Die Unternehmensgruppe Lürssen konzentriert sich künftig ausschließlich auf den Bau von Megayachten
An der Küste war es bereits seit Wochen ein Thema. Es ist also nicht überraschend, dass es zu dieser Entscheidung gekommen ist. Auch der Zeitpunkt ist an einem Montagmorgen im September 2025 nicht unbedingt sensationell, denn der Markt für den Marineschiffbau ist derzeit sehr dynamisch und dringlich. Verhandelt wurde bereits seit August. Der Druck, sich in Deutschland auch industriell schlagkräftiger aufzustellen, besteht in der sicherheitspolitischen brisanten Lage seit drei Jahren. Ob sich dabei die Kultur eines im Schwerpunkt mit landbasiertem Portfolio aufgestellten Düsseldorfer Unternehmens mit der Denkweise an der Küste vereinen lässt, ist dabei nicht nur eine Arabeske. Auch die küstenbekannte Angelegenheit, dass die Nachfolge-Frage der Familien Lürssen nicht unerheblich zur Abspaltung mit beiträgt, ist eigentlich Klatsch, aber eine seit langem erwartete Konsequenz.
Was ist eigentlich passiert?
Bereits 2021 trennte sich die Fr. Lürssen Werft GmbH & Co. KG mit Sitz in Bremen Vegesack von der Defence Sparte und gründete die NVL B.V. & Co. KG, zunächst im gleichen Gebäude in Vegesack. Zur NVL gehört seitdem Blohm+Voss in Hamburg, die Peene-Werft in Wolgast, die Neue Jadewerft in Wilhelmshaven und die Norderwerft in Hamburg sowie weitere Auslandsstandorte in Australien, Bulgarien und Kroatien. NVL hat ein immenses Potenzial im Marineschiffbau, man kann – außer bei U-Booten – so ziemlich alles reparieren und bauen, was Marine und Behörden wünschen und im Ausland begehrt ist. Als Reparaturwerften-Besitzer ist NVL ein bedeutsamer Partner der Deutschen Marine. Mit einem derzeitigen Auftragsvolumen von über 7 Milliarden Euro werden Korvetten, Betriebsstoffversorger und Flottendienstboote gebaut, für neue Tender hat man einen Entwurf in der Schublade und mit dem Joint Venture mit Kraken Technology Group in Großbritannien schaut man eine neue Waffen- und Aufklärungs-Zukunft. Ob man als Unterauftragnehmer von Damen Shipyards Group für die Fregatte Klasse 126 für die Deutsche Marine im Rennen bleiben wird – und ob sie überhaupt kommt – ist in naher Zukunft ein spannender Schauplatz.
Verkauf der Sparte und Erhalt der Expertise
Wie das Unternehmen heute bekanntgab, plant Rheinmetall alle Standorte und Mitarbeitenden der NVL zu übernehmen und sie mitsamt ihrem bisherigen Management als eigene Division in den Rheinmetall-Konzern zu integrieren und weiterzuentwickeln. Das kann auch gar nicht anders sein, denn die Rheinmetall hat in ihren Reihen keine Schiffbauer oder Ingenieure mit maritimem Schwerpunkt, von den Fachkräften einmal ganz abgesehen. Der Verkauf bedarf noch der Genehmigung durch die Wettbewerbsbehörden. Diese Konsolidierung ist kaufmännisch geboten und sicherheitspolitisch zeitgerecht. Friedrich Lürßen, Geschäftsführender Gesellschafter sagte dazu: „Insbesondere vor dem Hintergrund der verschärften Bedrohungslage halten wir eine Konsolidierung innerhalb der Verteidigungsindustrie für notwendig und sinnvoll. Nur so lässt sich eine schnelle Wehrfähigkeit unseres Landes sicherstellen. Mit dem Verkauf der NVL an Rheinmetall schaffen wir nun die Voraussetzung für einen leistungsfähigen Defence-Champion mit breit gefächerter Systemkompetenz. Wir freuen uns, mit Rheinmetall einen vertrauensvollen und starken Partner gefunden zu haben, der NVL und ihren Mitarbeitenden eine erfolgreiche Zukunft sichern kann.“ Sein Vetter Peter Lürßen, ebenfalls Geschäftsführender Gesellschafter der Lürssen Maritime Beteiligungen GmbH & Co KG, ergänzt: „Die Gespräche der letzten Wochen haben gezeigt, dass die Chemie zwischen unseren Unternehmen stimmt und wir ähnliche Werte haben. Uns ist es wichtig, unsere Marinesparte, unser technologisches Knowhow und vor allem die rund 2.100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der NVL in gute und verlässliche Hände zu geben.“ Das ist nicht nur politische Verantwortung, sondern auch kaufmännisch und unternehmerisch geboten: die Konsolidierung der Altbestände ist dringend erforderlich, denn die verschiedenen Werftstandorte der NVL Group sind unterschiedlich gut gerüstet für eine andere sicherheitspolitische Zukunftslage. Man braucht auch einen großen guten Investor, um die Investitionen der Zukunft abzusichern.
Marineschiffbau wird komplexer
Früher bauten Werften Kriegsschiffe und kauften Waffen und Systeme dazu, bauten sie ein und darauf. Die Werft war der Takt und Auftraggeber, die anderen nur die Zulieferer. Das ist heutzutage anders: man muss systemisch denken, und zwar von der ersten Schweißnaht an. Die Komplexität der Führungs- und Waffensysteme hat sich erheblich verändert und Verbund und Vernetzung sind die taktgebenden Prinzipien. Hinzu kommen unbemannte und autonome Einheiten in der Luft, auf dem Wasser und unter Wasser. Integration der Waffensysteme bestimmt den Takt und leider auch die Fertigstellungstermine, wie man am Beispiel der Korvetten Klasse 130 sieht - und nicht nur dort und nicht nur bei NVL. Die nun zu gründende Marine-Abteilung von Rheinmetall trifft auf ein Unternehmen, dass derzeit bedeutsamster Anbieter von Verteidigungstechnologie ist und bisher kaum maritim in Erscheinung trat, sieht man von der Entwicklung von Simulatoren für die Marine und Munition ab. Hier ist eine der vielen synergetischen Chancen, die Kompetenzen in Waffen- und Munitionssystemen mit dem Marineschiffbau zu verzahnen. Zudem verfügt NVL über viele Liegenschaften und Industriegelände mit bereits etablierten Produktionsfaktoren, von denen Rheinmetall profitieren kann. Vorstellbar ist, dass in einer ungenutzten Werfthalle auch Fahrzeuge gefertigt werden könnten.
Übernahme bereits im Jahre 2026
Den Vollzug der Übernahme streben die beiden Unternehmen bereits Anfang 2026 an. Über den Kaufpreis gelangte kein Hinweis nach außen, es sei Stillschweigen vereinbart worden. „Rheinmetall werde zu Lande, zu Wasser, in der Luft und im Weltraum ein relevanter Akteur sein", erklärte Unternehmenschef Armin Papperger. Rheinmetall entwickle sich damit zum "Domänen-übergreifenden Systemhaus". Rheinmetall wolle dem massiv steigenden Bedarf der Seestreitkräfte und den steigenden Budgets für die Beschaffung "mit leistungsfähigen Systemlösungen entsprechen" - etwa "Marine-Flugkörper und -Werfer, Haupt- und Sekundärgeschütze für die Marine, die Raketenabwehr, Sensoren und weitere Elektronik" sagte Papperger. Aber die Übernahme muss auch finanziert werden, dazu verhandelt Rheinmetall mit Investoren, unter anderem One Equity und Mutares. Dies berichtete das Handelsblatt.
Lürssen baut „nur noch“ Yachten
Die Unternehmensgruppe Lürssen konzentriert sich künftig ausschließlich auf den Bau und die Reparatur von Megayachten. Bisher war man als Spezialschiffbauer gut darin, zwischen den Expertisen Defence und Yacht in einer Crossover-Technologie sich gegenseitig technologisch zu unterstützen. Auch eine Mega-Yacht ist ein Spezialschiff und die Kunden, ob nun Marine oder Milliardär, haben Sonderwüsche und sind anspruchsvoll. Beide wollen das Beste und Neueste. Wie es um diese gegenseitige „Befruchtung“ bestellt sein wird, wird man sehen.
Nationaler Champion?
Die seit Jahren diskutierte Frage, ob Deutschland damit nun wie Frankreich, Spanien oder Italien einen nationalen bestimmenden Marine-Schiffbauer haben wird, ist damit nicht beantwortet. An der Kieler Förde und an der Unterweser gibt es nach wie vor bedeutsame Schiffbauer und High-Tech Werften mit Zukunft, die den heutigen Tag argwöhnisch, aber auch gelassen, zur Kenntnis nehmen. Konkurrenz belebt das Geschäft, nach wie vor. Auch TKMS braucht einen Investor, Rheinmetall wird das dann eher nicht sein, diese Chance ist in der letzten Regierung verstrichen. Wir werden bald lesen, wer da in Frage kommt - es bleibt spannend.
Eine Antwort
Die Ankündigung der Übernahme der Lürssen-Marinesparte NVL durch Rheinmetall stellt ein neues Kapitel für die deutsche Verteidigungs- und insbesondere Werften-Industrie dar. Dieser strategische Schritt geht über eine übliche Branchenkonsolidierung hinaus und könnte die Etablierung einer Art Bundessystemhauses für die Marine einleiten. Infolgedessen findet die vom Unternehmenschef Armin Papperger formulierte Vision, Rheinmetall als einen domänenübergreifenden Akteur zu Lande, zu Wasser und in der Luft zu positionieren, ihre konkrete Umsetzung.
Die Synergien liegen auf der Hand. Rheinmetalls tiefgreifende Expertise in den Bereichen Waffensysteme, Munition, Sensorik und Vernetzung trifft auf die etablierte Fähigkeit zum Bau hochkomplexer Marineschiffe, wie sie NVL, neben ihrem ebenso bedeutsamen Wettbewerber TKMS, repräsentiert. Wo früher die Werft als Generalunternehmer agierte und Systeme von externen Anbietern integrierte, entsteht nun ein Akteur, der potenziell deutlich mehr aus einer Hand liefern kann. Für die Deutsche Marine könnte das eine große Chance sein: schnellere Prozesse, tiefere Systemintegration und hoffentlich eine höhere Verfügbarkeit der Flotte.
Doch mit der neuen Macht kommt auch eine neue Verantwortung. Der Erfolg dieser Übernahme wird sich nicht an der Größe des fusionierten Unternehmens oder den Synergieeffekten in der Bilanz messen lassen, sondern an den Fähigkeiten, die es der Bundeswehr zur Verfügung stellt. Aktuelle Projekte wie die Betriebsstoffversorger oder die Flottendienstboote sind wichtig, aber sie repräsentieren durch die lange Projektlaufzeit mehr die Anforderungen von heute und vielleicht morgen als von übermorgen. Die wahre Bewährungsprobe für den neuen Verbund liegt in der Zukunft.
Und die Zukunft der Seekriegsführung, das zeichnet sich deutlich ab, liegt mehr bei unbemannten und vernetzten Einheiten als bei den traditionellen benannten. Während das „Future Combat Surface System“ (FCSS) bereits in den Startlöchern steht, wozu seit Montag (15.09.25) Opex-Erprobung läuft, richtet sich der strategische Blick nach der F127 auf das übernächste Großprojekt: die Large Remote Missile Vessels (LRMV). Diese unbemannten oder optional bemannten Schiffe sollen als mobile, weitreichende Raketenplattformen die Schlagkraft der bemannten F127 (Luftverteidigung & Maritime Strike) weiter verstärken. Sie sind kein „Nice-to-have“, sondern könnten der langfristige Träger für die Abschreckung und Verteidigung im Bündnis sein.
Genau hier stellt sich die proaktive und gewissermaßen provokante Frage direkt an den Architekten dieses neuen Sterns: Herr Papperger, die Schaffung dieser Verbindung ist ein beeindruckender erster Schritt. Doch die Marine braucht keine weiteren Papiertiger, sie braucht Schiffe und Fähigkeiten. Deshalb die Frage: Wann planen Sie, den Entwurf für die zukunftsweisenden Large Remote Missile Vessels (LRMV) einzureichen, und wann können wir denn mit dem Brennstart für die erste Einheit rechnen?
Die Antwort auf diese Frage kann zeigen, ob die Übernahme von NVL tatsächlich der Startschuss für eine neue Ära oder Kapitel im deutschen Marineschiffbau ist oder ob hier nur ein Champion auf dem Papier geschaffen wurde. Die Zeit drängt, und die Marine muss sich für den Sturm aus Osten wappnen, sowohl für heute (Fight tonight) aus als auch morgen (Fight tomorrow).