FLASH – feindlicher Luftkontakt in Peilung 090 Abstand 50 nm, ertönt es an einem Montagmorgen um 10:15 Uhr aus einer Kabine der Marineoperationsschule Bremerhaven. Während an Bord spätestens jetzt die Besatzung ihre Gefechtsstationen eingenommen hätte, arbeiten die Lehrgangsteilnehmer von OPZ 6 die Bedrohung unter den wachen Augen ihrer Ausbilder koordiniert ab. Der Angriff durch den feindlichen Flugkörper wird erfolgreich abgewehrt, ein Erfolgserlebnis für die Schüler auf Ihrem Weg zum angehenden Operateur. Sie beüben die Einsatzgrundsätze und -Verfahren der Gefechtsführung auf See – simuliert in einer sicheren Übungsumgebung mittels einer rechnergestützten Trainingsanlage. Die Ausbildung für den Krieg von morgen findet heute digital statt, dem war nicht immer so. Die Marineoperationsschule blickt auf 50 Jahre Verfahrensausbildung zurück:

Am 26.09.1974 übernahm die Marine eine neue Traineranlage der US-amerikanischen Firma SINGER und modernisierte damit grundlegend die bis dato durchgeführte Verfahrensausbildung - bis heute. Mit dem Einzug der hochmodernen, rechnergestützten Simulationsanlage endete die Ära der Plotttische und ermöglichte eine realitätsnahe Ausbildung aller Verfahren im See- und Seeluftkrieg, auch unter dreidimensionalen Bedrohungsszenarien.
Peilen-Melden-Plotten, kurz PMP, war wesentliches Kernelement der Verfahrensausbildung in den ersten Jahren der neu gegründeten Bundesmarine. Auf dem heute bekannten Areal in Bremerhaven richtete man mit Aufstellung der Bundeswehr 1956 die Marineortungsschule ein, um Soldaten für eine Verwendung an Bord im Marineführungsdienst auszubilden.

im Jahr 1974, Foto: Bw
Zunächst erfolgte die Ausbildung auf einem „Superplotttisch“ der durch die Amerikaner nach ihrer Besatzungszeit, sowie Nutzung des Geländes durch die US-Navy, an die Bundesmarine übergeben wurde und sechs Ziele darstellen konnte. Ab 1966 wurde auf der Seeplottanlage ausgebildet, die aus mehreren Plotttischen, Sichtgeräten und einer Fernmelde-Simulationsanlage bestand. Somit ließ sich eine deutlich realitätsnähere Ausbildungsumgebung mittels einer frühen Art von Radarsimulation erzeugen, wie sie die künftigen Operateure später auch an Bord der Schiffe und Boote vorfinden würden. Die Anlage wurde über die Jahre kontinuierlich verbessert; heute würde man es als Update bezeichnen. So erhielt man u.a. eine Rediphone-Anlage, mit der die Darstellungen der See- und Luftlage nochmals erweitert wurde. Bis zu ihrer Stilllegung am 01.06.1974 lief die Anlage ca. 11.000 Betriebsstunden - rechnerisch sind dies rund 4 Jahre - im Dauerbetrieb. Die hohe Anzahl an Betriebsstunden verdeutlichte vor allem: den steigenden Bedarf an Praxisstunden und den damit verbundenen Mehrwert für die Ausbildung aller Dienstgradgruppen.
Mit der „Dampf-OPZ“ wurde das Rüstzeug für Unteroffiziere, Portepeeunteroffiziere sowie Marineoffiziere – im A- als auch im B-Lehrgang vermittelt. Damit wurden nicht nur die Grundsteine für eine Verwendung im Führungsdienst gelegt, sondern vielmehr angehende Schiffsoperationsoffiziere und zukünftige Kommandanten geschult.
Letztendlich war die Anlage trotz des Engagements und hervorragender Wartung durch das technische Personal am Ende seines Lebenszyklus angelangt. Die technischen Möglichkeiten hatten sich zusätzlich enorm weiterentwickelt und so entschied man sich 1972 für eine Modernisierung der Ausbildungsanlage. Der neue Verfahrenstrainer sollte eine Beübung aller Verfahren für See- und See-Luftstreitkräfte im dreidimensionalen Seekrieg ermöglichen.
Im Vergleich zu heutigen Modernisierungsvorhaben war der Zeitplan einfach gestrickt. Mit der Entscheidung für eine Traineranlage der Firma SINGER galt es zunächst das Platzproblem zu lösen. Eine rechnergestützte Simulationsanlage mit Kabinen und Auditorium überstieg die bisher genutzte Raumkapazität im „Grauen Esel“. Heimat des neuen Verfahrenstrainern sollte das als Kfz-Halle genutzte Gebäude 58 werden. Die Umbauphase dauerte nur 2 Jahre, so dass nach Fertigstellung im März 1974 verzugslos mit der Einrüstung der Geräte begonnen werden konnte. Keine 6 Monate später, im September 1974, erfolgte mittels umfangreicher Tests die finale Abnahme der Anlage. Am 26.09.1974 erfolgte unter Teilnahme hochrangiger Marinevertreter und Beamter die feierliche Übergabe an die Marine, so dass der Ausbildungsbetrieb wenige Tage später, wie geplant im Oktober 1974 aufgenommen werden konnte.
Mit einer Festplattenkapazität von 2 MB und einem 96 K Arbeitsspeicher war die voll-digitale Traineranlage ein Wunderwerk der damaligen Technik. Das Auditorium war mit einem Großbildprojektor ausgestattet, der mit einer 2000 Watt starken Xenon Lampe betrieben wurde. Neben dem immensen Stromverbrauch musste die Lampe alle 100 Betriebsstunden mittels eines aufwendigen Kathodenwechselverfahrens getauscht werden, so dass das Auditorium regelmäßig für einen Tag nicht zur Verfügung stand. Ein zusätzlicher Faktor, der den ohnehin schon umfangreichen Koordinationsumfang einer Nutzungsplanung des Trainers erschwerte. Für die langfristige und reibungslose Ausplanung aller Lehrgänge, mit ihren unterschiedlichen Niveaus und Lehrzielen war ein Höchstmaß an Synchronisation und enger fachlicher Absprachen aller Beteiligten notwendig. Ein Umstand, der bis zum heutigen Tage nicht an Gültigkeit verloren hat.

Eine weitere Tatsache, die sich in den all den Jahren nicht verändert hat, ist der hohe Personalansatz, der für den technischen Klarstand und Betrieb der Ausbildungsanlage notwendig ist. Von 39 Personen in 1974 wuchs der Personalkörper über die Jahre kontinuierlich - gemessen am technischen Umfang und den Ausbildungsbedarfen - auf über 70 Personen an - Soldaten und zivile Mitarbeiter.
Dies resultiert auch aus der Zusammenführung mit der Seetaktischen Lehrgruppe aus Wilhelmshaven, spezialisiert auf die synthetisch, taktische Aus- und Weiterbildung der Marine, mit der Marineortungsschule Bremerhaven in den 90er Jahren. Es entstand die heute bekannte Marineoperationsschule in Bremerhaven, die zusätzlich noch die Anteile der Waffen- sowie Fernmeldeschule aufnahm. Aus der Seetaktischen Lehrgruppe formte sich das Ausbildungszentrum Taktik und Verfahren, später das Taktikzentrum Marine seit Oktober 2022 Zentrum Seetaktik Marine, kurz ZSM, dass zusätzlich die Taktikausbildung und Taktikentwicklung unter einem Dach vereint. Insgesamt umfasst das ZSM 115 Dienstposten. Seit 1997 betreibt man hier neben der Verfahrensausbildung auch die, für die Flotte notwendige, synthetische Ausbildung an einem gemeinsamen Standort mit zwei Traineranlagen.

So üben OPZ-Besatzungen regelmäßig innerhalb ihres Einsatz- und Ausbildungsprogrammes, kurz EAP, in individuell abgestimmten Einzel- und Teamtrainings oder gar im Verbund mit anderen Besatzungen zusammen, während eines sogenannten Monthly War an der Alma Mater der Operateure in Bremerhaven. Nur hier kann die Aufgabe eines Commander Task Group (CTG)mit seinem Stab in Echtzeit beübt werden.
Die technischen Entwicklungen der letzten 50 Jahre wirkten sich auch auf die Traineranlage aus. So erhielt die Anlage zahlreiche Modernisierungen, die auch zu einem Ersatz der SINGER Anlage führte. Die aktuellste Trainerregeneration wurde 2015 per Vertrag mit der Firma THALES beschlossen und bis 2024 abgeschlossen.
Die Zukunft der Ausbildung steht ganz im Zeichen der Vernetzung innerhalb der Marine. Mit dem Projekt „Verteilte Trainingsarchitektur Marine“, kurz VTAM, sollen ausgewählte Marinestandorte mittels Hard- und Software-Anteilen untereinander angebunden werden. Der genutzte Netzwerkstandard wird einen Austausch von taktischen Datenlinks, Nutzung gemeinsamer Web-Services, Kommunikation und gemeinsame Teilnahme an Simulationen ermöglichen. Wenn man den technischen Stand der Anlage heute mit einem durchaus mittelklassigem PC-Spiel vergleichen würde, stellt diese Vernetzung die Online-Version des Spiels dar. Es ermöglicht u.a. auch seegehenden Einheiten, an der Pier sowie später von See aus, sich mit ihrer OPZ an die Simulation anzubinden. Ein gemeinsames Üben eines einzelnen Szenarios auf höchstem Niveau.

Bis heute lebt die Ausbildung damit von kompetentem und erfahrenem Personal an den Ausbildungseinrichtungen der Marine. Ausbilder, die sich aus den Besatzungen der Einheiten generieren müssen, die in Zeiten von Personalmangel an Bord fehlen, aber die notwendige Qualität der Ausbildung zukünftiger, sowie bestehender Besatzungsmitglieder sicherstellen.
Sowohl die Marineoperationsschule als auch das Zentrum Seetaktik Marine genießen international einen guten Ruf. Nicht zuletzt führt die enge Kooperation mit verbündeten Marinen zu einem regen Austausch der Schulen einschließlich gemeinsamer Lehrgänge und praktischer Ausbildungsabschnitte.
Ulrike Boelke-Dörr



