Raketen (und zur Entlastung der Zerstörer) beschloss Tokio folglich 2017 die Einrichtung von zwei landgestützten AEGIS Ashore Anlagen mit SM-3 Abfangraketen. Dieses Vorhaben wurde allerdings 2020 eingestellt, unter anderem aus Sorge dass die abgestoßenen Stufen der Abfangraketen auf zivile Ortschaften fallen könnten. An Stelle der AEGIS Ashore Einrichtungen beschloss das Verteidigungsministerium, zwei für ABM-optimierte Kriegsschiffe zu erwerben. Es handelt sich nicht um Zerstörer sondern um eine eigene Schiffskategorie mit der vorläufigen Bezeichnung Aegis System Equipped Vessel (ASEV). Anhand der Größe ähneln die ASEV Schiffe Kreuzern.
Entwurf, Technologie, Leistung
Zwischen Juni und August 2023 veröffentlichte Tokio mehrere Dokumente zur Verteidigungsplanung, einschließlich des neuen Etatantrags für 2024. Diese Dokumente enthüllen viele Details zu diesem Schiffsprojekt.
Ursprüngliche Konzeptentwürfe für ASEV zeigten einen an amphibischen Kriegsschiffen angelehnten Rumpf mit einer geschätzten Verdrängung um 20.000 Tonnen. Zwischenzeitlich wurde die geplante Größe zurückgestuft. Jüngste Entwürfe zeigen eine konventionelle, an Zerstörer oder Kreuzer angelehnte Rumpfform. Das japanische Verteidigungsministerium gab am 8. August bekannt dass die neuen Schiffe zirka 12.000 Tonnen Basisverdrängung haben werden, rund 50 Prozent mehr als die Maya Klasse und 30 Prozent mehr als US Navy Kreuzer der Ticonderoga Klasse. Mit 191 Meter Rumpflänge und 25 Meter Breite fällt ASEV 20 Meter länger und fast drei Meter breiter als die Maya Klasse aus, und auch 16 Meter länger als die Ticonderoga Klasse. In der neuen Konfiguration sollen die Schiffe 30 Knoten Fahrt erreichen, verglichen mit einer geschätzten Fahrtleistung von nur 18 Knoten für den ursprünglichen 20.000 Tonnen Entwurf. Die Besatzung soll aus rund 240 Personen bestehen (Maya Klasse: 300). Dies lässt vermuten dass ASEV Schiffe mit einem Höchstmaß an Automatisierung ausgestattet werden um die Besatzung zu entlasten.
Details zum Antriebssystem und zur Ausstattung für Energieerzeugung wurden bislang noch nicht bekanntgegeben. Fest steht allerdings dass der Bordelektrizitätsbedarf wesentlich höher als auf den Zerstörern sein wird, um neue, leistungsstärkere Sensoren, Kommunikationssysteme und Richtenergiewaffen zu versorgen. Die neuen elektrischen und elektronischen Bordsysteme werden auch ein stärkeres Kühlungssystem erfordern.
Die Schiffe sollen mit einem modifizierten AN/SPY-7(V)1 Festkörperradar ausgestattet werden. Das Radarsystem mit elektronischer Strahlschwenkung wurde ursprünglich für AEGIS Ashore entwickelt und besitzt, im Vergleich zum AN/SPY-1 Radar, die dreifache Reichweite und eine wesentlich höhere Auflösung; dies wird die Erfassung von ballistischen Raketen in mehr als 1.000 SM Entfernung ermöglichen. Lockheed Martin zitiert ferner die Fähigkeit des neuen Systems, gleichzeitig fünfmal so viele Ziele wie das AN/SPY-1 Radar zu verfolgen. Gemäß der jüngsten ASEV Entwürfe soll das Radar sehr hoch auf dem Deckhaus montiert werden, um das Erfassungshorizont auch für tieffliegende Ziele und Seeziele möglichst weitreichend zu gestalten.
Zusätzlich zum bordeigenen Radar werden die ABM-Schiffe Frühwarn- und Kursdaten anfliegender Raketen und Flugzeuge per Satellit erhalten. Schließlich werden die ASEV-Einheiten in den Cooperative Engagement Capability (CEC) Sensorenverbund mit US-amerikanischen Zerstörern sowie mit den Zerstörern der Maya Klasse eingebunden, um Sensorendaten mit anderen Schiffen austauschen und optimale Abfanglösungen zu berechnen.
Als Führungssystem wird eine modifizierte Variante der AEGIS Baseline 9 Ausführung eingesetzt. Gemäß der japanischen Nomenklatur wird das Führungssystem als J7.B bezeichnet. Die Integration des Führungssystems und des Radars erfolgt in enger Zusammenarbeit zwischen der JMSDF, der US-amerikanischen Raketenabwehrbehörde MDA (Missile Defense Agency) sowie der Firma Lockheed Martin.
Bewaffnung
ASEV ist ausgerichtet, 128 VLS Silos zu führen (zum Vergleich: die Maya Klasse ist mit 96 VLS-Silos ausgestattet). Das hier geführte Arsenal wird größtenteils aus SM-3 Block IIA und SM-6 Raketen bestehen. Die SM-3 ist für den BMD-Einsatz optimiert, wobei die (gemeinsam durch Japan und die USA entwickelte) Block IIA Variante ballistische Mittelstreckenraketen in deren mittleren Flugphase abfangen kann. SM-6 Mehrzweckflugkörper sind in der Lage, sowohl Flugzeuge und Marschflugkörper wie auch Seeziele zu bekämpfen; darüber hinaus kann die SM-6 ballistische Flugziele in deren Endflugphase, sowie – vorerst im begrenzten Umfang – Hyperschallwaffen abzufangen. Letztere Fähigkeit soll in den nächsten Jahren ausgebaut werden. Es ist ferner geplant, die noch in der Entwicklung befindliche GPI-Abfangrakete (Glide Phase Interceptor) auf ASEV einzuführen. Die gemeinsam durch Tokio und Washington angestrebte VLS-taugliche Waffe ist ausgerichtet, manövrierfähige Hyperschallgleitflugkörper zu neutralisieren. Die MDA erwartet, dass die hyperschallschnelle Abfangwaffe 2032 einsatzbereit sein wird.
Darüber hinaus sollen die Schiffe auch mit einer begrenzten Anzahl Tomahawk Marschflugkörper sowie einer Weiterentwicklung des in Japan entworfenen Type 12 Seezielflugkörpers bewaffnet werden. Die zur Bekämpfung von See- und Landzielen ausgerichteten Tomahawk Land Attack Missile (TLAM) Marschflugkörper werden in VLS-Silos untergebracht; Tokio erwirbt bis zum Jahr 2027 insgesamt 500 TLAM Block IV und Block V für den Einsatz auf den ASEV-Schiffen und auf sämtlichen Lenkwaffenzerstörern. Die Type 12 Seezielflugkörper werden – in der frühestens ab 2026 verfügbaren maritimen Variante – eine Reichweite von zirka 500 SM haben. Sie werden nicht per VLS geführt, sondern in eigenen, Mittschiffs montierten Startvorrichtungen auf dem Deck untergebracht werden.
Abgerundet wird das konventionelle Arsenal durch ein auf dem Vorderdeck montiertes 127mm Mk 45 Mod 4 Mehrzweckgeschütz sowie Gatling-Geschütze und Evolved Sea Sparrow Missile (ESSM) Flugabwehrraketen für den Nahbereichschutz. Ein elektronisches Kampfsystem soll anfliegende Raketen und Drohnen neutralisieren, die nicht durch Flugabwehrraketen abgeschossen werden. Ungewiss bleibt, ob die Schiffe auch eine defensive U-Jagdfähigkeit haben werden, eventuell durch einen entsprechenden Einsatz des Bordhubschraubers. Ein Mehrzweckhelikopter wird in dem achtern gelegenen Hangar geführt.
Die Fähigkeit zur Erzeugung großer Mengen Elektrizität wird es der ASEV Klasse erlauben, ab zirka 2033 auch Richtenergiewaffen zu führen. Hierzu zählen Hochenergielaser die entwickelt werden, um Flugziele (vor allem UAV) und kleinere Seeziele im Rahmen des Eigenschutzes zu bekämpfen, sowie möglicherweise auch Mikrowellenwaffen zur Zerstörung der elektronischen Systeme an Bord von Flugzeugen und Flugkörpern. ASEV Schiffe könnten auch mit einem Schienengeschütz ausgestattet werden. Die japanische Marine ist derzeit weltweit führend in der Entwicklung und Erprobung dieser Waffenkategorie. Am 17. Oktober meldete das Entwicklungs- und Beschaffungsamt der japanischen Streitkräfte (international bekannt unter dem Akronym ATLA – Acquisition, Technology & Logistics Agency) die erfolgreiche Seeerprobung eines Schienengeschützprototypen. Die Versuchswaffe der 5 Megajoule Klasse verschießt 320 Gramm schwere 40mm Stahlprojektile mit einer Mündungsgeschwindigkeit von 6,5 Mach. ATLA beabsichtigt, die Energieleistung auf 20 MJ zu steigern, bei entsprechender Steigerung der Projektilgeschwindigkeit und -reichweite. Die Waffe soll der Abwehr von See- wie Flugzielen dienen, und auch Hyperschallflugkörper abfangen können.
Einsatzkonzept
Hauptauftrag des neuen Schiffstyps ist der Schutz der japanischen Inseln vor ballistischen Mittelstreckenraketen, Hyperschallgleitflugkörpern und Marschflugkörpern. Folglich sollen die Schiffe primär im japanischen Meer zwischen den japanischen Hauptinseln und Korea eingesetzt werden. Nach Einschätzung von Vizeadmiral a.D. Tokuhiro Ikeda sollen die ASEV-Einheiten nicht ständig disloziert bleiben, sondern der jeweiligen Bedrohungslage entsprechend in Stellung gehen. Dank der gesteigerten Manövrierfähigkeit des neuen ASEV-Entwurfs werden die Schiffe die gleiche Mobilität wie Zerstörer haben, und ihre Stellung laufend wechseln können um ein Anvisieren durch den Gegner zu erschweren. Zusätzlich zum ABM- und Hyperschallabwehrauftrag werden die ASEV Einheiten ergänzend in der Lage sein, zumindest im Rahmen des Eigenschutzes weitere Seekriegsaufgaben wahrzunehmen.
nach 2032 auf den Asev- Schiffen eingeführt werden, Grafik: Raytheon
Die vorgesehene Bewaffnung mit Tomahawk Marschflugkörpern mit zirka 1.000 SM Reichweite wird es den Schiffen grundsätzlich ermöglichen, auch Landziele in ganz Nordkorea anzugreifen. Wie die Lenkwaffenzerstörer werden die ASEV Einheiten damit über eine “Gegenschlagfähigkeit” verfügen. Angriffe auf gegnerische Landziele sollen allerdings erst nach einem erfolgten Raketenangriff gegen japanisches Gebiet erfolgen, wobei die Vergeltungsschläge ausschließlich gegen feindliche Raketenstellungen gerichtet sein sollen, um die gegnerische Fähigkeit zur Durchführung weiterer Angriffe zu unterbinden. Dieses für die JMSDF neue Konzept soll gemäß Aussage der japanischen Regierung im Idealfall abschreckend wirken.
Entwicklungs- und Beschaffungsprogramm
Letztendlich wird die Einführung der zweckbestimmten ABM-Schiffe es der japanischen Marine ermöglichen, ihre kampfkraftgesteigerten Zerstörer primär auf den Einsatz gegen feindliche Seestreitkräfte zu konzentrieren oder Verbandsschutz für japanische und US-amerikanische Flugzeugträger und Amphibienschiffe zu leisten.
Das japanische Verteidigungsministerium beauftragte Mitsubishi Heavy Industries mit dem Bau der ersten ASEV Einheit, und Japan Marine United mit Herstellung des zweiten Schiffs. Pro Einheit werden 2,6 Milliarden US Dollar Beschaffungskosten veranschlagt. Der Bau des Typschiffs soll 2024 beginnen. Die beiden Schiffe sollen gemäß Aussage des Verteidigungsministeriums 2027 beziehungsweise 2028 formell in Dienst gestellt werden. Angesichts der erweiterten Fähigkeitsbandbreite des in diesem Jahr vorgestellten Entwurfs wird sogar spekuliert dass ASEV künftig – als de Facto Lenkwaffenkreuzer – die Grundlage des Nachfolgers der Maya Klasse bilden könnte.
Sidney E. Dean