Wir haben den Beitrag zur 59. Historisch-Taktischen Tagung der Marine im aktuellen MarineForum aufmerksam gelesen. Vor allem der Bezug auf den Vortrag „Querschüsse – Querdenken – Kurswechsel: Die Sylter Flotte des Jimmy Mann“ hat unser Interesse geweckt:
„Vizeadmiral Hans-Joachim Mann nahm 1991 zu Beginn seiner Verwendung als achter Inspekteur der Marine eine entscheidende Kursänderung vor, die als „Sylter Flotte“ bekannt wurde. Das fiel in eine Zeit verteidigungspolitischer Orientierungslosigkeit und man warf Admiral Mann oft vor: ‚Du bist zu schnell.‘ … Das führte zu lebhaften Diskussionen von Tagungsteilnehmern aus den ersten Reihen, die damals als Zeitzeugen an diesen Vorgängen beteiligt waren oder sie miterlebt hatten.“
Fragen wir zuerst, worauf sich das „Du bist zu schnell“ bezog: Auf die Unfähigkeit eines eingeschwungenen Apparates zum Kurswechsel oder auf fehlende intellektuelle Weitsicht von Mitstreitern? Wir spitzen die Ohren, wenn das Argument kommt, man dürfe nichts im Voraus ohne Zusagen zur Disposition stellen. Richtig ist nämlich auch: Wer sich nicht verändert, wird verändert!
Wie immer geht es um Maß und Mitte. Man muss die Zeichen der Zeit frühzeitig erkennen. Heute sind die wesentlichen Treiber der Veränderung Demographie und Technologie (künstliche Intelligenz/autonome Systeme/Cyber). Wie viele Marinesoldaten/soldatinnen fahren künftig überhaupt noch zur See?
In Summe stehen wir eher auf der Seite unbequemer Querdenker denn stromlinienförmiger Lordsiegelbewahrer. Und dieser Bundeswehr tun konstruktive Querschüsse aktuell gut.
Sehr geehrter Herr von Müller, da Sie mich direkt ansprechen, möchte ich ebenso direkt auf Ihren Kommantar eingehen. Sie schreiben:
„Verfasser solcher Entwürfe haben selten Karriere gemacht, sind aber in die Geschichte als Vordenker eingegangen.“ Die Verfasser haben vor allem keinen Erfolg gehabt, ihre großen Pläne durchzusetzen. Es wird doch niemand so naiv sein anzunehmen, dass sich in der politischen Entscheidung Ideen kraft ihrer Genialität durchsetzen. Da werden doch nicht die Pläne aller Beteiligten auf den Tisch gelegt und dann über den klügsten entschieden.
Soll doch niemand glauben, dass ein Alfred Thayer Clausewitz die Chance hätte, mit einem brillianten Vorschlag die Zukunft der Marine zu ebnen. Im Gegenteil, je vielversprechender der Plan für die Marine, desto größer Neid, Angst und vor allem Widerstand bei allen Anderen. Nie wird man alles erreichen, was man anstrebt. Nur mit stiller Diplomatie kann man die Sache voranbringen, in mühseliger Detailarbeit, durch Interessenausgleich und Abstimmung mit anderen Betroffenen.
Sie behaupten, „ob „jeder militärische Führer gut beraten“ sei, „sich seine Gedanken im Stillen zu machen“ und „im Hintergrund die Strippen zu ziehen“ mag für die Karriere des militärischen Führers hilfreich sein, nicht jedoch für die Entwicklung der seiner Armee.“ Wenn Sie meinen Text gelesen haben, werden Sie bemerkt haben, dass ich dazu gegenteiliger Ansicht bin.
Dass dem genialen Einzelkämpfer, der für seine Idee keinen Kompromiss eingeht, kein Erfolg beschieden sein wird, bestätigen Sie mit dem Eingangszitat selber. Kann es denn für einen Verantwortlichen wirklich das Ziel sein, als Vordenker in die Geschichte einzugehen mit dem Ruf: „Seht Ihr, ich hätte damals recht gehabt“? Eine Idee, die nicht durchsetzbar ist, mag brilliant sein, aber nicht hilfreich für die Entwicklung der Armee, wie Sie es nennen, und damit nicht gut.
Wir werden mit Blick auf die Sylter Flotte im Nachhinein niemals feststellen können, ob die Marine mit dem einen oder dem anderen Kurs besser gefahren wäre. Das gilt gleichermaßen für alle Folgeentscheidungen, die unter den oben beschriebenen widrigen Umständen und heftigen Einschlägen getroffen wurden.
Und hier muss ich Ihnen ein weiteres Mal widersprechen. Die Aussetzung der Wehrpflicht war ein gewaltiger Einschnitt. Auch wenn es früher möglich war, per Postkarte zu verweigern, ist das nicht mit der gegenwärtigen Situation gleichzusetzen. Damals musste sich jeder junge Mann mit dem Thema des Dienens auseinandersetzen, und ein Teil entschied sich für die Marine. Das gibt es heute nicht mehr. Mit anderen Worten, auch hier unterscheidet sich die Realität erheblich von der Betrachtung aus der Ferne,
konstatiert
der Segler
Wer auch immer sich hinter dem Namen „Segler“ verbirgt, liefert in diesem Forum einen Beitrag, der nicht nur hochinteressant ist sondern auch Rückschlüsse zulässt, sofern es sich um einen „militärischen Verantwortungsträger“ handelt. Wie dem auch sei- nicht nur die Bundeswehr trafen vor 30 Jahren die „großen Ereignisse mit solcher Wucht“; diese Wucht traf alle Armeen der westlichen Allianz, insbesondere die europäischen. Offenbar hat sich die Allianz auf diese Wucht sinnvoller eingestellt als die Bundeswehr, auch wenn diese die NVA kompensieren musste. Die Aussetzung der Wehrpflicht, ob sinnvoll oder nicht, kam zu einer Zeit, in der sich junge Leute per „Postkarte“ entscheiden konnten, sie zu befolgen oder Zivildienst zu leisten oder beides nicht. Mir sind aus dieser Zeit keine Gerichtsverfahren bekannt, die Totalverweigerer zur Verantwortung gezogen hätten. Dem Argument des „Seglers“, „große militärische Vordenker hätten [keinen] nennenswerten Einfluss auf den Lauf der Dinge“ gehabt, ist zuzustimmen; denn es gab zu der Zeit in der Bundeswehr keine „großen militärischen Vordenker“. Dass der Mut eines militärischen Verantwortungsträgers, der „mit dem großen Wurf an die Öffentlichkeit tritt“ nicht honoriert wird, ist sicher eine schmerzliche (oft persönliche) Erfahrung, eine Binse, kam aber in der Historie oft vor; nur erfuhr die „Öffentlichkeit“ erst davon, indem der „große Wurf“ publik gemacht wurde. Verfasser solcher Entwürfe haben selten Karriere gemacht, sind aber in die Geschichte als Vordenker eingegangen. Ob „jeder militärische Führer gut beraten“ sei, „sich seine Gedanken im Stillen zu machen“ und „im Hintergrund die Strippen zu ziehen“ mag für die Karriere des militärischen Führers hilfreich sein, nicht jedoch für die Entwicklung der seiner Armee. Noch eine kleine Anmerkung zum Schluss: „Quer zu denken klingt immer sexy, solange man keine Verantwortung trägt“; das ist völlig richtig. Aber noch „sexier“ ist, in Verantwortung querzudenken.
Morgan von Müller (so heiße ich wirklich)
Here’s to the crazy ones.
The misfits.
The rebels.
The troublemakers.
The round pegs in the square holes.
The ones who see things differently.
They’re not fond of rules.
And they have no respect for the status quo.
You can quote them, disagree with them, glorify or vilify them.
But the only thing you can’t do is ignore them.
Because they change things.
They push the human race forward.
And while some may see them as the crazy ones,
We see genius.
Because the people who are crazy enough to think
they can change the world,
Are the ones who do.
Apple, 1997
Wenn man sich die Veränderungsgeschichte der Bundeswehr in den letzten 30 Jahren ansieht, so kamen die großen Ereignisse mit solcher Wucht, dass sie sich gar nicht dagegen wehren konnte gestaltet zu werden. Das galt für die Wiedervereinigung, den finanziellen Einbruch 2008 (Notopfer Guttenberg) und die Aussetzung der Wehrpflicht. Da darf man sich keinen Sand in die Augen streuen und sich einreden, große militärisch Vordenker hätten nennenswerten Einfluss auf den Lauf der Dinge. Hinzu kommen die Präferenzen und Hobbies politischer Entscheidungsträger, die mit Sachargumenten nicht einzuhegen sind.
Der militärische Verantwortungsträger, der mit dem großen Wurf an die Öffentlichkeit tritt, muss immer damit rechnen, dass Teile herausgebrochen werden. Das für ihn Negative wird anschließend realisiert und er wird vorgeführt, indem man sagt, er habe das doch selber vorgeschlagen. Sein Mut wird jedenfalls nicht honoriert.
Vor diesem Hintergrund ist jeder militärische Führer gut beraten, sich seine Gedanken im Stillen zu machen, in einem kleinen Kreis vertrauter Berater. Da muss geklärt werden, wohin die Reise gehen soll, wenn mal wieder Reform angesagt ist. Dann gilt es, Verbündete zu suchen und im Hintergrund die Strippen zu ziehen.
Quer zu denken klingt immer sexy, solange man keine Verantwortung trägt. In der Realität geht es um Augenmaß, Geschick und eine gehörige Portion Geduld für den richtigen Moment, entsinnt sich
der Segler
Nur der Korrektheit halber: 1991 stand Admiral Mann nicht am Beginn seiner Inspekteursverwendung, sondern an deren Ende!
Hier ein Auszug aus Wikipedia, der sein Wirken als Konzeptionaer und Weichensteller treffend umreißt:
„Am 1. Oktober 1986 wurde Mann Inspekteur der Marine. In dieser Funktion veranlasste er 1987 eine Bestandsaufnahme der Marine, die zu dem Ergebnis führte, dass es finanziell nicht möglich sein werde, den vorhandenen und langsam veraltenden Fuhrpark eins zu eins durch neue Schiffe und Flugzeuge zu ersetzen. Die daraus abgeleiteten Überlegungen führten zum Konzept der Flotte 2005, das in die im März 1991 veröffentlichten Zielvorstellungen der Marine (ZVM) einfloss und erhebliche Reduzierungen vorsah. Die Rahmenbedingungen hatten sich mit der 1990 vollzogenen deutschen Einheit verändert. Denn mit der Aufnahme der ehemaligen NVA verband sich die Forderung, die künftige Bundeswehr deutlich zu verkleinern. Mann gestaltete den Prozess der Übernahme der Volksmarine u. a. durch intensive persönliche Kontakte mit deren Führung und Offizieren. Er legte in diesem Zusammenhang großen Wert darauf, dem Personal der NVA bei allen Härten des Übergangs nicht mit der Attitüde des Siegers, sondern mit der Haltung des Partners zu begegnen. Nach Abschluss der Arbeit an den ZVM trat Mann am 30. September 1991 in den Ruhestand.“
Im Übrigen teile ich die Auffassung des Beitragenden, insbesondere hinsichtlich „wer sich nicht verändert wird verändert“