Severodvinsk, 1. November 2025 – Bei der Werft des Produktionsverbands Sevmasch ist das atomgetriebene U-Boot „Chabarowsk" (Projekt 09851) zu Wasser gelassen worden. Laut russischem Verteidigungsministerium handelt es sich um den ersten serienmäßigen Träger des autonomen Nukleartorpedos „Poseidon". Anders als die „Belgorod", die als Einzelumbau entstand, markiert die „Chabarowsk" den Beginn einer standardisierten Produktionslinie für diese neue Waffenkategorie.
Feierliche Zeremonie unter Leitung des Verteidigungsministers

An der Stapellaufzeremonie nahmen Verteidigungsminister Andrej Beloussow und der neue Oberbefehlshaber der Seekriegsflotte, Admiral Alexandr Moissejew, teil. Beloussow unterstrich die Bedeutung des Bootes für die maritime Sicherheitsarchitektur Russlands in strategisch relevanten Seegebieten. Admiral Moissejew verwies auf die Auslegung des U-Bootes für Operationen unter arktischen Extrembedingungen. Bemerkenswert: Beloussow bezeichnete die „Chabarowsk" in seiner Ansprache als „schweren atomgetriebenen Raketenkreuzer" – eine Klassifizierung, die auf die anhaltende Geheimhaltung rund um das Projekt 09851 hindeutet.
Zweiter Poseidon-Träger nach der „Belgorod"
Mit der „Chabarowsk" erhält die russische Marine nach der „Belgorod" (Projekt 09852, Indienststellung 2022) das zweite U-Boot für den Einsatz des neuartigen Waffensystems. Der Baubeginn der „Chabarowsk" datiert auf das Jahr 2014. Im Unterschied zur umgebauten „Belgorod" wurde sie von Anfang an für die Poseidon-Mission konzipiert. Die Konstruktion basiert auf einem verkürzten Rumpf strategischer U-Boote, verzichtet jedoch vollständig auf Silos für ballistische Raketen. Ein dritter Poseidon-Träger, die „Uljanowsk" (Projekt 09853), befindet sich seit 2017 ebenfalls bei Sevmasch im Bau.
Technische Eckdaten der „Chabarowsk"

Nach Schätzungen liegt die Verdrängung des Bootes bei etwa 10.000 Tonnen (aufgetaucht), die Länge zwischen 113 und 120 Metern. Die Besatzung umfasst vermutlich rund 100 Mann. Offiziell bestätigt ist eine Bewaffnung mit sechs Poseidon-Torpedodrohnen. Die Poseidon-Drohnen werden über großkalibrige Bug-Startrohre ausgestoßen, ähnlich der Architektur der „Belgorod". Zur Selbstverteidigung verfügt das Boot zusätzlich über konventionelle Torpedos. Beim Stapellauf wurde erstmals das Heck sichtbar – die veröffentlichten Aufnahmen zeigen einen Pumpjet-Antrieb. Das Vorschiff blieb vollständig abgedeckt. Eine taktische Kennnummer wie bei der „Belgorod" (K-329) wurde noch nicht kommuniziert. Nach Abschluss der Testphase wird die Indienststellung für Ende 2026 angestrebt. Die „Chabarowsk" soll anschließend der Pazifikflotte zugeteilt werden, während „Belgorod" und „Uljanowsk" für die Nordflotte vorgesehen sind.
Das Poseidon-System: Strategische Unterwasserdrohne
Das Hauptbewaffnung dieser Boote ist die „Doomsday-Drohne" Poseidon (frühere russische Bezeichnung „Status-6", NATO-Code Kanyon), deren Funktion dem russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin zufolge vor einer Woche erfolgreich getestet wurde. Bei Poseidon handelt es sich um einen etwa 20 bis 24 Meter langen, nuklear angetriebenen autonomen Unterwassergleiter mit thermonuklearem Gefechtskopf. Russische Angaben sprechen von interkontinentaler Reichweite. Die Geschwindigkeit soll bis zu 50 Knoten betragen, die Einsatztiefe bis zu 1.000 Meter reichen. Die Sprengkraft des Gefechtskopfes wird auf zwei bis zehn Megatonnen geschätzt.
Konzipiert als Zweitschlagwaffe soll Poseidon feindliche Küsteninfrastruktur angreifen. Präsident Wladimir Putin präsentierte das System am 1. März 2018 und illustrierte in einer Computeranimation ein Szenario, bei dem ganze Küstenregionen durch einen Tsunami als Folge einer von Poseidon ausgelösten thermonuklearen Unterwasserdetonation verwüstet werden.
Von der Oscar-II zur Spezialplattform: Die „Belgorod"
Zum Vergleich: Die „Belgorod" wurde ursprünglich 1992 als Oscar-II-Klasse-U-Boot auf Kiel gelegt (Projekt 949A/949B "Antey", 154 Meter, 18.000 Tonnen getaucht). Bei 75 Prozent Fertigstellung wurde das Projekt Ende der 1990er Jahre gestoppt. Der Rumpf lag jahrelang ungenutzt bei Sevmash, bis 2012 die Entscheidung zum Umbau für Spezialaufgaben fiel – daraus entstand das Projekt 09852 mit deutlich größeren Parametern.
Die „Belgorod" (185 Meter, 27.000 Tonnen getaucht) fungiert nicht nur als Waffenträger, sondern auch als Trägerplattform für das Tiefseeforschungsdirektorat (GUGI). Sie kann Mini-U-Boote wie die „Losharik" unter dem Rumpf transportieren und Unterwasser-Infrastruktur (beispielsweise Sonarnetz Harmony) ausbringen. Diese Multifunktionalität erforderte konstruktive Kompromisse. Die kleinere, bzw. normal große „Chabarowsk" hingegen wurde speziell für den Poseidon-Einsatz optimiert.
Neue maritime Abschreckungskomponente jenseits der Triade
Im Gegensatz zu klassischen strategischen U-Booten (SSBN) verfügen „Belgorod" und „Chabarowsk" (sowie künftig die „Uljanowsk") über keine ballistischen Raketen (SLBM). Sie bilden eine eigenständige nukleare Komponente außerhalb der traditionellen Triade, die bislang auf seegestützten ballistischen Raketen basierte. Mit dem Unikat „Belgorod" und den beiden Neubauten „Chabarowsk" und „Uljanowsk" entsteht eine separate Säule maritimer nuklearer Abschreckung.
Russischen Quellen zufolge plant Moskau insgesamt vier poseidonfähige U-Boote für Nord- und Pazifikflotte. Nach offiziellen Dokumenten, lokaler Berichterstattung und Erwähnungen in sozialen Netzwerken soll das U-Boot „Orenburg“ (ebenfalls Projekt 09853) bereits bestellt und mit Stand Herbst 2025 in der Werftvorbereitung (Kiellegung)(Sevmash) sein.
Russland erweitert seine strategischen Handlungsräume
Der Einsatz dieser Systeme in arktischen Gewässern erweitert der russischen Flotte taktische und strategische Optionen, zumal der Einsatz der Torpedodrohne Poseidon nicht auf das Durchbrechen der Eisdecke angewiesen ist, wie bisher der Start strategischer Atomwaffen. Dies verschärft die Bedrohungslage für Nordamerika und Europa erheblich. Angesichts der technischen Parameter von Poseidon – Reichweite, Einsatzdauer, Tauchtiefe – entsteht eine neue, schwer zu erfassende Form maritimer Abschreckung, deren politische Signalwirkung über die technische Dimension hinausgeht.
Die kommenden Monate werden zeigen, ob sich das System als einsatzfähig erweist – oder primär als geopolitisches Druckinstrument in einer sicherheitspolitisch zunehmend asymmetrischen Konstellation dient. Sicher ist: Mit „Chabarowsk“ und ihren Schwesterschiffen verfolgt Russland das Ziel, seine nuklearen Optionen unter Wasser zu diversifizieren – und die Grenzen klassischer Abschreckungslogik auf See neu zu definieren.



