Ballistische Raketen wie die iranische Khalij Fars bedrohen den Schiffsverkehr im Roten Meer. Foto: AMDC

Ballistische Raketen wie die iranische Khalij Fars bedrohen den Schiffsverkehr im Roten Meer. Foto: AMDC

Eine (nicht mehr ganz so) neue Bedrohung für die Flotte?

Im Roten Meer konnte sich die Fregatte Hessen erfolgreich gegen eine ballistische Rakete der Huthi-Rebellen verteidigen. Doch eigentlich sind die Fregatten nicht für die Abwehr solcher Waffen befähigt.

„Stets findet Überraschung statt, da, wo man’s nicht erwartet hat.“ Mit diesem Zitat von Wilhelm Busch eröffnete Kapitänleutnant Marius Werth, 1. Luftverteidigungsoffizier der Fregatte Hessen, seinen aufrüttelnden Vortrag auf der diesjährigen Historisch-Taktischen Tagung der Marine.

Kapitänleutnant Werth berichtete vom Kaltstart und dem Blick in die Glaskugel, vor dem die Fregatte Hessen im Februar 2024 stand, als sie im Rahmen des Internationalen Krisenmanagements zum Schutz der Handelsschifffahrt gegen die Angriffe der Huthi-Milizen ins Rote Meer entsandt wurde. Fregatte Hessen wurde Teil der EU geführten Operation Aspides.Tatsächlich schrieb die Besatzung der Fregatte im Verlaufe dieses Einsatzes Geschichte, war sie in der Bundeswehr doch der erste geschlossene Verband, der in reale Gefechte verwickelt wurde. Dasas Schiff wurde im „Goldstandard“ entsandt, traf aber auf eine Bedrohung, für welche das Waffensystem F124 nicht spezifiziert und ausgerüstet ist.

Was kann F124 ?

Der Einsatz war der erste scharfe Waffengang in der Luftverteidigung dieser speziell dafür gebauten Fregatten der Klasse F124, auch Sachsen-Klasse genannt. Technisch konzipiert wurden die drei Einheiten dieser Klasse als Verbandsflugabwehrschiffe noch zu Zeiten des Kalten Krieges, später konzeptionell weiterentwickelt zu Luftverteidigungsschiffen mit Fähigkeiten zur Integrierten Luftverteidigung in Zusammenarbeit mit bodengebundener und luftgestützter Flugabwehr. F124 hat hervorragende Abwehrwaffen für die klassische Flugabwehr gegen Flugzeuge, Hubschrauber und herkömmliche Anti-Schiff-Flugkörper. Mit seinen Sensoren kann es frühzeitig auch andere Einheiten auf Bedrohungen aufmerksam machen und beispielsweise Effektoren landgebundener Kräfte zur Bekämfung voreinweisen. Schiffsverbände und Gebiete sowie Objekte auch an Land können gegen Luftbedrohungen verteidigt werden. Jagdflugzeuge könnten kontrolliert gegen den Feind geführt werden.

Erstmals im Einsatz gegen Drohnen und ballistische Anti-Schiffsflugkörper

Im oben beschriebenen Einsatz traf Fregatte Hessen auf eine völlig anders geartete Bedrohung als bislang beübt. Die Huthi operieren mit Drohnen aller Größen und Arten gegen die Handelsschifffahrt in Roten Meer und setzen auch klassische Anti-Schiff-Flugkörper ein. Damit haben Sie bereits zahlreiche Handelsschiffe attackiert und teilweise komplett zerstört. Es sind zahlreiche Opfer unter den Handelsschiffsbesatzungen zu beklagen. Aus diesem Grund verlegten die USA und die EU in zwei Operationen (Prosperity Guardian und Aspides) Kriegsschiffe zum Schutz der Handelsschiffahrt in das Seegebiet. Auf die Kriegsschiffe reagierten die hauptsächlich vom Iran unterstützten Milizen ab Ende 2023 durch den ersten Einsatz von Anti-Schiff Ballistic Missiles (ASBM) in einem bewaffneten Konflikt. Gegen die luft- und seegestützen Drohnen der Huthi haben alle Koalitionskräfte mittlerweile ausreichend Erfahrungen und Verfahren zur Abwehr entwickelt. Gegen ASBM hat nur die US-Navy wirksame Fähigkeiten und Taktiken im Portfolio.

Anti-Schiff Ballistic Missiles sind keine neue Bedrohung

Bereits im MarineForum 5/2018, S. 30, Uhl/Bahmeier, „Die unterschätzte Gefahr“, wurden die Anfangsbefähigungen zum ASBM-Einsatz im Iran, in China und Nord-Korea dargestellt. Weiter hies es in dem Beitrag: Durch Technologietransfer erscheint eine weitere Verbreitung dieser Technologie zumindest wahrscheinlich. Theoretisch lässt sich mit wenig Aufwand eine solche Bedrohung für auch handelsstrategisch wichtige Schlüsselpositionen („Choke-Points“) wie das Rote Meer, den Golf von Aden, die Straße von Hormus oder die Malakka Straße relativ schnell und überraschend aufbauen.

Charakteristik von Anti-Schiff Ballistic Missiles

Der o.a. Artikel berichtete über die öffentlich zugänglichen Teilergebnisse einer Initiative des Marinekommandos, in deren Verlauf durch das BAAINBw K1.5 in den Jahren 2016 und 2017 Untersuchungen zu ASBM durchgeführt wurden. Typvertreter war damals ein iranischer Khalij Fars-Flugkörper, die mit einem Suchkopf und einer Endphasenlenkung mit Canard-Steuerung ausgerüstet ist. Sie trägt einen konventionellen 650-kg-Gefechtskopf. Der Flugkörper wird schräg gestartet und erreicht nach einem kurzen ballistischen Flug von maximal etwa 250 km das Zielgebiet. Während des Abstiegs, der mit circa 1500 m/s , also mit Hyperschallgeschwindigkeit erfolgt, wird die Khalij Fars versuchen, das Zielschiff frühzeitig mit ihrem optischen Suchkopf zu entdecken. Dies kann allerdings nur bei Tag und relativ wolkenfreiem Himmel gelingen. Sobald das zu bekämpfende Schiff im Suchkopf erscheint, wird es in einem möglichst steilen Winkel angeflogen. Die Bekämpfung von solchen ASBM kürzerer Reichweite findet innerhalb der Atmosphäre durch dafür geeignete seegestützte Systeme der ballistischen Flugkörperabwehr in der unteren Abfangschicht wie den Standard Missile 6 statt.

Iranische Khalij Fars, Foto: AMDC
Iranische Khalij Fars, Foto: AMDC

Die auf mittlere Reichweiten von 1500 KM einsetzbaren chinesischen ASBM, beispielsweise vom Typ DF-21, erreichen beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre etwa 10 Mach. Sie können am sichersten außerhalb der Atmosphäre durch dafür geeignete seegestützte Systeme der ballistischen Flugkörperabwehr in der oberen Abfangschicht wie den Standard Missile 3 abgewehrt werden.

Beide ASBM-Typen fliegen jedoch auf das Zielschiff in einem für dessen Sensorsysteme herausfordernden Höhenwinkel an, so dass es mindestens zweier mit den geeigneten Sensoren und Effektoren ausgerüstete Kriegsschiffe bedarf, die sich gegenseitig im mutual support schützen (Stichwort „Pairing“).

Leider blieb diese Studie – wie so viele andere auch – in einer chronisch unterfinanzierten und prozessual überbelasteten Bundeswehr ohne Auswirkung. Derzeit haben von allen westlichen NATO-Kriegsschiffen nur die Arleigh Burke Zerstörer der US-Navy solche umfassenden Abwehrfähigkeiten gegen Ballistische Flugkörper (Ballistic Missile Defence/BMD). Die niederländischen Schwesterschiffe der F124 der De Zeven Provincien-Klasse bieten entsprechende Sensorfähigkeiten wie auch Spanier, Briten, Franzosen und Italiener auf ihren Luftverteidigungsschiffen, jeweils in unterschiedlichen Ausprägungsgraden.

Mehr als nur Glück

Für Einheiten, die auf Grund fehlender Lagebildanbindung an das JREAP-C-Netzwerk keinen Zugang zur satellitengestützten Frühwarnung („shared early warning“) der US-Streitkräfte haben, sind die Reaktionszeiten bei ASBM-Angriffen zu kurz, um die gesamte Besatzung auf Gefechtsstation zu rufen. Die eingangs angesprochene Kreativität der Crew der Hessen hat hier eine modifizierte Kriegsmarschorganisation entwickelt, die über den gesamten Einsatz aufrecht erhalten wurde.

Mit einem 650-kg- Sprengkopf ausgestattet, bedroht die Khalij Fars die internationale Schifffahrt, Foto: AMDC
Mit einem 650-kg- Sprengkopf ausgestattet,
bedroht die Khalij Fars die internationale Schifffahrt, Foto: AMDC

Diese Organisation bewährte sich auch am frühen Abend des 6. April 2024. Nachdem eine Fehlindikation noch die Vorwache auf Trab gehalten hatte, wurde Fregatte Hessen unmittelbar nach dem Wachwechsel während eines Schutzauftrages für ein Handelsschiff zum Ziel eines koordinierten ASBM-Angriffs. Aller Theorie zum Trotz: Die zur Abwehr abgefeuerten Flugkörper trafen. Nicht, weil F124 eine Fähigkeit zur Abwehr von ASBM hat. Sondern weil eine unglaubliche Portion Glück auf eine professionell vorbereitete Besatzung traf und die glückliche Fügung hier gleich für mehrere günstige Faktoren sorgte: die Technik funtionierte einwandfrei, eine aufmerksame Kriegsmarschwache reagierte verzugslos und unter Abänderung althergebrachter Doktrinen, die Trajektorie der anfliegenden Flugkörper war günstig und die Geschwindigkeit der Bedrohung lag am unteren Rand. Und zu guter Letzt blieb das Schiff von der Trümmerwolke verschont. Lucky Hessen !

Aber Glück allein war es nicht. Der damalige Kommandant der Hessen, Fregattenkapitän Volker Kübsch, brachte es in einem Interview mit dem Chefredakteur des MarineForums in der Ausgabe 7/8 2024, S. 10ff, auf den Punkt: „Nur höchste Standards sind gut genug“. Die Besatzung wurde dem mit ständigem, gefechtsmäßigem Üben und dem Streben nach tiefster Systemkenntnis gerecht. Und nun ?

Eine gut ausgebildete, hochmotivierte Besatzung ist nur ein Garant für den Erfolg einer Mission. Eine bedrohungsgerechte technische Ausstattung ist aber ebenso wesentlich. Ein Fähigkeitsaufwuchs zur Abwehr ballistischer Flugkörper war bei den Rüstern und Planern der Bundeswehr seit 1999 häufig diskutiert aber nie umgesetzt worden. Damals war Deutschland mit den USA und den Niederlanden zusammen Gründungsmitglied des noch heute existierenden, mittlerweile auf 12 Nationen angewachsenen Maritime Theatre Missile Defence Forums. Eines der Ziele dieses multinationalen Forums ist der Fähigkeitsaufbau zur Ballistic Missile Defence.
Aber selbst der Aufwuchs zu einer diesbezüglichen reinen Sensorfähigkeit für die F124 mit dem Ziel der Frühwarnung und Zielvoreinweisung für andere mit Abwehrwaffen ausgerüstete Kräfte ist nach fast 20 Jahren Planung und Entwicklung noch nicht umgesetzt. Eine Fähigkeit in der Ballistic Missile Defence – auch zur Abwehr von ASBM - soll nun absehbar erst mit der Nachfolgeplattform der F124 ab Mitte der kommenden Dekade eingeführt werden.

Bis dahin könnte man betroffene Einheiten wenigstens an die Frühwarnung anbinden. Dann hätten sie Gelegenheit, sich rechtzeitig grossflächig einzunebeln, in der Hoffnung, den optischen Suchkopf des Angreifers auszutricksen. Man kann natürlich auch einfach Abstand halten – bis auch die Fähigkeit zum Einnebeln eingerüstet ist.

Glückwunsch an die Besatzung der Hessen. Sie konnte sich weder einnebeln noch Abstand halten. Dafür trägt sie als erster geschlossener Einsatzverband die Einsatzmedaille der Bundeswehr in der Stufe „Gefecht“.

Andreas Uhl

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