Seit dem Beginn des russischen Einmarschs in die Ukraine fokussiert sich die Deutsche Marine wieder auf die Ostsee. Die Besatzungen des 1. Korvettengeschwaders sind für eine Abwehr der vielfältigen Bedrohungen gut gerüstet.
Die Korvetten der Deutschen Marine waren in den letzten Jahren bei Einsätzen im Mittelmeer gefordert – dafür aber wurden sie nicht konzipiert. Der Bedarf an Einheiten war bereits während der Planungsphase höher als die Anzahl der heute verfügbaren Einheiten. Trotzdem lässt das zweite Los bis heute auf sich warten.
Wie geht es dem Verband unter den gegebenen Rahmenbedingungen? Zeit, sich mal wieder ins sommerlich schöne Warnemünde aufzumachen, um die Stimmung einzufangen. Man kennt sich, die Begrüßung durch den Kommandeur, Fregattenkapitän Marc T. Tippner, und den Leiter des Einsatz- und Ausbildungszentrums Korvette, Fregattenkapitän Thorsten Vögler, ist kameradschaftlich herzlich und die Stimmung vertraulich gut.
Der Kommandeur kommt sogleich auf die Kernfrage, was das 1. Korvettengeschwader ausmacht:
„Wir sind der für die Überwasserseekriegsführung in Randmeeren spezialisierte Kampfverband der Deutschen Marine.“
Er verweist auf den landzielfähigen schweren Seezielflugkörper RBS 15 Mk 3 von Saab, die Fähigkeit, Seeminen zu legen, Aufklärung zu betreiben und sich gegen Luft- und Überwasserbedrohungen zu verteidigen.
Zwar sei das luftgestützte Projekt Aufklärung und Identifizierung im maritimen Einsatzgebiet noch nicht realisiert, es gebe aber einen neuen Ansatz und mit dem Future Combat Surface System werde zudem die Integration von schwarmfähigen Überwasserdrohnen angestrebt. Das Future Combat Surface System soll die bestehenden Überwassereinheiten vernetzt ergänzen, weshalb das Geschwader die Entwicklung und den Einsatz autonomer Systeme im Rahmen von Operational Experimentation unterstütze. „Das macht eine Korvette zu einem flexiblen Seekriegsmittel im gesamten Intensitätsspektrum“, fügt Tippner hinzu. Zusammen mit dem Stab, dem Einsatz- und Ausbildungszentrum und der Systemunterstützungsgruppe sei das ein „starkes Team, das gegebenenfalls weltweit zur Sicherheit Deutschlands beiträgt“.
Weltweit, wirklich? Bisher war es doch nur das Mittelmeer! Der Kommandeur lässt sich nicht beirren. Man habe in der Tat über viele Jahre durchgehend Beiträge zur Verteidigungsdiplomatie, der nationalen Risikovorsorge und dem Internationalen Krisenmanagement insbesondere bei Unifil geleistet. Zuletzt sei die Korvette LUDWIGSHAFEN AM RHEIN kurz vor Weihnachten von der libanesischen Küste zurückgekehrt, ein weiterer Einsatz, der die Besatzung besonders gefordert habe. „Die erfolgreiche Abwehr eines Angriffs mit einer bewaffneten Drohne am 17. Oktober 2024 hat gezeigt, dass unsere Besatzungen für ihre Einsätze gut ausgebildet werden und ihr Waffensystem beherrschen.“
Und weiter: „Unser Kernauftrag lautet jedoch Abschreckung und Verteidigung an der Nordflanke und fordert uns nun verstärkt in der Ostsee.“
Zurück in die Seegebiete vor der Haustür, ist das nicht auch eine Erleichterung? Tippner betont, dass man auf die geleisteten Unifil-Einsätze durchaus stolz sei und er über deren Relevanz nicht zu urteilen habe. Für ihn sei Einsatzfähigkeit der Kern, und zwar sowohl für die ständige Präsenz in der Ostsee wie auch vor der Levante. „Dass wir uns jedoch in der aktuellen sicherheitspolitischen Lage auf die Ostsee konzentrieren, verschafft uns im Kriegsfall einen klaren taktischen Vorteil. Wir operieren seit Jahresbeginn zeitgleich mit bis zu drei Korvetten in der Ostsee, tragen hierdurch zu einem engmaschigen Lagebild und der notwendigen Raumkenntnis in einer anspruchsvollen Geografie bei und stellen Reaktionsfähigkeit auch gegenüber hybriden Bedrohungen sicher.“
Zugleich nutze man eine Vielzahl von Manövern und Übungen zur Ausbildung der Besatzungen und zur Intensivierung der Kooperation mit anderen Seestreitkräften. Das stärke die Allianz und trage zur glaubwürdigen Abschreckung bei. Und wie sehen das die Besatzungen, oder besser: das ganze Team? Tippner hat die Frage erwartet, lehnt sich lächelnd zurück und stellt nicht ohne Stolz fest: „Das hat etwas gemacht mit den Menschen; vor der eigenen Haustür zu operieren, empfinden viele als einen sehr sinnstiftenden Dienst.“ Die Bedrohung der kritischen Infrastruktur in der Ostsee sei allen bewusst. Man wisse auch, dass durch russische Propaganda ein verzerrtes Bild über die Deutschen und ihre Marine verbreitet werde. Dieser mit sichtbarer Präsenz zu begegnen, sei ein von den Besatzungen verstandener Auftrag, zu dem man überzeugt stehe. Das Geschwadermotto „Packen wir’s an“ treffe es, sagt er. „Und weil Menschen kämpfen und nicht Schiffe, sind wir auf eine langfristige Bindung motivierter Menschen an unser Geschwader angewiesen.“ Daher sei ihm die Attraktivität des Diensts wichtig, betont er. Und dazu gehöre neben einer bestmöglichen Vereinbarkeit mit familiären Belangen und der Verfügbarkeit funktionsfähiger Einheiten aus seiner Sicht auch eine fundierte Ausbildung, die Perspektiven eröffnet.
Auf die Frage, wie sich die neue Ausbildungsanlage von Rheinmetall bewähre, zeigen sich beide Offiziere sehr zufrieden. Das habe den Verband vorangebracht, sowohl in der Effizienz der Ausbildung als auch im Teambuilding. „Wir haben den Besatzungen die Gewissheit zu geben, dass sie den bevorstehenden Herausforderungen gewachsen sind.“
Mussten Änderungen vorgenommen werden, um der aktuellen sicherheitspolitischen Lage zu begegnen? Kommandeur Tippner holt weit aus, ein ganzes Bündel an Maßnahmen sei angestoßen. „Wir haben unsere Geschwaderstruktur überarbeitet und evaluieren derzeit eine neue Besatzungsstruktur, die auf kurzfristige Regenerierbarkeit und langfristigen Erfahrungsaufbau ausgerichtet ist. Auch die Ausbildung unter Kriegsbedingungen betrachten wir intensiv.“ Ihm komme es jedoch besonders auf die Zusammenarbeit im Verband an: „Nur gemeinsam sind wir stark.“
Apropos gemeinsam: Wie steht es denn um den Nachwuchs? Tippner erwähnt, wie wichtig der Arbeitgeber Marine auch in der Region sei, und dass er auch mit Blick auf den neuen Wehrdienst zuversichtlich in die Zukunft schaue. Natürlich sei auch die Marine vom Fachkräftemangel betroffen und müsse daher als guter Arbeitgeber wahrgenommen werden.
Welche Rolle fällt den Kommandanten dabei heutzutage zu? Tippner zitiert aus der Vorschrift: „Der Kommandant trägt für Führung und Einsatzbereitschaft der Einheit, den Ausbildungsstand, die Disziplin und Pflichterfüllung der Untergebenen, das Wohl der Besatzung und für Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit seiner Befehle die Verantwortung.“ Der Kommandeur ist überzeugt, dass es keine andere Verwendung gibt, die eine vergleichbar vollumfängliche Verantwortung beinhaltet. „Es bedarf charakterlicher und geistiger Kraft sowie auf zielgerichteter Ausbildung und tiefgreifender Erfahrung beruhendem Können!“ Das brauche Zeit, die Erlangung der Kommandanteneignung benötige im Schnitt sechs Jahre.
Zum Schluss die brennende Frage, wie es denn um den Zulauf der neuen Korvetten des zweiten Loses bestellt ist. Tippner reagiert abgeklärt, man tue seinen Job in der guten Zusammenarbeit mit der Werft. Die Vorbereitung der Besatzungen habe hohe Priorität, und es sei Licht am Ende des Tunnels zu erkennen: „Die EMDEN fährt bereits unter Bundesdienstflagge, und wir erwarten im kommenden Jahr alle fünf Einheiten des zweiten Loses in See.“ Man darf gespannt sein. Als Kommandeur wird Tippner diesen Meilenstein nicht mehr erleben dürfen, er übergibt sein Kommando am 24. September an Fregattenkapitän Stephan Lukaszyk.
Holger Schlüter