Der scheidende Kommandeur des 1. Korvettengeschwaders, Fregattenkapitän Kenneth Harms, Fotos: Daniel Angres

Der scheidende Kommandeur des 1. Korvettengeschwaders, Fregattenkapitän Kenneth Harms, Fotos: Daniel Angres

„Wir werden zur festen Bindung von Plattform und Besatzung zurückkehren“

Im September 2021 übernahm Fregattenkapitän Kenneth Harms das Kommando über das 1. Korvettengeschwader in Warnemünde. Nun wendet er sich neuen Aufgaben zu. Im Interview mit dem marineforum zieht Harms ein Fazit seiner Zeit in Warnemünde.

Ihr Geschwader entwickelt sich, woran werden Sie sich gern erinnern und was bereitet Ihnen Sorgen?

In erster Linie denke ich an das zurück, was den Kern der Verantwortung eines Geschwaderkommandeurs ausmacht. Ich durfte mit meinen Besatzungen in See stehen, Ausbildungsabschnitte begleiten und taktisch führen. Bis hin zur letzten Konsequenz alle Anstrengungen verfolgen, damit die Drohne Sea Falcon aufklärt und der Flugkörper RBS 15 ins avisierte Ziel kommt. Wir sind in den letzten zwei Jahren im Hinblick auf die Einsatzbereitschaft des Verbands und die Herstellung der vollen Einsatzreife ein gutes Stück vorangekommen. Die Ausbildungszeit in See ist mittlerweile ein rares Gut. Fremdbestimmung aufgrund überbordender Bürokratie ist ein bestimmendes Merkmal. Und ab und an sind Vorhaben wegen fehlender Ersatzteile in letzter Minute gescheitert, oder weil wir nicht alle Besatzungen personell so ausstatten konnten, um als Geschwader gemeinsam zur See zu fahren.

Im Rückblick beeindruckt mich nachhaltig der Teamgeist und das Improvisationstalent der Macher im Geschwader, um die gesteckten Ziele erreichen zu können.

Waren Sie betrübt oder hat es Sie gefreut, als Ende letzten Jahres die vorerst letzte Korvette aus dem Unifil-Einsatz zurückgekehrt ist?
Im Dezember 2022 kehrte nach Jahren der Intensivnutzung die vorerst letzte Korvette aus dem Unifil-Einsatz zurück. Die „Pause“ hat uns sehr deutlich vor Augen geführt, dass wir für unsere Besatzungen und den materiellen Klarstand ein sehr hohes Preisschild haben. Steter Besatzungstausch auf den Plattformen fällt uns im Hinblick auf den technischen Klarstand tagtäglich vor die Füße. Die dauerhafte Nutzung des Waffensystems vor der Küste des Libanons zeigt auch auf, wofür die Korvette 130 nicht konzipiert wurde – ohne die sicherheits- und militärpolitische Relevanz in Abrede stellen zu wollen. Fort- und Weiterbildung blieben durch den Patrouillendienst in der Levante auf der Strecke und dämpften die Moral der Truppen zunehmend. Die Bemühungen der Marineführung, der Ressortleitung eine Einsatzpause abzuringen, verlief nicht ohne vehemente Überzeugungsarbeit. Für diese Verschnaufpause bin ich im Namen meiner Truppen dem Inspekteur sehr dankbar.

Kenneth Harms (M.), dahinterder Befehlshaber der Flotte,Vizeadmiral Frank Lenski

Kenneth Harms (M.), dahinter
der Befehlshaber der Flotte,Vizeadmiral Frank Lenski

Nicht jeder Kommandeur kann in seiner Wirkungszeit neue Einheiten in Dienst stellen. Erfreulich, aber was gibt es noch für Veränderungen?
Die Indienststellung der Korvette KÖLN hätte ich sehr gerne innerhalb meiner Kommandeurszeit erlebt. Selbst wenn es wie bittere Ironie klingt, wünsche ich meinem Nachfolger sehr, dass es in seiner Zeit an der Spitze des Geschwaders zu den Indienststellungen kommt. In diesen Zusammenhang kann ich mit ruhigem Gewissen sagen, dass wir von Seiten des Geschwaders unsere Hausaufgaben gemacht haben. Die Besatzung Foxtrott steht bereit und würde lieber heute als morgen loslegen. Ich habe volles Verständnis dafür, dass wir als öffentlicher Auftraggeber nicht immer Kompromisse eingehen müssen, die zu Lasten der Einsatzfähigkeit gehen. Die Industrie ist aber noch lange nicht so weit, wie sie es uns versprochen hat. Die vom Geschwader und dem Projektteam des Bundesamts für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr favorisierte Idee einer „kleinen Lösung“ kann hoffentlich im vierten Quartal 2023 umgesetzt werden. Dies würde bedeuten, dass den Besatzungen die Boote KÖLN und eventuell auch EMDEN zumindest für den Rollendienst zur Verfügung stehen, bis die Industrie den Prototypen des Einsatzsystems implementiert hat. Wir hätten dann zumindest Ausbildungsplattformen – allerdings mit Einschränkungen.

Wie hat Sie der Krieg in der Ukraine berührt und wie gehen Ihre Besatzungen damit um? Hat es Auswirkungen im Dienstbetrieb, im Mindset, gar in taktischer Hinsicht?
Unmittelbar nach dem russischen Einfall in die Ukraine sah sich mein Geschwader, allen voran die Korvette ERFURT, an der Spitze der NATO. Bei der Übung Cold Response in Nordnorwegen und später in der östlichen Ostsee. Ich bin überaus stolz darauf, dass das Mindset in den Köpfen meiner unterstellten Frauen und Männer ohne Reibungsverlust funktioniert hat. Die Besatzung hat geliefert. Das macht mich stolz und unterstreicht die Kaltstartfähigkeit. In diesem Kontext müssen wir aber stärker an die Einheit von Plattform und Besatzung denken. Besatzungen müssen ihr Boot kennen. Das Wechselbesatzungsmodel kostet Kampfkraft. Zukünftig werden wir zur festen Bindung von Plattform und Besatzung zurückkehren. Darüber hinaus wird künftig mehr Zeit für die Erlangung der Einsatzbereitschaft eingeplant. Die vom Inspekteur der Marine angewiesene Einsatzbereitschaftsstufe Bravo wird wieder Pflicht, auch wenn dies dazu führt, später in den Einsatz zu verlegen.

Bald wird das 1. Korvettengeschwader zehn Einheiten haben – wann glauben Sie, werden wir volle Einsatzreife haben? Wird das logistisch und personell machbar sein?Bis es so weit ist, wird der Verband hinsichtlich der Verfügbarkeit einsatzklarer Korvetten eine kurze Durststrecke durchlaufen. Das erste Los durchläuft eine Hardware-Regeneration, die Einheiten des zweiten Loses kommen durchschnittlich zwei Jahre später, mithin nicht vor 2024. Der Verband wächst von ehemals 500 auf über 1000 Soldatinnen und Soldaten. Das Waffensystem Korvette bietet den Vorzug einer kleinen Kampfgemeinschaft, die eng zusammensteht. Zudem ist der Standort Warnemünde ist attraktiv, ein wachsender Verband bietet die Aussicht auf eine regionalisierte Verwendungsplanung. Es spricht sich herum, dass wir jetzt wieder anspruchsvollere Dinge unternehmen als zwischen zwei Plattformwechseln für vier Monate nach Zypern zu fahren. Das alles ist attraktiv, auch und insbesondere für unser Bestandspersonal, welches wir bei alldem nicht vergessen dürfen. Das Problem ist auch, dass immer weniger Personal seefahrtstauglich und willens ist, zur See zu fahren. Und dass wir in der Truppe immer weniger Instrumente an der Hand haben, diesen Trend umzukehren.

Bald wird das1. Korvettengeschwader zehn Einheiten umfassen

Bald wird das 1. Korvettengeschwader zehn Einheiten umfassen

Wie entwickelt sich die Zusammenarbeit mit den Ostseeanrainern Schweden und Finnland?
Ausgesprochen gut. Die Kooperation mit unserem Partnerverband, dem schwedischen 31. Korvettengeschwader, ist eng und vertrauensvoll. Wir haben bei unseren Kooperationen den Schwerpunkt auf die Etablierung gemeinsamer operativer Standards gelegt. Das wird sich nun auszahlen, wenn wir auch im Rahmen der NATO zusammenarbeiten. Finnland verfolgt ein Korvettenbauprogramm, und es ist in unserem ureigensten Interesse, auch in enger Kooperation mit den Finnen gemeinsam Raumverantwortung in der Ostsee zu übernehmen.

Was werden Sie Ihrem Nachfolger hinterlassen?
Ich gehöre zur aussterbenden Art der Schnellbootfahrer und bin sehr dankbar, dass ich als solcher diesen Korvettenverband führen durfte. Auch mein Nachfolger hat gelernt, ein Boot bei hoher Fahrt mit 500 Yards Abstand zum Flügelmann zu fahren. Deshalb werde ich ihm einen Knochen hinterlassen. Dieser steht nicht nur für sichere Navigation, er sollte ihn auch dazu anhalten, so oft es geht das Büro zu verlassen und mit seinen Besatzungen in See zu sein. Ich wünsche meinem Nachfolger eine ebenso erfüllte Verwendung als Kommandeur, wie ich sie erleben durfte.

Fregattenkapitän Kenneth Harms übergibt am 5. Oktober das Kommando über das 1.Korvettengeschwader an Fregattenkapitän Marc Tippner.

Daniel Angres

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