Im Jahr 2011 wurde das indische Docklandungsschiff Jalashwa als erstes Schiff von der US Navy übernommen. Foto: Presse- und Informationsamt der indischen Regierung

Im Jahr 2011 wurde das indische Docklandungsschiff Jalashwa als erstes Schiff von der US Navy übernommen. Foto: Presse- und Informationsamt der indischen Regierung

Indische Großmachtambitionen

Mit 1,4 Milliarden Menschen ist Indien das bevölkerungsreichste Land der Erde und beheimatet die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt. Nun will Neu-Delhi auch auf der politischen und militärischen Ebene den Aufstieg in den globalen Führungsclub schaffen.

Als Atommacht und mit umfangreichen Investitionen in moderne konventionelle Waffen unterstreicht Indien seine globalen Ambitionen und seinen Anspruch auf eine stärkere Rolle auf der internationalen Bühne. Die Regierung verfolgt eine Doppelstrategie, die darauf abzielt, ihre globale Rolle durch verstärkte internationale Anerkennung zu festigen, während sie gleichzeitig ihre geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen schützt und ausbaut. Eine gezielte Ausweitung und Diversifizierung der bi- wie multilateralen Partnerschaften ist integraler Bestandteil dieser Strategie.

Regional versucht Neu-Delhi, Partnerschaften zu vertiefen, um den Anspruch als regionale Führungsmacht zu festigen und  dem Eindringen Chinas in die angestammte Interessensphäre Indiens entgegenzutreten. Dies beinhaltet die Teilnahme an regionalen Kooperationsforen in Südasien, darunter die South Asian Association for Regional Cooperation (Saarc) und die Bay of Bengal Initiative for Multi-Sectoral Technical and Economic Cooperation (Bimstec). Die Act East Policy Initiative dient der Stärkung der wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen zu den südostasiatischen Staaten, unter anderem durch den Bau eines umfassenden Straßennetzwerks und die Realisierung von Hafeninfrastrukturprojekten. Vietnam, die Philippinen und andere durch Peking bedrängte Partner werden durch Waffenlieferungen sowie durch gemeinsame Seemanöver im Südchinesischen Meer unterstützt. Neu-Delhi hat auch seine maritime Präsenz im Indischen Ozean ausgebaut, um die eigenen strategischen Interessen zu sichern und als Garant für die Sicherheit in der Region aufzutreten.

Global sucht Indien auch engere Beziehungen zur Europäischen Union. Die nach der Anzahl der Einwohner größte Demokratie der Welt gilt weitgehend als wichtiger Wertepartner und Mitstreiter Europas zur Stärkung der regelbasierten internationalen Ordnung. Eine strategische Partnerschaft mit der EU wurde bereits 2004 vereinbart, ein Fahrplan zur deren Intensivierung 2020 vorgelegt. Maßgebliche Ziele sind unter anderem der Ausbau des Dialogs auf außen- und sicherheitspolitische Themen von gemeinsamem Interesse, regelmäßige Sicherheitskonsultationen sowie die Stärkung der Militärbeziehungen zwischen Indien und Europa. Auch auf bilateraler Ebene manifestiert sich eine indisch-europäische Annäherung. So plädierte Verteidigungsminister Boris Pistorius während seines Indienbesuchs 2023, das Land ähnlich wie Australien oder Japan als strategischen Partner zu behandeln, um die Verteidigungskooperation und Rüstungsexporte zu erleichtern. Auf wirtschaftlicher Ebene bietet Indien eine Alternative zu China als Quelle kostengünstiger Konsumartikel.

Partnerschaft mit den USA

Indiens Verteidigungsminister Rajnath Singh und sein amerikanischer Kollege Lloyd Austin 2021 in Neu-Delhi, Foto: US DoD
Indiens Verteidigungsminister Rajnath Singh
und sein amerikanischer Kollege Lloyd Austin 2021 in Neu-Delhi, Foto: US DoD

Seit 2008 zeichnet sich eine gezielte Annäherung Neu-Delhis an die Vereinigten Staaten ab. Washingtons Anerkennung des Landes als bedeutender Partner steigert das globale Ansehen Neu-Delhis und stärkt den Einfluss Indiens bei Verhandlungen mit kleineren Staaten in Asien, dem Mittleren Osten oder Afrika. Beiden Seiten gemein ist das Interesse an der Eindämmung der regionalen Expansion Chinas. Für Washington ist es auch zunehmend von Nutzen, einen regionalen Partner zu haben, der zur Stabilisierung krisengeschüttelter Nationen wie Bangladesch, Myanmar oder Sri Lanka beitragen kann – vor allem, um eine chinesische Einflussnahme in diesen Ländern zu verhindern. Bei seinem ersten Indienbesuch beschrieb US-Verteidigungsminister Lloyd Austin im Jahr 2021 das Verhältnis der beiden Länder als „Bollwerk einer freien und offenen Indopazifischen Region (...). Indien ist angesichts des rapiden Wandels der internationalen Dynamik ein zunehmend wichtiger Partner. Ich bekräftige unser Engagement zur Festigung einer umfassenden, vorwärts gerichteten Verteidigungspartnerschaft mit Indien als Kernpfeiler unserer Politik in der indopazifischen Region.“

Ein Boardingteam der indischen Fregatte Talwar im April 2024 mit sichergestellten Drogen, Foto: Indische Marine/US Navy
Ein Boardingteam der indischen Fregatte Talwar im April 2024 mit sichergestellten Drogen, Foto: Indische Marine/US Navy

Eine intensivierte militärische Kooperation ist eines der Hauptmerkmale dieser Entwicklung. Neu-Delhi wurde daher folgerichtig 2016 zu einem führenden Verteidigungspartner der USA erklärt. Diese unterhalb der Schwelle eines Bündnisses liegende Einstufung ermöglicht eine vertiefte Verteidigungskooperation und den Technologieaustausch zwischen den Ländern. Auf der praktischen Ebene umfasst die Zusammenarbeit Rüstungslieferungen der USA an Indien sowie bilaterale Militärübungen aller Teilstreitkräfte. Ein 2016 geschlossenes Logistikabkommen ermöglicht die Versorgung indischer und amerikanischer Schiffe und Flugzeuge auf Stützpunkten des jeweiligen Partners. Im Jahr 2020 wurde ein Abkommen paraphiert, das Indien Zugang zu Aufklärungsdaten des US-Militärs gewährt. Die Wartung amerikanischer Kriegsschiffe auf indischen Werften wurde 2023 vereinbart. Im gleichen Jahr wurde der Fahrplan für eine Zusammenarbeit der Rüstungsindustrie der beiden Nationen vereinbart. Dieses in Washington als „ehrgeizig“ bezeichnete Vorhaben sieht unter anderem gemeinsame Forschung und Entwicklung sowie die Produktion von Waffensystemen des Heeres und der Luftwaffe vor. Hinzu kommen Kooperationen in Bereichen wie künstliche Intelligenz, Quantencomputertechnologie und Biotechnologie. Washington verspricht sich von dieser Zusammenarbeit nicht zuletzt Abhilfe für die gegenwärtigen Produktionsengpässe bei kritischen Teilsystemen, von Chips und Halbleitern bis hin zu Flugzeugtriebwerken.

Instrument der indischen Außenpolitik

Alle Teilstreitkräfte Indiens sind an der Ausweitung der verschiedenen Sicherheitspartnerschaften beteiligt, doch die Marine übernimmt hierbei die Führungsrolle. Sie ist am besten geeignet, weltweit Flagge zu zeigen und auf der Arbeitsebene mit ausländischen Kräften zu kooperieren. Multilaterale Übungen sowie die Beteiligung an internationalen Aktionen bieten beste Chancen zur Profilierung Indiens als Sicherheitspartner.

Indische und amerikanische Soldaten auf dem Deck des Docklandungsschiffs Somerset während der bilateralen Übung Tiger Triumph 2024, Foto: US Navy
Indische und amerikanische Soldaten auf dem Deck des Docklandungsschiffs Somerset während der bilateralen Übung Tiger Triumph 2024, Foto: US Navy

Seit 2008 beteiligt sich Indien an den internationalen Einsätzen zur Bekämpfung der Piraterie und zur Sicherung der Seewege im Golf von Aden, in den angrenzenden Gewässern des Arabischen Meeres und vor der Küste Somalias. Diese Präsenz umfasst regelmäßige Seepatrouillen und den Geleitschutz für Handelsschiffe, aber auch die aktive Befreiung von gekaperten Schiffen. Im Rahmen dieser Einsätze üben und operieren indische Einheiten regelmäßig mit europäischen Kriegsschiffen der EU-geführten Operation Atalanta. Seit November 2023 ist Indien ein vollwertiges Mitglied der in Bahrain angesiedelten, multinationalen Combined Maritime Forces (CMF). Indische Schiffe nehmen an den verschiedenen Combined-Task-Force-Einsatzgruppen des CMF-Verbands teil, die im nordwestlichen Indischen Ozean, im Roten Meer und im Golf von Aden aktiv sind.

Darüber hinaus unterstützt die indische Flotte auf bilateraler Ebene kleinere und weniger gut ausgerüstete Anrainer des Indischen Ozeans – darunter Sri Lanka, Mosambik, Madagaskar und die Malediven – beim Aufbau der Küstenschutzkräfte und bei der Überwachung der eigenen Gewässer und Fischereizonen.

Indien richtet verschiedene multilaterale Großübungen aus und beteiligt sich an von anderen Nationen geführten Übungen wie Rimpac. Zu den bedeutendsten maritimen Manövern unter der Leitung Indiens zählt die seit 1995 in der Bucht von Bengalen durchgeführte Übungsreihe Milan („Zusammenkunft“). Die ursprünglich auf fünf südasiatische Staaten beschränkten Manöver wurden nach und nach erweitert. Im Jahr 2024 fand die Übung mit 35 Schiffen unter Beteiligung von 15 Nationen sowie unter Beobachtung von 50 Nationen (darunter Deutschland) statt.

Gemeinsamer Einsatz des indischen Zerstörers Kochi und der spanischen Fregatte Numancia im Golf von Oman, Foto: Eunavfor
Gemeinsamer Einsatz des indischen Zerstörers Kochi und der spanischen
Fregatte Numancia im Golf von Oman, Foto: Eunavfor

Die 1992 gegründete Übungsreihe Malabar war ursprünglich eine bilaterale Veranstaltung der indischen und der amerikanischen Seestreitkräfte. Die Namensgebung reflektiert den Umstand, dass die Manöver zumeist in den Gewässern der Malabar Küste stattfinden. Zwischenzeitlich sind auch Japan und Australien Teilnehmer der Manöverreihe. Die Übungsgebiete wurden ebenfalls erweitert und reichen nun – von Jahr zu Jahr verschieden – vom Persischen Golf bis zu den Gewässern Japans.

Malabar ist somit de facto zu einem Bestandteil der als Quadrilateral Security Dialogue (kurz: Quad) bezeichneten Kooperationsgruppe geworden. Dazu gehören Australien, Indien, Japan sowie die Vereinigten Staaten. Die offizielle Zielsetzung ist der Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in der Region zwischen dem Indischen Ozean und dem Westpazifik. Trotz dieser allgemein gehaltenen Formulierung besteht grundsätzlich kein Zweifel daran, dass die Primäraufgabe der Vierergruppe darin besteht, die Ausweitung des chinesischen Einflusses in Südostasien und im Indischen Ozean zu verhindern. Die kleineren, demokratisch orientierten Staaten der Region sollen gestärkt werden, um sich dem Druck Chinas widersetzen zu können. Der Stellenwert der Quad-Gruppe wurde zwischenzeitlich aufgewertet. Die Regierungschefs der vier Länder tagen nun jährlich, um einen gemeinsamen Kurs abzustimmen.

Die praktische Zusammenarbeit der Quad-Partner erfolgt primär auf der maritimen Domäne. Sicherheit und Stabilität in dieser strategisch wichtigen Region sollen durch die Aufrechthaltung der freien Schifffahrt und des uneingeschränkten Handels gefördert werden. Der Datenaustausch zwischen den Partnern soll der Entwicklung eines umfassenden, aktuellen Lagebilds dieser Gewässer dienen.

Eigenständigkeit im Blick

Kooperationsbereitschaft und Engagement Indiens sollten allerdings nicht zu überzogenen Erwartungen einer indisch-amerikanischen Allianz oder einer operativen Partnerschaft mit der NATO führen. Neu-Delhi hat kein Interesse an einer festen Blockeinbindung. Es geht vielmehr darum, die außen- und sicherheitspolitischen Optionen zu erweitern, um die nationalen Eigeninteressen auf flexible Weise zu fördern, ohne die eigene Handlungsfreiheit einzuschränken.

P-8 Seefernaufklärer aus Australien, Indien und den USA auf Hawaii während der Großübung Rimpac 2018, Foto: US DoD
P-8 Seefernaufklärer aus Australien, Indien und den USA auf Hawaii während der Großübung Rimpac 2018, Foto: US DoD

In diesem Sinne widersetzt sich Neu-Delhi bislang dem Druck aus den USA und Europa, den russischen Einmarsch in die Ukraine zu verurteilen. Während des Kalten Kriegs und auch danach war Moskau der engste außen- und sicherheitspolitische Partner Neu-Delhis – und folglich die primäre Quelle für indische Waffenimporte und Technologietransfers. Durch verstärkte Eigenentwicklung sowie durch Diversifizierung der externen Partnerschaften erzielte Neu-Delhi im Verlauf der letzten 20 Jahre eine Reduzierung dieser Abhängigkeit. Dies bedeutet allerdings keinen Bruch mit Moskau, wie der Russlandbesuch des indischen Premierministers Narendra Modi im Juli 2024 belegte. Die brüderliche Umarmung zwischen Modi und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vor laufenden Kameras dürfte keine Spontanreaktion gewesen sein. Die offizielle Abschlusserklärung des Besuchs betonte – ganz im Sinne der herzlichen Begrüßung – die fortdauernde „strategische Konvergenz“ beider Länder. Sie umfasst mehr als 70 Bereiche, auf denen die bilaterale Kooperation noch vertieft werden soll, darunter der Transfer von Militärtechnologie, die Kooperation in der UN und in weiteren internationalen Foren sowie die Raumfahrt. Unter anderem unterstützt Moskau die Aufnahme Indiens als ständiges Mitglied in den UN-Sicherheitsrat.

Auch in anderen Foren zeichnet sich eine grundsätzliche Kontinuität ab. Während des Kalten Kriegs profilierte sich Indien als Führungsnation der blockfreien Staaten. An dieser grundsätzlichen Ablehnung des Konzepts einer vom Westen dominierten Weltordnung hat sich nichts geändert. Als Mitglied der Brics-Gruppe (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) und der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit arbeitet Neu-Delhi sogar mit dem Erzrivalen Peking zusammen, um ein Gegengewicht zum politischen und wirtschaftlichen Einfluss des Westens zu bilden.

Gerade weil Neu-Delhi sich als unabhängiger Akteur sieht, besteht kein grundsätzlicher Widerspruch darin, mit westlichen Nationen zusammenzuarbeiten, wenn gemeinsame Interessen betroffen sind, etwa bei Extremismus und Terror oder durch eine expansive Politik Chinas. Indien ist durchaus in der Lage, einen konkreten Beitrag zur Eindämmung dieser gemeinsamen Bedrohungen zu leisten. Westliche Nationen wären allerdings gut beraten, die Zusammenarbeit als Zweckbündnis und nicht als Verbrüderung zu verstehen. Indien hat in den letzten Jahrzehnten Beachtliches geleistet und besitzt das Potenzial, über sich hinaus zu wachsen. Neu-Delhi strebt nach Anerkennung und Respekt des Westens und will gleichzeitig die sicherheitspolitische und wirtschaftliche Lage in Asien, im Nahen Osten und in Afrika zu seinem Vorteil beeinflussen. Dies muss kein Nullsummenspiel sein. Amerika und Europa, Australien und Japan können durchaus Nutzen aus der Zusammenarbeit ziehen, solange mit offenen Augen und ohne Naivität vorgegangen wird.

Sidney E. Dean

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