In letzter Zeit ist es Mode geworden, europäische Marinen zu kritisieren, vor allem die Deutsche Marine. Kritiker argumentieren unter Anderem, dass europäische NATO-Mitglieder für ihre maritime Sicherheit und für die Marineführung im Bündnis vollständig auf die Vereinigten Staaten angewiesen seien. Dabei wird die Deutsche Marine als eine "Green Water Navy" bezeichnet. Weiter wird behauptet, die Deutsche Marine unterliege schweren "Einschränkungen", trage nicht ausreichend zur Bündnisverteidigung bei, und unternehme nicht genug, um diese Situation angesichts der von Russland ausgehenden Bedrohung zu korrigieren.

Solche Kritik ist in bestimmtem Grad zulässig: Die letzten Jahrzehnte waren nicht gerade günstig für die Bundeswehr, wobei die Deutsche Marine besonders durch eine mangelnde Priorisierung seitens des Bundestags bei den Verteidigungsausgaben gelitten hat. Aber auch andere Probleme im deutschen Verteidigungswesen scheinen überproportionale Auswirkungen auf die Marine zu haben. In den 15 Jahren seit der Aussetzung der Wehrpflicht ist es Deutschland nicht gelungen, gerade in einem Land, wo Militärdienst immer noch mit großem Vorbehalt betrachtet wird, ein zuverlässiges System für Nachwuchsgewinnung und Personalerhalt zu entwickeln. Die zeitaufwändigen und kostspieligen Rüstungs- und Beschaffungsverfahren verzögern und verteuern häufig die Einführung neuer Fähigkeiten. Wie bei allen westlichen Marinen hat auch die Deutsche Marine nach „Nine-Eleven“ durch lange Einsätze zur Bekämpfung von Terrorismus und Piraterie – trotz geringer Intensität herausfordernd für Schiffe und Besatzungen – eine deutliche Abnutzung von Material und Personal sowie generell einen Schwund der Kampffähigkeit erlitten. Die Marine hatte auch bei einigen ihrer Beschaffungsvorhaben schlichtweg Pech: Erinnert sei hier an das Hauptgetriebe der Korvette K130 und die Systemintegration der Fregatte F125. Auch das Gesamtkonzept der F125 als Stabilisierungsfregatte erscheint in der heutigen Sicherheitslage aus der Zeit gefallen.
Kritik kann aber auch so weit gehen, dass sie der Realität nicht mehr entspricht. Es wird behauptet, "aktuelle Fähigkeiten der deutschen Marine sind begrenzt". Welche Fähigkeiten das sein sollen, wird nicht erklärt. Dazu fehlt es an einer Analyse bestimmter Entscheidungen zur Marineplanung auf oberster Ebene und ihrer Auswirkungen auf den Marinebetrieb, die sich erst nach Jahrzehnten einstellen. Dass die Deutsche Marine kleiner ist als vor 30 Jahren, dass sie Probleme hat mit Nachwuchs und Einsatzbereitschaft, oder dass nicht genügend Munition beschafft wurde, das soll nicht heißen, dass keinerlei Fähigkeiten vorliegen. Das würde verkennen, dass einige sehr reale und wesentliche Fähigkeiten dennoch vorhanden sind. Es gibt keinen Hinweis auf politische Ziele, Leitlinien des Verteidigungsministeriums oder NATO-Fähigkeitssziele, die als objektive Standards gelten können, nach denen Kapazität und Leistung einer Marine zu beurteilen wären.
Es ist beispielsweise schwer zu verstehen, wie die Deutsche Marine als "Green Water Navy" bezeichnet werden kann, wenn das Typschiff der neuesten Fregatten-Klasse vor Kurzem eine 18-monatige Weltumrundung abgeschlossen hat, darin eingeschlossen sechs Monate bei UNIFIL, Teilnahme an RIMPAC, Übungen mit der indischen Marine, vor allem aber auch einen Transit der Taiwanstraße.
In ähnlicher Weise ignoriert eine Kritik wie, "die maritimen Einschränkungen Deutschlands werden noch deutlicher im Vergleich zu den Marinefähigkeiten der NATO-Mitglieder an der Ostsee, wie beispielsweise Polen," viele einfache Tatsachen. Die polnische Marine besteht aus zwei fast 50-jährigen FFG-7 Fregatten, einem einzigen polnisch gebauten Patrouillenschiff (das einzige Überlebende einer geplanten, aber abgesagten Klasse von acht Korvetten) und einigen Küstenminensuchern hauptsächlich sowjetischer Herkunft. Tragen diese Kräfte tatsächlich mehr zur Sicherheit in der Ostsee bei als Deutschlands in der Ostsee beheimatete Einsatzflottille 1, die aus modernen Korvetten, U-Booten, Minenjägern und Tendern besteht? Unberücksichtigt auch die großen Fregatten der Einsatzflottille 2 an der Nordsee? Dazu gibt’s auch die Marineflieger, die Deutschland – neben Schweden – zur einzigen NATO-Ostsee-Nation mit einer echten Komponente „Maritime Patrol“ machen und die ab 2028 mit P-8 Poseidon-Flugzeugen operieren werden.

Im selben Jahr, in dem die neue polnische Fregatte gerade erst mit ihrer Seeerprobung beginnen soll, wird Deutschland fünf neue Korvetten und zwei neue Flotten-Tanker gebaut haben, sowohl den Bau der F127 Luftverteidigungsfregatte und zweier neuer Typ212CD U-Boote begonnen haben, als auch mit den Fähigkeitsnachweisen der Fregatte F126 beschäftigt sein.
Deutschland besitzt auch bündnisführende Kompetenz in der Minenabwehr, und mit fortschreitender Entwicklung von MEKO S-X zudem in unbemannten U-Jagd-Systemen.
Die Anfangsschwierigkeiten der jüngsten Schiffsklassen haben sich ausgewachsen und die Plattformen sind jetzt zuverlässige, fähige Schiffe, die zur Sicherheit und Abschreckung an der Ostflanke der NATO beitragen. Die Korvetten leisten wichtige Dienste in Ostsee und Mittelmeer. Obwohl unterbewaffnet, ist die F125 ein großes, geräumiges und stabiles Schiff mit einem hervorragenden Kampfführungssystem, aber auch mit viel Platz, um flexibel neue Funktionen zu installieren, einschließlich Flugabwehrsysteme mittlerer Strecke. Genau wie die Spruance-Klasse aus den 1970ern, die einst mit ähnlichen Kritiken überzogen wurde, haben diese Schiffe ein unerschlossenes Potenzial, das sie für einen High-End-Konflikt noch ausbauen könnten.
Die Kritik, dass Deutschland keine "Flugzeugträger, Kreuzer oder Zerstörer" gebaut habe, ist noch seltsamer. Wozu denn? Deutschland hatte jeher nur einen einzigen Träger gebaut, sein Schicksal weit entfernt von „glorreich“. Wurde jemals in modernen Zeiten überlegt, einen Träger zu bauen? Der letzte gebaute Kreuzer der Welt war die USS Port Royal (Ticonderoga-Klasse, 10.000 Tonnen), vor 30 Jahren in Dienst gestellt. Und mit 7.000 Tonnen haben sowohl die F124 als auch die F125 die doppelte Verdrängung der letzten Klasse deutscher Zerstörer vom Typ 103 – oder ungefähr das gleiche Gewicht wie ein leichter Kreuzer der Königsberg-Klasse aus den 1930er Jahren. Es ist unaufrichtig, zu behaupten, Deutschland verfüge nicht über Zerstörer oder andere "große Überwasserkampfschiffe", nur weil diese Schiffe trotz ihrer Größe und Fähigkeiten aus politischen Gründen "Fregatten" genannt wurden. Wie Mahan es einst ausdrückte: "Es ist eine Nomenklatur, die wahrscheinlich das Genehmigen von Haushaltsmitteln erleichterte."
Diese Art von Kritik – gerichtet an die Deutsche Marine – übersieht auch, dass die meisten NATO-Marinen auf eine ähnliche Geschichte zurückblicken – nicht zuletzt die US-Navy selbst. Haben Kritiker eigentlich vergessen, dass die jüngsten Schiffbauprogramme der US-Navy sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert haben (Littoral Combat Ship, Zumwalt-Klasse, Ford-Klasse, Cruiser Life Extension-Programm, und jetzt die Constellation-Klasse)? Die Kritik klingt nicht nur falsch, sondern unfair – in dem ausgerechnet Deutschland herausgegriffen wird. Damit erweist sie den Männern und Frauen der Deutschen Marine einen Bärendienst, die mit lobenswertem Bemühen bei durchaus begrenzten Ressourcen sowohl nationalen und NATO-Aufgaben nachkommen, als auch andere internationale Verpflichtungen erfüllen.
Die Deutsche Marine operiert weltweit. Sie nimmt an den Ständigen Einsatzverbänden und Operationen der NATO, an UNIFIL, an EUNAVFOR und unzähligen internationalen Großmanövern teil. Dieser Autor kann die professionelle Seemannschaft und die taktische Fähigkeit des Marinepersonals bestätigen; auch, dass es sich sorgfältig um seine Schiffe kümmert. Der Indo-Pazifik-Einsatz 2024 mit seinem Transit der Taiwanstraße wurde vom US-amerikanischen Indo-Pazifik Befehlshaber Admiral Sam Paparo als "fantastisch" bezeichnet. Dass Deutschland eine fähige Blauwasser-Marine besitzt, ist nirgends ersichtlicher, als mit der hervorragenden Leistung der Fregatte „Hessen“ in der EU-Operation Aspides.
Die Deutsche Marine trägt deshalb nicht nur sinnvoll und bedeutsam zur Freiheit der Meere und zur Sicherung der internationalen Regeln bei, sondern bietet auch einen Kader erfahrener und weltoffener Seeleute und Marineoffiziere, die über umfassende globale, multinationale Erfahrung auf See verfügen. Dank Aspides haben jetzt manche Marinesoldaten ebenfalls Erfahrung mit echter High-End Luftkriegsführung. Die dienstälteren Offiziere der Marine stehen im maritim-strategischen Denken auf intellektueller Augenhöhe mit den Admiralen aller anderen Nationen. Sie tragen routinemäßig zu globalen Diskussionen über maritime Angelegenheiten bei.
Die Probleme und Lücken, unter denen die Deutsche Marine leidet, sind weitgehend auf unzureichende Ressourcen und mangelnden politischen Willen seitens der Bundesregierung zurückzuführen. Die US-Navy hat mit ihrem vergleichsweise massiven Budget keine vergleichbare Entschuldigung. Ihre derzeitigen Mängel im Bereich Schiffe und Einsatzbereitschaft sind das Ergebnis von Kurzsichtigkeit, Misswirtschaft, Überbeanspruchung und Verschwendung innerhalb des Pentagons und der Rüstungsindustrie. Zumindest ist die Deutsche Marine nicht in der misslichen Lage, den Steuerzahler um Vergebung bitten zu müssen. Allerdings steht vor der Aufgabe, die eigene Bevölkerung von der Bedeutung der Seemacht und der Wichtigkeit des Schutzes der Seewege überzeugen zu müssen.
Denn man darf nicht vergessen, dass der Grad, in dem eine Demokratie ihre militärischen Fähigkeiten pflegt, ein Produkt der politischen Entschlossenheit ihrer gewählten Führung und damit der Wähler der Nation ist. Die Entscheidung, die indopazifische Task Force um Afrika und nicht durch das Rote Meer zu schicken, wurde nicht von einem Admiral, sondern von einem gewählten Politiker getroffen. Ist es angesichts der Geschichte des Landes wirklich überraschend, dass Deutschland zögert – auch noch 80 Jahre später – sein Militär auf eine Weise einzusetzen, die als riskant, aggressiv, nationalistisch, oder sogar neoimperialistisch angesehen werden kann?
Die Deutschen haben eine Marine, auf die sie stolz sein können, trotz der finanziellen und politischen Fesseln. Diejenigen, die die Deutsche – oder eine andere NATO-Marine – kritisieren, sollten sich gut an die jeweiligen Fesseln erinnern und dann genau feststellen, was ihre Kritikpunkte sind, auf wen sie sich beziehen, und nach welchem Standard beurteilt werden sollte. Tun sie dies nicht, gehen sie das Risiko ein, auf der Suche nach Problemlösungen mögliche Verbündete zu verprellen, insbesondere die Führungskräfte dieser Marinen. Da jede NATO-Marine offenbar in einem Glashaus lebt, sollten sich Kritiker ihrer Ziele sicher sein, bevor sie Steine werfen.
Chuck Ridgway ist ehemaliger Offizier der US Navy und arbeitete zehn Jahre im NATO Joint Analysis and Lessons Learned Centre in Lissabon. Zwischen 2000 und 2003 war er als Austauschoffizier auf der Fregatte Lübeck eingesetzt.
Chuck Ridgway



