Der nordkoreanische Machthaber Kim Jong-un stellt seine Streitkräfte immer strategischer auf. Nordkoreas Marine rüstet sich dabei für einen asymmetrischen Krieg.
Ende des 16. Jahrhundert setzte Korea unter Admiral Yi Sun-Sin wendige, stark bewaffnete und zudem durch ein aufgesetztes Bronze-Schild „gepanzerte“ Schiffe ein, um verschiedene Offensiven der weitaus größeren japanischen Flotte erfolgreich abzuwehren. Aufgrund ihrer Widerstandsfähigkeit bezeichnete man diese Einheiten als „Schildkrötenschiffe“. Im 21. Jahrhundert setzt nun Nordkorea ebenfalls auf eine asymmetrische Flotte, um die Überlegenheit der wesentlich stärkeren Flotten Südkoreas, Japans und der USA auszugleichen.
Pjöngjang wahrt hinsichtlich seiner Streitkräfte eine wesentlich größere Geheimhaltungsdisziplin als Russland oder China. Westliche Erkenntnisse beruhen daher weitgehend auf nachrichtendienstlicher Auswertung, auf kommerziellen Satellitenbildern und auf Schätzungen. Da die Landstreitkräfte das Rückgrat der Streitkräfte bilden, besteht der ursprüngliche Auftrag der nordkoreanischen Marine darin, diese zu unterstützen. Entsprechend wenig prominent ist ihr Auftreten im Streitkräftegefüge. International gemäß der englischen Bezeichnung Korean People’s Navy kurz als KPN bezeichnet, sind die Flotteneinheiten der Marine der Demokratischen Volksrepublik Korea folglich primär für Einsätze im koreanischen Küstenmeer und in den küstennahen Gewässern konzipiert. Im Verlauf der letzten 20 Jahre wurde dieser Auftrag langsam, aber stetig um den Begriff der regionalen Machtprojektion erweitert. Aus praktischen Gründen wird Nordkorea wohl kaum eine Hochseeflotte entwickeln, aber die U-Boot-Komponente wird systematisch durch Einheiten ergänzt, die vor allem neue Optionen zur Bekämpfung – und damit auch zur Abschreckung – der US-Streitkräfte bieten sollen.
Flottenstruktur
Dem Marinehauptquartier in Pjöngjang unterstehen zwei Flottenkommandos, 16 Geschwader, zwei Spezialkräftebrigaden sowie Küstenschutzeinheiten. Die beiden Flottenkommandos sind jeweils auf Einsätze im Gelben Meer (Westflotte) beziehungsweise im Japanischen Meer (Ostflotte) ausgerichtet. Sowohl die begrenzte Reichweite der meisten Einheiten als auch die Tatsache, dass nordkoreanische Schiffe die von Südkorea und Japan kontrollierte Straße von Tsushima passieren müssten, verhindern den regelmäßigen Austausch von Einheiten zwischen den beiden Flotten. Aus dem gleichen Grund ist auch eine gegenseitige taktische Unterstützung im Kriegsfall so gut wie ausgeschlossen. Der Flottenbestand zählt schätzungsweise 800 bis 1000 zumeist kleine Einheiten aus sowjetisch-russischer, chinesischer und einheimischer Produktion, die größtenteils als veraltet gelten. Derzeit wird jedoch gezielt in Schnellboote und U-Boote investiert, die einen asymmetrischen Kampfwert gegen moderne und gut gerüstete Gegner bieten sollen. Der Umfang der KPN beträgt rund 60 000 Soldaten, darunter eine große Zahl an Wehrpflichtigen, die bei der Flotte dann fünf bis zehn Jahre dienen müssen.
Die größten Einheiten der Flotte sind die beiden in den 1970er-Jahren gebauten Fregatten der NAJIN-Klasse (102 m, 1500 t, ähnlich der sowjetischen KOLA-Klasse), die vor zehn Jahren durch das Einrüsten von 2x2 KN-09-Seezielflugkörpern (russische Kh-35 Uran) modernisiert wurden.
Hinzu kommen zwei vor rund zehn Jahren eingeführte leichte Fregatten der TUMAN-Klasse (76 m, 1300 t). Sie sind mit Seezielflugkörpern des Typs Kh-35, U-Jagd-Raketen und Torpedos ausgestattet. Aufklärungsfotos zeigen diese leichten Fregatten sowohl mit als auch ohne Hubschrauberdeck.
Den Kern der Flotte bilden unzählige hochbetagte Kanonenboote und Schnellboote unter 200 Tonnen Verdrängung. Je nach Bootsklasse besteht deren Bewaffnung aus schweren Maschinengewehren, leichten bis mittleren Geschützen, Mehrfachraketenwerfern und an Oberdeck montierten Torpedorohren. Ihre Einsatzschwerpunkte sind Schwarmangriffe auf gegnerische Kriegsschiffe, die Feuerunterstützung für Bodentruppen im Küstenbereich und der Beschuss gegnerischer Küsteneinrichtungen.
Zu den neueren Kleinkampfeinheiten zählen die 200 Tonnen schweren, 35 bis 40 Meter langen SES-Katamaranschnellboote der NONGO-Klasse. Sie wurden in zwei Ausführungen gebaut, darunter eine Variante mit reduzierter Radarsignatur durch angewinkelte Rumpfaufbauten. Je nach Variante tragen die bis zu 48 Knoten schnellen Boote vier oder acht Kh-35-Seezielflugkörper sowie Artilleriegeschütze mit einem Kaliber von 30 und 14,5 Millimetern. Die NONGO-Klasse wurde rund um die Jahrtausendwende eingeführt und Mitte des vergangenen Jahrzehnts bereits nachgerüstet; es befinden sich vermutlich nur sechs Einheiten im Dienst.
Schließlich verfügt die KPN über eine begrenzte Anzahl sehr schneller Kleinkampfboote. Die fünf Ausführungen haben Längen zwischen 10 und 34 Metern. Die kleineren Boote sollen Spezialkommandos unerkannt an der südkoreanischen Küste absetzen, die größeren Boote sind mit Torpedos zur U-Jagd oder mit Raketenwerfern (3x24) zur Seezielbekämpfung ausgestattet. Die Bordbewaffnung gilt als ungenau, doch stellen die 50 Knoten schnellen und äußerst wendigen Boote auch für überlegene Kriegsschiffe eine Herausforderung dar.
Amphibische Kräfte und U-Boote
Die Spezialkräfte der Marine sind in zwei sogenannten Scharfschützen-Brigaden zu je 3500 Soldaten aufgestellt; je eine Brigade ist an der West- und Ostküste des Landes stationiert. Ihre Auftragspalette umfasst Aufklärung, verdeckte Infiltration und Sabotage. Im Kriegsfall sollen sie sowohl in Südkorea wie auch in Japan Angriffe gegen militärische Schlüsselstellungen durchführen. Als amphibische Kräfte sollen sie die im Gelben Meer gelegenen südkoreanischen Inseln besetzen, von wo aus sie den seewärtigen Zugang zum Hafen Inchon sowie zur Hauptstadt Seoul blockieren könnten.
Der Transport dieser Kräfte hinter die feindlichen Linien nach Südkorea erfolgt durch rund 100 schnelle Landungsboote der NAMPO-Klasse (26 m, 76 t) sowie rund 130 Luftkissenfahrzeuge der KONGBANG-Klasse (ca. 20 m). Nach Angaben der US Army soll die 1987 eingeführte KONGBANG-Klasse gut 50 bewaffnete Soldaten über eine Distanz von rund 170 Meilen verlegen können. Die Landungsfahrzeuge sind in vier Geschwadern organisiert, die zu gleichen Teilen an beiden Küsten stationiert sind.
Unterseeboote bilden das dritte operative Standbein der Flotte. Schätzungen zufolge unterhält die KPN rund 70 bis 80 konventionell bewaffnete Unterseeboote, darunter 20 Einheiten der ROMEO-Klasse und 40 Einheiten der im Inland entwickelten SANG-O-Klasse. Hinzu kommen jeweils rund zehn Kleinst-U-Boote der YUGO- und der späteren YONO-Klassen aus den 60er- und 90er- Jahren. Rein rechnerisch zählt Pjöngjangs U-Boot-Flotte somit als drittgrößte der Welt. Allerdings gelten die meisten Einheiten als veraltet, langsam, und vergleichsweise laut. Dennoch dürfte bereits die schiere Anzahl der verfügbaren Einheiten eine Belastung für die ASW-Kräfte Südkoreas, Japans und der USA darstellen.
Die 77 Meter langen Einheiten der ROMEO-Klasse stellen die einzigen hochseefähigen Jagd-U-Boote dar. Einige wurden ab 1973 aus China eingeführt, andere unter Lizenz in Nordkorea gebaut. Aufgrund veralteter Sensoren und geringer Geräuschdämmung gelten sie als leichte Beute für westliche Angriffs-U-Boote und ASW-Kräfte.
Die 1991 eingeführten, 36 Meter langen SANG-O-Boote sind für den Einsatz in Küstennähe optimiert. Die mit Torpedos und Minen bewaffneten Einheiten dienen vor allem dem Schutz eigener Gewässer und Häfen. Ein Teil soll allerdings auf den Transport von Kampfschwimmern ausgerichtet sein. Eine als SANG-O-II bezeichnete, etwa 40 Meter lange Variante mit verbesserter Nutzlastkapazität und Reichweite soll 2011 eingeführt worden sein. Im Kriegsfall könnten sie gemeinsam mit der ROMEO-Klasse Stellungen vor den südkoreanischen Häfen sowie am nördlichen Ende der Tsushima-Straße beziehen, um ein- und ausfahrende Kriegsschiffe anzugreifen oder Minen zu legen.
Die 20-30 Meter langen YUGO- und YONO-Klassen haben eine Verdrängung von 110 bis 130 Tonnen. Aufgrund ihrer Größe sind sie in Küstengewässern schwer zu orten, wodurch sie – mit ihrer aus zwei Torpedos oder Seeminen bestehenden Bewaffnung – durchaus auch für größere Kriegsschiffe eine Gefahr darstellen. Im Jahr 2010 soll ein Boot der YONO-Klasse eine südkoreanische Korvette versenkt haben. Zusätzlich werden die U-Boote für den verdeckten Transport von Spezialkräften nach Südkorea eingesetzt.
Eine neue Bedrohung stellen die mit ballistischen Raketen bewaffneten Unterseeboote dar. Nach aktuellen westlichen Erkenntnissen stehen vorerst nur zwei dieser Boote im aktiven Dienst. Am 24. August 2016 erfolgte der erste Start einer Submarine Launched Ballistic Missile (SLBM) durch die bislang einzige Einheit der GORAE- oder SINPO-B-Klasse. Dieses Boot wurde erstmals 2014 auf öffentlich zugänglichen Satellitenbildern identifiziert. Die Nutzlast wird im Turm geführt, wobei es noch umstritten ist, ob sich dort Silos für eine oder zwei Raketen befinden. Die geschätzte Größe der SINPO-B-Klasse beträgt rund 68 Meter bei 1600 bis 2000 Tonnen Verdrängung und einer Reichweite von etwa 1500 Seemeilen. Das U-Boot ist für Einsätze in Küstengewässern optimiert und kann auch bei minimalem Einsatz der Bordsysteme am Meeresboden verharren. Die Einsatzausdauer wird auf maximal einen Monat geschätzt.
Am 22. Juli 2019 besichtigte Nordkoreas Staatspräsident Kim Jong-un öffentlich ein neues Schiffsbauprojekt auf der Sinpo-Werft. Nach nordkoreanischen Angaben handelte es sich um eine neue SLBM-fähige U-Boot-Klasse. Zwei im Bau befindliche Einheiten hatte ein Satellit bereits 2017 auf der Sinpo-Werft gesichtet. Sowohl amerikanische Quellen als auch japanische und südkoreanische Medien schätzen die Verdrängung auf rund 3000 Tonnen. Diese im Ausland als SINPO-C bezeichnete neue Klasse ist nach westlichen Analysen ein Umbau von Einheiten der ROMEO-Klasse und wird folglich international auch als ROMEO mod (modifiziert) bezeichnet. Einige Analysten sind der Ansicht, dass die Boote über eine außenluftunabhängige Antriebsanlage verfügen. Die auffälligste äußerliche Veränderung gegenüber der ursprünglichen ROMEO-Klasse ist der rund doppelt so lange Turm, der das Mitführen von drei oder vier SLBMs ermöglicht. Unklar bleibt, ob Nordkorea langfristig weitere Boote der ursprünglichen ROMEO-Klasse zu SLBM-fähigen Einheiten umrüsten will.
Erweiterte Machtentfaltung angestrebt
Im Rahmen des Testschusses vom August 2016 wurde vermutlich eine Rakete von Typ KN-11 (Pukgeukseong-1) eingesetzt. Seitdem wurden mehrere SLBM-Varianten vorgestellt und teilweise getestet, bis hin zur Variante Pukgeukseong-6. Es handelt sich durchweg um zweistufige Feststoffraketen, die wahlweise mit einem konventionellen oder einem nuklearen Sprengkopf versehen werden können. Schätzungen zur potenziellen Reichweite reichen von 500 bis 2500 Kilometern.
Im Januar 2021 kündigte Kim Jong-un während des 8. Kongresses der nordkoreanischen Arbeiterpartei an, dass sein Land auch Pläne für den Bau eines atomgetriebenen Unterseeboots entwickelt habe. Genaue Angaben zur Konstruktion wurden nicht veröffentlicht, jedoch erklärte Kim gleichzeitig, dass Pjöngjang auch eine neue unterseebootgestützte ballistische Rakete mit interkontinentaler Reichweite entwickeln wolle. U-Boot und SLBM sollen die „Fähigkeit [des Landes] steigern, atomare Angriffe auf große Entfernung durchzuführen“, erklärte Kim. Nordkorea verfolgt somit offensichtlich die Strategie, im Falle eines zukünftigen Koreakrieges die USA durch die Androhung eines Atomangriffs auf eine amerikanische Stadt zur Neutralität zu zwingen.
Der eigentliche Bau eines atomgetriebenen strategischen Unterseebootes samt entsprechender Rakete wird zwar Jahre dauern, aber die bisherige nordkoreanische Rüstungsentwicklung beweist, dass das Land durchaus imstande ist, immense Herausforderungen autonom zu bewältigen.
Bereits die aktuelle Einführung von mit SLBMs ausgestatteten U-Booten mit regionaler Einsatzreichweite verändert die strategische Lage in Nordostasien. Bedeutsam ist hier vor allem die Fähigkeit, Ziele in Japan, Südkorea oder auf Guam aus unvorhersehbaren Richtungen anzugreifen, und dabei Schwachpunkte in der aktuellen Raketenabwehrstruktur auszunutzen. Mit Atomsprengköpfen bewaffnete SLBMs würden Pjöngjang ferner mit einer Zweitschlagfähigkeit ausstatten, sollten seine landgestützten Kernwaffen im Konfliktfall neutralisiert werden. Die Tatsache, dass die einzelnen nordkoreanischen Waffensysteme der entsprechenden Technologie Südkoreas, Japans und der USA unterlegen sind, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die auf Masse, Geschwindigkeit und Todesverachtung beruhende nordkoreanische Einsatzdoktrin einen durchaus ernstzunehmenden Gegner prägt.
Sidney E. Dean
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