Im Sommer 2025 verlegte die russische Marine gezielt Überwassereinheiten und ein konventionelles U-Boot zwischen Ostsee, Nordatlantik und Mittelmeer. Die Einsätze waren sichtbar und operativ eng miteinander verzahnt. Was sich als Reaktion auf NATO-Aktivitäten bewerten lässt, ist zugleich Ausdruck strategischer Anpassung und politischer Signale auf See.
Fregattenrotation: „Admiral Grigorovich“ in der Ostsee
Die Fregatte „Admiral Grigorovich“ (Typschiff, 125 Meter, 4.000 Tonnen) kehrte Ende Juni nach fast zwei Jahren Mittelmeereinsatz über Nordsee und Skagerrak in die Ostsee zurück. Sie ist nun in Kronstadt/Sankt Petersburg stationiert und verstärkt die Baltische Flotte. Einerseits verwehrt ihr die weiterhin geltende Sperrung des Bosporus eine Rückkehr zu ihrer Heimatflotte im Schwarzen Meer, andererseits macht die Verfügbarkeit einer modernen Plattform in der Nähe der Großstadt durchaus Sinn, wie ihr Einsatz gegen einen vermutlich ukrainischen Drohnen-Angriff auf den Marinestützpunkt Kronstadt am 27. Juli zeigt: Die Ostsee ist für Russland kein rückwärtiges Operationsgebiet mehr.
Landungsschiff „Alexander Shabalin“ im Skagerrak
Zwischen Juni und Juli operierte das Landungsschiff „Alexander Shabalin“ (Ropucha-Klasse, 112 Meter, 4.400 Tonnen) im Skagerrak. Das Schiff war mit auffallend vielen Scheinwerfern vermutlich für die Drohnen-Abwehr ausgerüstet. Die Präsenz zwischen Ost- und Nordsee und in den engen Seewegen zwischen NATO-Anrainern, kombiniert mit simulierten Gefechtsübungen gegen Minen und unbemannte Systeme, unterstreicht die Anpassung russischer Seeoperationen an asymmetrische Bedrohungen.
Zerstörer für Kaliningrad: „Vizeadmiral Kulakov“ begleitet Ostseeübungen
Die Nordflotteneinheit „Vizeadmiral Kulakov“ (Udaloy I-Klasse, 164 Meter, 7.600 Tonnen) operierte über mehrere Wochen in der Ostsee – anfangs flankiert von der Fregatte „Admiral Kasatonov“ (siehe unten). Der Zerstörer nahm an U-Jagd-Manövern teil und zeigte ungewöhnlich aktive Präsenz zwischen Baltiysk, Gotland und dem Finnischem Meerbusen. Aufsehen erregte das aggressive Tracking der deutschen Fregatte „Bayern“ während deren Anreise zu US-BALTOPS. Vermutungen bezüglich einer längerfristigen Stationierung der „Vizeadmiral Kulakov“ als (Interims-) Flaggschiff der Baltischen Flotte erscheinen nicht unbegründet, da der amtierende Sovremenny-Klasse Zerstörer "Nastoychivy" (156 Meter, 8.000 Tonnen) geraume Zeit nicht mehr in Fahrt gesehen wurde.
Transit ins Mittelmeer: „Novorossiysk“ mit Geleitschutz
Am 21. Juni verließ das U-Boot „Novorossiysk“ der Kilo II-Klasse (74 Meter, 3.000 Tonnen) mit Unterstützung durch den Hochseeschlepper „Yakov Grebelsky“ die Ostsee, bis zum Großen Belt zusätzlich begleitet von der Fregatte „Admiral Kasatonov“. Der ungleiche Konvoi bestätigt jedoch Russlands Fähigkeit, auch konventionelle U-Boote über große Distanzen einsatzbereit zu verlegen – trotz logistischer Lücken im Mittelmeer, wo sich der Ausfall der Basis Tartus in Syrien deutlich bemerkbar macht. Ende Juli operierte die „Novorossiysk“ dann westlich von Alexandria – Ägypten diente offenbar als logistischer Zwischenstopp. Ohne festen Stützpunkt in Syrien können Reichweite und technische Durchhaltefähigkeit jedoch nur durch Begleitfahrzeuge wie die „Yakov Grebelsky“ sichergestellt werden. Der Einsatz in unmittelbarer Nähe zu NATO-Stützpunkten auf Kreta und Zypern unterstreicht Moskaus Anspruch, auch im Mittelmeerraum maritime Präsenz und militärische Wirkung zu zeigen – und dass ihre Reichweite intakt geblieben ist. Auch die auffällige Sichtbarkeit des Transits durch Nordsee, Ärmelkanal und Atlantik war vermutlich politisch gewollt: "Wir können es noch!"
„Admiral Kasatonov“ nach Ostsee-Intermezzo zurück zur Nordflotte
Die modernste Mehrzweckfregatte der russischen Marine (Admiral Gorshkov-Klasse, 135 Meter, 5.400 Tonnen, seit 2020) befand sich nur für wenige Wochen in der Ostsee und verließ das Seegebiet ebenfalls am 21. Juni. Ihr Besuch fiel mit der NATO-Großübung US-BALTOPS zusammen und diente offensichtlich den Zwecken der Präsenz und der Informationsgewinnung. Die Rückverlegung noch vor dem 27. Juli – ursprünglich war die „Admiral Kasatonov“ für die Flottenparade zum Marinegeburtstag vorgesehen – verweist auf eine neue Risikobewertung: Die Ostsee gilt für Moskau zunehmend als bedrohter Raum, in dem sich Hochwertziele nicht unnötig lange aufhalten, wenn sie anderenorts nützlicher sein können.
Die Verlegung der "Admiral Kasatonov" in die Ostsee – zeitgleich mit dem Zerstörer "Vizeadmiral Kulakov" – diente wohl vorrangig der Unterstützung der Baltischen Flotte bei Übungen und demonstrativem Auftreten. Danach war das zur Nordflotte gehörende Schiff wieder frei für strategische Aufgaben im Nordmeer, wo es als Träger der Zirkon-Hyperschallraketen besondere Bedeutung genießt. Offiziell gilt, die Zirkon könne Ziele über 1.000 km Entfernung mit vielfacher Schallgeschwindigkeit erreichen und dabei durch ihre Lenkfähigkeit moderne Luftabwehr überwinden – eine gerne wiederholte Botschaft an die NATO-Staaten. Mit der Rückkehr der "Admiral Kasatonov" steht diese Fähigkeit wieder im primären Verantwortungsbereich der Nordflotte zur Verfügung, wo das Gros der Russischen Flotte stationiert ist, Russlands sensibelste Marineanlagen (‚die Bastion‘) zu finden sind, und wo die strategische Nordostpassage ihren Anfang hat.
Fazit: Sichtbare Präsenz trotz struktureller Grenzen
Die beobachteten Bewegungen der russischen Einheiten haben erhebliche Ressourcen gebunden und erforderten sorgfältige Planung. Moskau verdeutlicht damit den Anspruch einer weltweit über Ostsee und Mittelmeer hinaus agierenden Marine – wie auch die aktuellen chinesisch-russischen Manöver im Westpazifik belegen. Mit dem Verlegen von Fregatten, Landungsschiffen und U-Booten unterstreicht Russland seine Handlungsfähigkeit, reagiert auf neue Bedrohungen (Drohnen) und begegnet der verstärkten Präsenz der NATO in See.
H. U. Mergener, Michael Nitz, ajs